Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

VR-Brillen im Unterricht
Mit der Schulklasse auf den Jupitermond

Im Klassenzimmer sitzen, aber das Weltall erforschen. In einer Neusser Schule ist das mit Virtual-Reality-Brillen möglich. Die Schüler sind begeistert. Doch die Anschaffungskosten könnten sich die meisten öffentlichen Schulen nicht leisten und benötigte Software kommt vom Internetkonzern Google.

Von Moritz Börner | 11.09.2017
    Junge Frau mit VR-Brille zeigt mit dem Finger in die Luft.
    Virtual-Reality-Brillen (imago/blickwinkel)
    Physikunterricht in der 11. Klasse. Auf den Tischen vor den Schülern liegen, ganz klassisch, Stifte, Schulbücher, ein Taschenrechner und eine Virtual-Reality-Brille. Es geht um das Sonnensystem, um die Größenverhältnisse zwischen den Planeten:
    "Wenn ihr Bilder vom Sonnensystem normalerweise seht, ist das Problem, dass sie nicht darstellen können, wie groß das Sonnensystem in Wirklichkeit ist, darum werden die Abstände unter den Planeten verkürzt dargestellt, damit es passt. Ihr habt etwas mehr Freiheit mit den Brillen und könnt eure Köpfe hin und her bewegen!"
    "Durch die VR-Brillen sehen die Schülerinnen und Schüler die Planeten unseres Sonnensystems so, als säßen sie selbst nicht im Klassenzimmer, sondern als wären sie tatsächlich mitten im dunklen, leeren Weltall. Spektakulär!"
    Von außen allerdings sieht es eher witzig aus, wenn die Schüler auf den Stühlen sitzend mit den Brillen vor den Augen um sich gucken, ganz rechts Neptun und Saturn entdecken, und staunend zur riesigen Sonne hinaufschauen. Doch es hilft ihnen dabei, die tatsächlichen Ausmaße des Sonnensystems zu verstehen:
    "Wie würdet ihr die Größe der Erde im Vergleich zur Sonne einschätzen?"
    Johannes: "Vielleicht eintausendstel?!"
    "Gut! Das hört sich realistisch an. So jetzt habt ihr eine Idee von der Größe der Planeten, sie sind ziemlich klein. Jetzt nehmt die Brillen mal kurz ab."
    Ein zusätzliches Element im Physik-Unterricht
    Die Schüler sollen berechnen, wie viel mal größer oder kleiner die Planeten im Verhältnis zueinander sind. Dafür legen die Brillen wieder ab, jetzt wird mit dem Taschenrechner gearbeitet. Die VR-Brillen sind also nur ein zusätzliches Element im Unterricht von Physiklehrer Killian O´Brian:
    "Das ist jetzt nur ein Element des Unterrichts, wir variieren die Herangehensweise, das ist immer gut, wenn man im Klassenraum ist, wir machen das nicht 45 Minuten am Stück, dann werden die Schüler müde, das strengt die Augen an. Aber es ist eine gute Möglichkeit, Abwechslung zu schaffen, zwischen Schulbuch, Papier und Stift, oder der Schultafel."
    An der Privatschule in Neuss[*] werden die Brillen bisher vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich eingesetzt und im Fach Geschichte. Emil Cete ist Oberstufenleiter an der internationalen Privatschule in Neuss und leitet das Projekt:
    "Da geht es ja darum, dass man Plätze oder Dinge sich anschaut, die man im normalen Leben nicht besuchen kann, weil man halt in Neuss ist und eben nicht in Barcelona, oder nicht auf dem Jupitermond, oder mitten im Körper drin und sich das Herz anschauen kann. Wenn es um Volumenberechnung in der Mathematik geht, das mag uns sich einfach erschließen, aber wenn das zum ersten Mal eingeführt wird, dann ist das konzeptionell schwer zu begreifen, aber wenn das dreidimensional vor sich sieht, dann haben wir gemerkt, dass sich das einprägt."
    Bei den Schülern des Physikkurses von Killian O'Brian sind die Virtual-Reality-Brillen beliebt. Die beiden Elftklässler Johannes Rolsing und Cecimo Zahn finden, sie beleben den Unterricht:
    "Das ist sehr interessant, das ist auch eine progressive Entwicklung. Das wird uns sehr viel detaillierter und realistischer gezeigt, als wir uns das vorstellen könnten. Was ich jetzt vor allem bemerkenswert fand, war dass man wirklich die Relationen viel viel besser sieht, als beispielsweise an einer Tafel oder einem Diagramm. Ich glaube, das ist für mich jetzt der größte Vorteil bisher gewesen."
    Die meisten öffentlichen Schulen können sich das nicht leisten
    30.000 Euro haben die Brillen gekostet, eine Anschaffung, die sich die meisten öffentlichen Schulen kaum leisten können. Die Inhalte, also die Software wie zum Beispiel das virtuelle Sonnensystem, stammen größtenteils vom US-amerikanischen Internetkonzern Google und sind kostenlos. Unter didaktischen Gesichtspunkten ist die Software nicht optimal, da sie mit dem Lehrplan an deutschen Schulen nur teilweise Berührungspunkte hat. Und: Natürlich stellt der US-Konzern nicht ohne kommerzielle Hintergedanken seine Software bereit. Oberstufenleiter Emil Cete hofft, dass es bald Software gibt, die besser zu den Lerninhalten an deutschen Schulen passt:
    "Wenn ich jetzt ein deutscher Schulbuchverlag wäre, dann würde ich schon sagen, dass ich da das Feld nicht kampflos überlasse. Der Vorteil der Schulbuchverlage ist ja, dass sie gerade didaktisch die Einheiten vorgedacht haben und die Lehrpläne schon umgesetzt haben, und da sehr punktuell zuliefern könnten! Mir würde es nicht gefallen, wenn man zukünftig wie im Suchmaschinenmarkt 90 Prozent abhängig wäre von einer einzigen Firma."
    Die Leitung der Neusser Schule glaubt fest daran, dass VR-Brillen aus den Klassenräumen der Zukunft nicht mehr wegzudenken sein werden. Irgendwann einmal, sagt Emil Cete, könnten sie den Klassenraum sogar ersetzen:
    "Was jetzt wirklich Zukunftsmusik ist, was auch möglich sein wird, dass man irgendwann das schaffen kann, dass man einen virtuellen Klassenraum herstellt, wo die Schüler nicht mehr gemeinsam vor Ort sein müssen."

    [*] Anmerkung der Redaktion: In diesem Satz wurde die Bezeichung der Schule umformuliert, um eine Verwechslung mit der "Neusser Privatschule GmbH" zu vermeiden: Das VR-Projekt findet nicht dort, sondern an der in Neuss gelegenen Privatschule "International School on the Rhine" statt.