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Vulkanexplosionen auf der Spur

Geophysik. - Wenn sich Geologen einen Vulkan vorstellen, dann ist das ein Gebilde mit einer großen Magmenkammer tief innen drin und mit Förderkanälen, über die das Magma bei einem Ausbruch dann hochsteigt. Geologen der Universität Bristol haben nun für den Mt. St. Helens anhand von chemischen Signalen ein sehr kompliziertes Innenleben vorgeschlagen. Und das, was sie über den Ausbruch vor 24 Jahren lernten, kann für künftige Ausbrüche sehr wichtig werden.

Dagmar Röhrlich | 15.10.2004
    Wir haben über den Ausbruch des Mount St. Helens von 1980 geschrieben, und genau als wir den Aufsatz bei "Science" einreichten, wurde der Vulkan wieder aktiv. Dann ging es ungeheuer schnell. Vom Tag des Einreichens bis zum Erscheinen der elektronischen Fassung vergingen zwei Wochen. Wir haben noch nie einen Aufsatz so schnell veröffentlicht,

    wundert sich Geologieprofessor Jon Blundy von der Bristol-Universität. Das Thema ist explosiv, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Mount St. Helens hat zwei Gesichter. Mal bricht er gewalttätig aus, schleudert Gas, Asche und Lava 20 Kilometer hoch in die Luft. Zuletzt zeigte sich der Vulkan 1980 von dieser Seite, als er seine oberen 400 Meter einfach wegsprengte. Mal gibt er sich ruhiger, lässt nur ein wenig Lava strömen und baut einen Lavadom auf. So war es zwischen 1980 und 1986, im zweiten Teil des vergangenen Ausbruchs. Die Millionen-Euro-Frage ist jetzt: Was wird jetzt passieren?

    Die Vulkanologie ist in gewissem Sinne eine forensische Wissenschaft, denn wir untersuchen ja einen toten Körper, das Magma, und wollen wissen, was vor dem Tod passiert ist, also vor der Explosion.

    Die forensische Spur der Geologen ist die chemische Zusammensetzung des Magmas. Genauer: Sie untersuchten in der Lava des vergangenen Ausbruchs die Gehalte an Lithium und am radioaktiven Isotop Blei-210. Letzteres dient als Uhr, denn es entsteht beim Zerfall des kurzlebigen radioaktiven Edelgases Radon. Die Messwerte zeigen, dass sich unter Mount St. Helens ein komplexes System verbirgt.

    Wir bekommen ein Bild, nach dem das Magma unter Mount. St. Helens in einem komplexen System aus Förderkanälen aufsteigt und dabei für eine Weile in den zwei Magmenkammern gespeichert wird. Die eine liegt sieben Kilometern tief, die zweite, flachere, etwa vier Kilometer. 1980 wurde bei der ersten Explosion, die die oberen 400 Meter des Bergs wegsprengte, Magma gefördert, das mindestens fünf Jahre lang in der tiefen Kammer gespeichert war. In der späteren Phase, als bis 1986 Lava ausfloss und sich ein Lavadom im Krater aufbaute, stammte das Magma aus der flacheren Kammer in vier Kilometern Tiefe.

    Dort sei es den Messwerten zufolgen nur einige Wochen geblieben, erklärt die Geologin Kim Berlo von der University of Bristol. Hinter ihrer Aussage steckt, dass sowohl Lithium, als auch Blei-210 mit Wasserdampf transportiert werden. Wenn Magma tief in der Erdkruste entsteht, enthält es sehr viel Wasser. Der Umgebungsdruck sorgt dafür, dass es im flüssigen Gestein bleibt. Steigt es hoch, sinkt der Druck: Dampfblasen entstehen, drängen nach oben, reissen dabei die beiden chemischen Signalstoffe mit. Mit den Werten, die dieser Prozess erzeugt, lässt sich rechnen. Jon Blundy:

    Die Gehalte an Lithium und Blei 210 sind in dem Magma aus dem tieferen Reservoir so niedrig, dass es mindestens fünf Jahre vor dem Ausbruch schon in dieser Kammer gewesen sein muss. Es ist also spätestens 1975 aufgestiegen, hat sich in sieben Kilometern Tiefe gesammelt, wo es dann sein Wasser und damit das Lithium und Blei 210 verloren hat.

    1980 ging es dann rasend schnell, und die Kammer entlud sich in einer gewaltigen Explosion. Aus den Werten lässt sich vielleicht eine Prognose über den Charakter kommender Ausbrüche ableiten. Denn die seismische Überwachung ist inzwischen so genau, dass man erkennen kann, ob das tiefe Reservoir gefährlich voll ist. Blundy:

    Am derzeitigen Ausbruch ist interessant, dass Erdbeben vor sechs Jahren zeigten, dass damals Magma in die tiefe Kammer einströmt. Die Situation heute gleicht also der von 1975, als das Magma für die 1980er Eruption aufstieg. Die Muster gleichen sich. Auch der Ausbruch vor 24 Jahren begann mit dem Anwachsen eines großen Lavadoms - genau wie der jetzt.

    Trotzdem hält er eine verheerende Explosion für unwahrscheinlich. Der Vulkan ist nach dem Verlust seiner obersten 400 Meter heute wesentlich stabiler als damals.