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Vulkaninsel Surtsey
Neues Ökosystem auf toter Lava

Bei einem Vulkanausbruch im Jahr 1963 entstand vor der Küste Islands eine neue kleine Insel, indem die Lava über die Wasseroberfläche des Atlantiks gehoben wurde. Zunächst bestand sie nur aus einer heißen Vulkanwüste. Doch das Leben auf der jungen Insel entwickelte sich rasant, wie Biologen in den letzten fünf Jahrzehnten auf der Insel beobachten konnten.

Von Karl Urban | 15.11.2016
    Dampfwolken steigen von der Vulkaninsel Surtsey in die Luft. Die Insel entstand 1963 durch einen Vulkanausbruch unter Wasser und liegt rund 20 Kilometer entfernt von Heimaey, der Hauptinsel der isländischen Westmännerinseln | picture alliance / dpa / Polfoto
    Die Insel Surtsey entstand 1963 durch einen Vulkanausbruch unter Wasser und liegt rund 20 Kilometer entfernt von Heimaey, der Hauptinsel der isländischen Westmännerinseln (picture alliance / dpa / Polfoto)
    Im November 1963 bricht am Meeresgrund südlich von Island ein Vulkan aus. Seine Lava und Asche übersteigen bald die Wasseroberfläche - und bilden eine neue Insel. Ihre Fläche wächst bis auf beinahe drei Quadratkilometer, bevor der Vulkan nach dreieinhalb Jahren erlischt. Die Insel erhält den Namen Surtsey und wird sofort für Touristen gesperrt. Denn Biologen sollen untersuchen, wie das Leben das zunächst tote Vulkangestein ganz von selbst erobert. Zu Beginn lebten die Forscher wie Robinson auf der einsamen Insel:
    "Ich kam das erste Mal 1970 nach Surtsey und blieb anfangs für zwei Jahre, zwei ganze Sommer. So lernte ich die damals völlig nackte Insel kennen."
    Alleine untersuchte Erling Ólafsson vom Institut für Naturgeschichte im isländischen Gardabaer die ersten eintreffenden Arten. Das waren vor allem salztolerante Gräser, deren Samen angeschwemmt wurden. Der Insektenexperte glaubte damals nicht, dass auch die gelegentlich vom Wind herüber getragenen Tiere - vor allem winzige Springschwänze und Milben - auf der fast vegetationslosen Insel überleben könnten:
    "Aber es stellte sich heraus, dass das nicht stimmt. Die ersten Insekten brauchten gar keine Gefäßpflanzen, um zu überleben. Denn als das erste Treibholz angespült wurde und am feuchten Strand vermoderte, lieferte das genügend Nahrung für die ersten Siedler."
    Vögel regten immenses Pflanzenwachstum an
    Doch erst als sich Vögel niederließen, begann das Leben die Insel massiv zu erobern: Die Hinterlassenschaften verschiedener Möwenarten regten ein immenses Pflanzenwachstum an. Der Botaniker Borgthór Magnússon beobachtete damals, wie Surtsey immer grüner wurde:
    "Schon die ersten Büschel Strandroggen - ein großes Strandgras - lockten Seemöwen an. Dabei gab es noch gar kein Nestmaterial auf der Insel. Aber die ersten Mantelmöwen nisteten einfach in diesen kleinen Pflanzenbüscheln, die sich gerade erst etabliert hatten."
    Mittlerweile nisten jedes Jahr über 300 Möwenpaare auf der Insel, die in Form von Kot viel Saatgut und Dünger rund um ihre gemeinsame Kolonie hinterlassen haben. Dadurch ist das Gebiet rundherum dicht von Gräsern bewachsen. Fast ein Sechstel aller auf Island vorkommenden Gefäßpflanzen finden die Forscher heute auch auf Surtsey. Das Ökosystem gerät nun allerdings an seine Grenzen - wenn auch nicht für alle Arten, erklärt Erling Ólafsson:
    "Die Zahl der Insektenarten nimmt immer noch massiv zu, aber nicht die der Pflanzenarten, von denen offenbar nur eine bestimmte Zahl überleben kann."
    Ökosystem schrumpft in den nächsten Jahrzehnten vermutlich wieder
    Auf ihrer letzten Expedition im Sommer 2016 zählten die Biologen 60 verschiedene Pflanzenarten - und damit weniger als zuvor. Die Forscher gehen davon aus, dass das Ökosystem von Surtsey über die nächsten Jahrzehnte zunehmend schrumpfen dürfte. Denn die starke Strömung des Nordatlantiks setzt der jungen Lava stark zu.
    Schon heute ist die Hälfte der Inseloberfläche wieder dem Meer gewichen. Und doch sind die beiden Forscher dafür, die Insel auch weiter streng von den zahlreichen Islandtouristen abzuschirmen. Borgthór Magnússon:
    "Einhundert Jahre lang sollte die Insel von Biologen überwacht werden. Wenn nicht von den zwei Experten der ersten Stunde, dann vielleicht von der nächsten Generation."