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Wachstum auch für kleine Gemeinden

"Die Bürger hier wurden einfach vergessen", ärgert sich der junge Sozialist Olivier Faure über die bisherige Politik Frankreichs, die sich zumeist auf die Bürger in den Großstädten und Vororten konzentriert habe. Faure verspricht seiner Gemeinde den Wechsel und möchte sie in den kommenden fünf Jahren im Parlament vertreten.

Von Suzanne Krause | 18.06.2012
    Im Wahlbüro im Zentrum von Le Mée geht es ruhig zu. Olivier Faure ist gekommen, den Wahlhelfern mit Handschlag für ihren ehrenamtlichen Einsatz zu danken. Bei den letzten Parlamentswahlen, 2007, trat der Jungpolitiker erstmals an. Und wurde knapp geschlagen. Früher war Le Mée eine Hochburg der Konservativen, bei der Präsidentschaftswahl im Mai hingegen erhielt Francois Hollande hier sechzig Prozent der Stimmen. Verheißungsvoll lächelt Faures Konterfei von der 22-Seiten-Wahlkampfbroschüre: Er verspricht den Wechsel.

    "In meinem Wahlkampf habe ich auf nationaler Ebene für eine Mehrheit für Hollande geworben. Und auf lokaler Ebene klargemacht, dass ich in den kommenden fünf Jahren die hiesige Bevölkerung im Parlament vertreten möchte. Denn bislang wurde zumeist Politik gemacht für die Bürger in der Großstadt oder in den Vororten. Aber nicht für Gemeinden wie diese. Die Bürger hier wurden einfach vergessen.

    Nur ein Beispiel: der öffentliche Nahverkehr. Wir sind hier 30, 40 Kilometer von Paris entfernt. Aber mit dem Zug braucht man ebenso lang in die Hauptstadt wie von Tour aus, das 200 Kilometer entfernt liegt. Dabei leben in Le Mée viele, die täglich nach Paris pendeln. Die Anbindung muss dringend verbessert, die Züge müssen runderneuert werden."

    Im nächsten Wahlbüro stehen die Bürger Schlange. Darunter viele farbige Franzosen, wie ein Endfünfziger mit sichtbar indischer Abstammung:

    "Ich habe, wie immer, links gewählt. Die rechte Regierung hat uns Reformen beschert, die mir Mittelständler wenig behagen. Die Rentenreform beispielsweise. Und zudem sind viele Unternehmen ins Ausland abgewandert. Ich hoffe, die Linken holen sie zurück und bringen uns mehr Arbeit."

    Olivier Faure nickt zustimmend. 43 Jahre alt ist er, dreifacher Familienvater. Und engagiert sich politisch, links, seit seiner Jugend. Denn der Sohn eines Franzosen und einer Vietnamesin, der in einer Sozialbausiedlung in Orléans aufwuchs, wurde in der Kindheit dort als "Chinese", als "Schlitzauge" beschimpft. Damals schwor er sich, gegen Rassismus und Diskriminierung aktiv zu werden. Nach dem Jura-Elitestudium war Faure im Kabinett von Martine Aubry, damals Arbeitsministerin, tätig. Wurde 2007 zum Generalsekretär der sozialistischen Parlaments-Fraktion ernannt. Und kümmerte sich bei der parteiinternen Vorwahl zum Präsidentschaftswahlkampf von Francois Hollande um dessen Öffentlichkeitsarbeit. Europapolitisch liegt Olivier Faure, der sich selbst als "überzeugten Europäer" bezeichnet, voll auf der Linie des aktuellen Staatspräsidenten.

    "Wenn Europa sich zu einer Karikatur seiner selbst entwickelt und die EU nur noch als Gendarm auftritt, der alle Mitgliedsstaaten überwacht, ohne zu versuchen, für Wohlstand zu sorgen, dann fürchte ich, dass der europäische Gedanke von einem Volk zum anderen ausstirbt. Diese Idee von Europa jedoch muss um jeden Preis erhalten bleiben. Indem man der EU ermöglicht, den einzelnen Staaten aus der Krise herauszuhelfen, mittels Wachstum, Vermehrung des Wohlstands – was möglich ist. Natürlich brauchen wir eine Sparpolitik, Schulden und Defizite dürfen nicht weiter steigen, die öffentlichen Ausgaben müssen in den Griff gebracht werden. Aber wir müssen den Bürgern auch Hoffnung vermitteln."

    Unterwegs zum nächsten Wahlbüro sagt Olivier Faure, dass er sich Deutschland weiterhin verbunden fühle.

    "Ich habe Deutsch gelernt, aber ich habe alles vergessen. Und das ist sehr schade. Ich arbeite heute mit Premierminister Ayrault zusammen, er liebt Deutschland seit vielen Jahren. Die deutschen Sozialdemokraten waren lange ein Vorbild für die französische Linke. Heute aber sind die Beziehungen zum Nachbarland komplizierter geworden. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Berlin sich zunehmend verschließt. Und sich mehr darum kümmert, seinen eigenen Wohlstand zu sichern als Europa voran zu bringen. Durch Wachstum etwa. Da hat Deutschland derzeit wohl ein Imageproblem."

    Schließlich, sagt Olivier Faure, werbe nicht nur Francois Hollande für das Schlagwort Wachstum, sondern nunmehr auch dessen Amtskollegen in Spanien, Italien und Großbritannien.