Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Währungspolitik als Machtinstrument

Mit Skepsis und Sorge blickt China auf Europa und seine Schuldenkrise. Denn was in Europa geschieht, hat auch Auswirkungen auf die Volksrepublik. Die EU ist Chinas wichtigster Handelspartner. Für die breite Bevölkerung sind die europäischen Probleme allerdings weit weg und schwer zu verstehen.

Von Markus Rimmele | 15.09.2012
    Es ist nicht leicht, mit Chinesen auf der Straße über Europa zu sprechen. Zum aktuellen Inselstreit mit Japan, dazu haben fast alle etwas zu sagen. Doch bei der Euro-Schuldenkrise winken die meisten ab. Viele können sich noch nicht einmal unter der Europäischen Union genau etwas vorstellen, geschweige denn unter einem deutschen Bundesverfassungsgericht, das über einen Euro-Rettungsschirm urteilt. Einer der wenigen, die immerhin eine Meinung haben, ist Herr Tai, ein Shanghaier, etwa 50 Jahre alt.

    "Die europäische Wirtschaft wird so schnell nicht besser, sagt er überzeugt. Das dauert noch mindestens fünf oder sechs Jahre. Das Hauptproblem ist die Rezession in Spanien, Portugal, Italien und Griechenland."

    Ob das gut oder schlecht für China sei, wenn Europa Probleme hat. Herr Tai denkt kurz nach:

    "Alles hat zwei Seiten. Für uns Durchschnittschinesen ist es jetzt billiger, nach Europa zu reisen. Das war früher immer so teuer wegen des Wechselkurses. Aber für die Exporteure ist das alles nur schlecht. Die hatten sowieso schon immer ganz kleine Margen. Jetzt verlieren sie Geld."

    Die Sorge überwiegt in China angesichts der europäischen Probleme. Für die Volksrepublik steht viel auf dem Spiel. Sollte sich die Krise in der EU dramatisch verschlechtern, könnte das China bis zu 1,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung kosten, so warnte soeben der Internationale Währungsfonds. Die EU ist Chinas wichtigster Handelspartner. Und: China hat massiv in Europa investiert. Peking besitzt einen Devisenschatz in Höhe von 3,2 Billionen US-Dollar. Rund ein Drittel davon, so Schätzungen, ist in Euro angelegt. Ein Zusammenbruch der Währung und wirtschaftliches Chaos sind daher nicht im chinesischen Interesse.

    Peking, Ende August. Angela Merkel wird mit militärischen Ehren von Premierminister Wen Jiabao empfangen. Sie ist auch gekommen, um der chinesischen Regierung die Lage und das weitere Vorgehen in der Eurokrise zu erklären. Wen hält sich mit öffentlichen Ratschlägen zurück, sagt zunächst seine mittlerweile oft gehörten Standardsätze, wenn es um Europa geht.

    "Ich glaube, die europäischen Regierungen, die EU und die Völker Europas besitzen sowohl die Weisheit als auch die Fähigkeit, dieses Problem zu lösen. Ich habe nach wie vor Vertrauen in die europäische Wirtschaft, in die Euroländer und in den Euro selbst."

    Doch dann auf Nachfrage wird er erstmals deutlicher. Er persönlich sei besorgt. Und die Krisenbekämpfung sei nicht "sehr schnell". Unter Ökonomen aber und in informierten Kreisen findet die deutsche Haltung in der Eurokrise – Hilfe nur gegen striktes Sparen – Zustimmung.

    "Ich finde die deutsche Linie richtig"," sagt Lu Zhengwei, Chefökonom der Industrial Bank in Shanghai. ""Anfangs musste Deutschland den Ländern mit Problemen helfen. Aber jetzt fangen die Deutschen an zu fragen, warum sie faulen Leuten im Ausland Geld geben sollen. Sie sollen denen nicht nur Geld leihen, sondern auch noch deren laufende Ausgaben finanzieren. Das ist unangemessen. Wenn das Rettungsgeld als selbstverständlich angesehen wird, hat der Euro keine Zukunft."

    In China gelten die Deutschen als fleißig und sparsam. So sehen sich die Chinesen selbst auch. Sie haben die höchste Sparquote der Welt. Sparen klingt in chinesischen Ohren meistens gut. Doch wer spart, kann auch weniger ausgeben. Und das wiederum spürt Chinas Exportwirtschaft. Im Juli gingen die Ausfuhren in die EU im Jahresvergleich um 16 Prozent zurück.

    "Die Krise in Europa hat riesige Auswirkungen auf uns"," sagt Luo Wanbin. Er besitzt eine Uhrenfabrik, produziert ausschließlich fürs Ausland. ""Unsere Verkäufe sind um 30 Prozent zurückgegangen. Uns Exporteuren geht es allen nicht gut. Das hat schon letztes Jahr angefangen und wird immer deutlicher."

    Noch hat es keine Massenentlassungen gegeben wie 2008 währen der internationalen Finanzkrise. Doch die Gefahr besteht. In den Zentren der Exportindustrie, der Südprovinz Guangdong und in Zhejiang im Osten des Landes schließen immer mehr Unternehmen ihre Tore. Die Unternehmervereinigung der Stadt Wenzhou, einem Zentrum des exportorientierten Mittelstandes, meldet ein Massensterben. Zehn Prozent der 3000 Mitgliedsfirmen hätten dicht gemacht, weitere 20 Prozent seien in Schwierigkeiten.

    Doch trotz der Probleme durch die Krise in Europa: Hilfe in großem Umfang, etwa durch den Ankauf europäischer Staatsanleihen, ist von China nicht zu erwarten. Wen Jiabao bleibt in dieser Frage stets nebulös. Vielleicht auch weil er die Stimmung im Land kennt: Dass die Chinesen den um ein Vielfaches reicheren Europäern Geld geben sollen – das sieht kaum jemand ein.

    "China muss sich zu allererst um seine eigene Stabilität kümmern"," sagt der Shanghaier Herr Tai. ""Wir haben viele korrupte Beamte. Wir haben eine Spaltung in Arm und Reich. All das müssen wir lösen, bevor wir anderen helfen, auch den Europäern."