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Waffen, Drogen, Terrorismus: Das Pulverfass Mali

Mali galt lange Zeit als stabil - nun hat sich eine Militärjunta an die Macht geputscht. Noch ist unklar, wo sich der demokratisch gewählte Präsident Amadou Toumani Toure aufhält. Für die internationale Gemeinschaft kam die Rebellion überraschend – doch in Malis Norden gärt es seit Langem.

Von Marc Dugge | 24.03.2012
    Herr Bagayoko ist stolz. Ihm, dem Polizeichef von Segou, ist ein guter Fang gelungen. Vor ein paar Tagen haben seine Kollegen einen Waffenschmuggler festgenommen. Ein Tuareg, der in einem Reisebus unterwegs war. Mit einem Koffer voller Waffen.

    "Wir haben Gewehrverschlüsse, Griffe, rund 8000 Stück Munition, viele Teile von Maschinenpistolen russischer Bauart gefunden. Der Täter wollten sie in den Norden schmuggeln. Für wen sie bestimmt waren, wollte er aber nicht sagen."

    Viele Waffen gelangen dieser Tage in den Norden, sagt Bagayoko. Käufer gibt es dort schließlich genug. Und das macht ihm große Sorgen. Der Norden Malis ist eine schier endlose Wüstengegend. Nur wenige Menschen leben hier, die meisten von ihnen gehören der Volksgruppe der Tuareg an. Viele Tuareg fühlen sich traditionell als Außenseiter in Mali, sie werfen dem Staat vor, sie zu diskriminieren. Deswegen haben radikale Tuareg in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu den Waffen gegriffen, um für mehr Rechte zu kämpfen. Unterstützt wurden sie dabei auch von Libyens Staatschef Gaddafi. Nun ist Gaddafi weg – und prompt ist in der Wüste eine neue Tuareg-Rebellion ausgebrochen. Das sei kein Zufall, so Rebellensprecher Moussa Ag Attaher:

    "Der libysche Diktator Gaddafi hat lange dafür gekämpft, dass das Volk der Tuareg keine Revolution beginnen konnte, um seine Lebensumstände zu verbessern. Gaddafi hat die Tuaregs immer nur für seine Machtspiele ausgenutzt. Nun, da er nicht mehr da ist, konnten Tuaregs, die für Gaddafi gekämpft haben, Libyen verlassen. Das sind Männer, die gut bewaffnet und gut ausgebildet sind, darunter auch Offiziere."

    Diese Männer kämpfen nun für nichts weniger als einen eigenen Staat. Azawad soll er heißen und auf dem Gebiet des nördlichen Mali liegen. Die malische Armee liefert sich erbitterte Gefechte mit den Rebellen. Bisher mit mäßigem Erfolg. Denn die Rebellen haben sich an Gaddafis Waffenarsenalen reich bedient. Sie sollen mittlerweile deutlich besser ausgerüstet sein als die Regierungstruppen.

    Soldaten der malischen Armee haben in den vergangenen Wochen aus ihrer Frustration keinen Hehl gemacht. Sie beklagten sich über schlechte Ausrüstung, fühlten sich von der Regierung nicht ernst genommen. Pierre Boilley von der Universität Paris:

    "Die Regierung räumt keine Niederlagen ein. Sie sagt dann beispielsweise: Gut, wir haben die Stadt Tessalit aufgegeben, aber es handelt sich nur um einen strategischen Rückzug. Viele haben das Gefühl, dass die Führung nicht die Wahrheit sagt."

    Auch deswegen haben die Soldaten jetzt geputscht. Der Staatsstreich ist eine Abrechnung mit dem System "ATT", das sind die Initialen von Präsident Amadou Toumani Touré. Annette Lohmann von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako:

    "ATT hat sich ja sehr durch seinen konsensualen Ansatz ausgezeichnet, Konflikte auch per Dialog, per Friedensvertrag zu lösen. Jetzt sehen wir, dass einige Akteure sich mit diesen Friedensverträgen, mit diesem Ansatz nicht identifizieren."

    In Friedensverträgen hatte der Präsident den Tuaregs etwa versprochen, den verarmten Norden stärker zu fördern und die Armee aus der Gegend abzuziehen. Tuaregvertreter versorgte er mit hohen Posten in Politik und Armee. Annette Lohmann:

    "Es ist schon frappierend, wie viele Deserteure in die malische Armee aufgenommen worden sind. Ich glaube, das gibt’s sonst nirgendwo."

    Kritiker werfen dem Präsidenten vor, für den Konsens die Sicherheit des Landes geopfert zu haben. Viel zu lange habe der Präsident die Probleme im Norden des Landes nicht wahrhaben wollen. Nun geben dort kriminelle Banden den Ton an. Sie verdienen Millionen mit dem Schmuggel von Kokain, Zigaretten oder auch Menschen. Und sie verdienen Geld, indem sie Ausländer entführen, um sie an die Terrororganisation "El Kaida im Islamischen Maghreb" weiterzuverkaufen. Auch sie konnte im Norden Malis ein sicheres Rückzugsgebiet finden. Der malische Journalist Paul Mben:

    "Wenn unser Präsident sagt, man müsse nichts gegen El Kaida unternehmen, denn sie würden den Menschen nichts zuleide tun, dann irrt er sich! Al Kaida ist wie eine schädliche Alge, die sich immer weiter ausbreitet. Warum hat sich Al Kaida denn nicht in den Nachbarländern niedergelassen? Weil man ihnen dort nicht die Möglichkeit dazu gegeben hat! El Kaida ist heute überall in Mali, auch in Bamako. Sie haben Geschäfte, Restaurants, Tankstellen, Supermärkte. So waschen sie ihr Lösegeld. Wir konsumieren El Kaida, wir leben mit El Kaida!"

    Experten bestätigen, dass El Kaida in Mali gut Fuß gefasst hat. Insbesondere im verarmten Norden des Landes, auch dank der Lösegeldzahlen. Modibo Goita, Dozent an der Schule für Friedenssicherung in Bamako:

    "Dieses Geld wird dann vor Ort investiert, auch für wohltätige Zwecke, die Terroristen integrieren sich so in die Gesellschaft. Der Staat ist dagegen machtlos. Die Region ist so schwer zu kontrollieren, es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu verstecken - auch Geiseln zu verstecken."

    Viele Malier hoffen, dass es den Putschisten gelingt, dem Land einen Neuanfang zu bescheren. Und besonders im Norden des Landes wieder für stabile Verhältnisse zu sorgen, indem sie hart gegen Tuareg-Rebellen und radikale Islamisten vorgehen. Doch das diese Stabilität bald klommen könnte, danach sieht es bisher nicht aus. Die Tuareg-Rebellen haben angekündigt, ihren Kampf weiterzuführen. Und Mali ist international isolierter denn je.