Donnerstag, 28. März 2024

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Waffen "gehen einfach nicht wieder weg"

Der Westen erwägt, syrische Aufständische mit Waffen auszustatten. Sylke Tempel, Chefredakteurin von "Internationale Politik", wendet ein, dass es in Syrien nicht eindeutig gute und weniger gute Rebellen gäbe. Je länger der Krieg dauere, desto weniger würden Regierungstruppen und Rebellen eine friedliche Lösung suchen.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 14.06.2013
    Sandra Schulz: Allzu fundierte Zweifel hatte es eigentlich schon in den vergangenen Wochen nicht mehr gegeben, aber nach längerem Zögern hat die US-Regierung ihre Zweifel jetzt auch offiziell ad acta gelegt und zum ersten Mal bestätigt, dass in Syrien auch chemische Waffen gegen die Oppositionellen eingesetzt wurden. Damit ist die rote Linie überschritten, die US-Präsident Barack Obama Ende August gezogen hatte. Und obwohl die Ankündigungen aus dem Weißen Haus so vage sind, bei der syrischen Opposition kommen sie weitgehend gut an.

    Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit Sylke Tempel, sie ist Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik". Guten Tag!

    Sylke Tempel: Guten Tag!

    Schulz: Frau Tempel, was genau die USA jetzt tun wollen, um die syrische Opposition zu unterstützen, das ist ja noch unklar. Was ist denn wahrscheinlich?

    Tempel: Wenn es unklar ist, ist es natürlich immer schwer zu sagen, was dann wahrscheinlich wird. Der kleinere Aufwand ist natürlich immer Waffenlieferungen an Rebellen und der größere ist dann tatsächlich so was wie eine Flugverbotszone, weil wir müssen uns das ja nicht so vorstellen, dass man dann vom Tower einfach gesagt kriegt, hier dürfen Sie nicht reinfliegen, sondern das ist in dem Fall einfach faktisch eine Intervention.

    Schulz: Warum hält Obama das jetzt überhaupt noch so offen?

    Tempel: Es müssen ja erst mal alle Möglichkeiten abgewogen werden und es ist ja auch noch nicht so klar: Jetzt behauptet man zwar, die rote Linie sei erreicht, aber der wirkliche ausschlaggebende Grund für eine Änderung der bisherigen Politik zu Syrien ist ja auch, dass Assad und die regierungstreuen Truppen und damit einfach auch Iran und Hisbollah im Augenblick eher die Oberhand haben. Die haben Al-Kusseir vor Kurzem besetzt, die setzen die Rebellen ordentlich unter Druck und demnächst soll noch mal eine Verhandlungsrunde in Genf stattfinden. Da will man natürlich schon zusehen, dass die Rebellen wieder in eine bessere Position kommen, einfach um eine bessere Verhandlungsmasse zu haben. Da ist natürlich die wahrscheinlichere Methode dann die der Waffenlieferung, wobei man einfach wissen muss: Wenn Waffen geliefert werden, sind sie dort vor Ort. Das haben wir in Afghanistan auch schon gesehen. Eine Kollegin von mir hat das mal so wunderbar beschrieben mit: Das ist so ein bisschen wie die Gremlins füttern, die gehen einfach nicht wieder weg.

    Schulz: Das heißt, das, wovor die ganze Zeit gewarnt wurde, nämlich die Hochrüstung beider Parteien, genau das passiert jetzt?

    Tempel: Das ist schon die ganze Zeit passiert. Beide Parteien sind hochgerüstet. Es ist ja nicht so, dass andere Parteien das nicht schon längst getan hätten. Die Saudis und die Kataris unterstützen die Rebellen massiv, es werden dort selbstverständlich auch Waffen hingeliefert. Und auf der anderen Seite unterstützt Iran die Regierungstruppen massiv. Die Einzigen, die bislang jedenfalls offen noch nicht geliefert haben, ist der Westen.

    Schulz: Und wenn der Westen sich jetzt – damit haben Frankreich und Großbritannien ja auch schon gedroht; sie haben durchgesetzt, dass das EU-Waffenembargo aufgeweicht wird – entscheidet, die Waffen auch zu liefern, ist denn klar, wer die Waffen bekommt?

    Tempel: Wir haben kein besonders klares Bild von den verschiedenen Rebellengruppen. Ich meine, es gibt selbstverständlich islamistische Rebellengruppen, die auch von den Saudis und den Kataris unterstützt werden, so ein bisschen nach dem Motto, solange ihr nicht bei uns Unsinn veranstaltet, könnt ihr das alles haben. Wir hätten natürlich schon im Großen und Ganzen ein Interesse, dass es an Rebellen geht, von denen wir zumindest erwarten, dass sie da nicht einen salafistischen Gottesstaat einrichten. Es werden schon oder sollen auch schon Waffen geliefert werden, nämlich Flugabwehrraketen, sogenannte Stinger. Das kann schon auch noch mal ein Game-Changer sein.

    Flüchtlingslager in Syrien
    Flüchtlingslager in Syrien (picture alliance / dpa / Thomas Rassloff)
    "Je länger dieser Krieg fortdauert, desto größer werden die Grausamkeiten"
    Aber in einer Bürgerkriegssituation wie Syrien – und man muss sich einfach vorstellen, dass seit zwei Jahren dort ein Krieg stattfindet in Städten, in Straßen in Häusern, in dem Menschen Schrecklichstes angetan worden ist von der einen oder auch von der anderen Seite. Selbst wenn wir sagen, das sind Rebellenkräfte, die unserem Ziel näher sind – je länger dieser Krieg fortdauert, desto größer werden die Grausamkeiten auch sein und desto verhärteter sind die Linien und desto weniger werden wir Truppen sehen oder werden wir Rebellen sehen, die irgendwie sagen, wir gucken mal, ob wir da irgendwie noch eine friedliche Lösung hinkriegen. Das kann sich, wenn sich das mal beruhigen sollte – und ich kann mir noch gar nicht richtig vorstellen, wie -, das kann sich dann schon noch mal ändern. Aber es gibt in diesem Sinne nicht wirklich eindeutig gute und weniger gute Rebellen.

    Schulz: Heißt das, ohne zynisch sein zu wollen, dass die Waffen, wenn sie denn jetzt kommen, zu spät sind?

    Tempel: Wir haben sehr lange damit gewartet, aber ich habe auch immer zu denen gehört die sagen, Syrien ist unter Umständen, so traurig das ist – und das ist wirklich hart für einen politischen Journalisten, das für sich selber zu akzeptieren – ein Problem, das nicht lösbar ist für uns, weil es vollkommen klar ist, wenn wir da Partei sind, unter Umständen, wenn wir Glück haben, verbessern wir die humanitäre Situation. Es ist aber auch genauso gut möglich, dass die humanitäre Situation von der Hölle, die sie jetzt schon ist, sich auch noch mal wieder verschlechtert. Das muss man einfach wissen. Es gibt dort keine wirklich richtig guten Möglichkeiten. Und selbst die Möglichkeiten, die wir jetzt als gut empfinden, bei denen kann es durchaus sein, dass die nicht gut bleiben, weil eben solche Waffen wie Stinger zum Beispiel dann durchaus in die Hände von anderen geraten können, von denen wir nicht hoffen, dass sie eines Tages einen neuen syrischen Staat aufbauen.

    Schulz: Wie geht die Außenpolitik damit um, mit Konflikten, die nicht lösbar sind?

    Tempel: Wir sind damit noch nie wirklich richtig konfrontiert worden. Wir haben bislang immer gedacht, dass wir irgendwie durch Verhandlungen – und ich meine, in Deutschland besteht ja sowieso irgendwie immer die große, große Hoffnung, dass man auch die kompliziertesten und vertracktesten Konflikte tatsächlich mit Verhandlungen oder sonst wie lösen könnte, oder, wenn es dann irgendwie ganz hart auf hart geht, unter Umständen mit einer militärischen Intervention. Und wir sehen: Es braucht einen ganz, ganz, ganz langen Atem und wahnsinnig viel Engagement auch danach - das sehen wir auch an Afghanistan -, um dann tatsächlich irgendetwas Stabiles und Akzeptables hinzukriegen. Und wir dürfen einfach nicht vergessen: Syrien ist in jeglicher Hinsicht ein zutiefst verwüstetes Land.

    Schulz: Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" und heute hier bei den "Informationen am Mittag" bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank dafür.

    Tempel: Danke Ihnen!