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Waffen statt Wahlurne

Während in Ägypten, Tunesien oder Libyen die Menschen auf die Straße gegangen sind, um ihre Diktatoren zu verjagen, ist es in Westafrika nach wie vor meistens das Militär, das für einen Regimewechsel sorgt: Der Staatsstreich hat dort einen festen Platz.

Von Alexander Göbel | 28.04.2012
    "Sankara" – der Song stammt von Alpha Blondy, einem der bekanntesten Reggaemusiker der Elfenbeinküste. Keine Hommage an Thomas Sankara, den berühmten Präsidenten von Burkina Faso, sondern eine Abrechnung mit dem Coup d’Etat, dem Staatsstreich als Pseudo-Regierungsform in Westafrika. Auch Sankara, der noch immer als "Ché Guevara Westafrikas" verehrt wird, hatte sich mithilfe des Militärs an die Macht geputscht – 1983. Vier Jahre später fiel er selbst einem Coup zum Opfer. Alpha Blondy macht klar: "Die Macht holt man sich an der Wahlurne – und nicht mit Waffengewalt!"

    Ein frommer Wunsch. Die Coups sind seltener geworden als in den wilden sechziger, siebziger, oder achtziger Jahren, als eine Militärjunta die Nächste jagte. Aber der Putsch feiert in Westafrika sozusagen eine Renaissance. In Guinea-Bissau hat er sogar Tradition seit der Unabhängigkeit 1974.

    12. April 2012: Soldaten feuern Granaten auf das Haus von Ministerpräsident Carlos Gomes Junior ab, auf den Straßen kommt es zu heftigen Schießereien. Sowohl Gomes Junior als auch Interimspräsident Pereira werden von Aufständischen festgenommen, ein selbst ernanntes Militärkommando der Streitkräfte bekennt sich zu dem Coup, Soldaten besetzen die wichtigsten Fernseh- und Radiosender, es gibt Tote. Und das zwei Wochen vor der geplanten Stichwahl zur Präsidentschaft, zu der es nun nicht mehr kommt. Gomes Junior galt als Favorit für die Nachfolge des verstorbenen Präsidenten Sanha. Gomes Junior hätte den Militärs gefährlich werden können, denn er hatte dem Kokainschmuggel den Kampf angesagt – und den kontrolliert in Guinea-Bissau die Nationale Armee selbst. Waffen statt Wahlurne: In Guinea-Bissau, Westafrikas Drehscheibe der internationalen Drogenmafia, ist das eher die Regel als die Ausnahme. Hannes Stegemann, Westafrika-Experte von Caritas International:

    "Insofern hat das Land bis heute eine Vielzahl an Militärputschen erlebt, wobei die positive Aufbruchstimmung nach dem geglückten Befreiungskrieg zunehmend mehr in Korruptheit und Geldgier versandet ist, weshalb wir aktuell diese verheerende Verbindung von Gewalt, Militärputsch plus Geschäftemacherei über den internationalen Drogenhandel haben."

    Macht und Reichtum als Ultima Ratio: Insofern erfüllt der jüngste Putsch in Guinea-Bissau viele Klischees des klassischen Staatsstreichs. Doch in Westafrika ist Putsch nicht gleich Putsch. Beispiel Mali: Dort verjagt eine Junta am 22. März den Präsidenten Amadou Toumani Touré - nur wenige Wochen vor dem Staatsstreich in Guinea-Bissau. Oberleutnant Amadou Konaré im Staatlichen Fernsehen:

    "Die Verfassung ist bis auf Weiteres ausgesetzt. Alle staatlichen Institutionen sind bis auf Weiteres aufgelöst. Es wird eine Regierung der Nationalen Einheit gegründet werden, nach Beratungen mit allen relevanten Kräften der Nation."

    Die Militärs in Mali waren unzufrieden mit Präsident Touré, der in ihren Augen viel zu lax mit der Tuareg-Rebellion im Norden des Landes umgegangen war. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS fuhr eine erstaunlich entschlossene "Null-Toleranz-Politik" gegenüber den Putschisten. Der internationale Druck war groß, Mali bekam Sanktionen zu spüren. Mittlerweile gibt es einen Übergangspräsidenten und auch eine Übergangsregierung – allerdings besetzen die Putschisten drei der wichtigsten Ministerposten, außerdem hat der Putsch den Tuareg-Rebellen und den radikalen Islamisten von Al Kaida im Norden des Landes noch in die Hände gespielt. Dennoch: Für Philippe Hugon vom Pariser Politikinstitut IRIS spielen externe Faktoren eine wichtige Rolle. Den Sturz der Regierung in Bamako begreift Hugon als schweres Nachbeben der libyschen Revolution.

    "Alles, was momentan in Westafrika passiert, ist im Großen und Ganzen eine Folge des Sturzes von Gaddafi in Libyen und der Tatsache, dass sich seitdem bestens bewaffnete Rebellen und radikale Islamisten in der Sahara breitgemacht haben."

    Letzten Endes hätten Malis Putschisten nicht aus Machtgier, sondern vielleicht sogar aus Verantwortung gehandelt, weil ihnen die Einheit ihres Landes am Herzen lag – auch wenn dieses Unterfangen gründlich schief gegangen sei. Doch manchmal dienten Staatsstreiche in Westafrika als Katalysatoren für den Wandel – manchmal sogar zu etwas Besserem. Beispiel Niger: Dort stürzten Offiziere im Frühjahr 2010 den korrupten Dauer-Präsidenten Tandja. Nach einer Übergangsphase und demokratischen Wahlen stehe der Niger heute politisch gut da, so Philippe Hugon:

    "Man könnte sagen, dass manchmal die Militärs die alten korrupten Regime verjagen, nicht um die Macht an sich zu reißen, sondern im Gegenteil, um die verfassungsmäßige Ordnung zu retten und die Macht in die Hände hoffentlich kompetenter Zivilisten zu legen. (..) Ich habe den Eindruck, wir erleben gerade eine neue Art von Militärputsch. Es ist nicht mehr so wie damals, zur Zeit der Unabhängigkeit, als es den Putschisten nur darum ging, mithilfe des Militärs und möglichst blutrünstig an die Fleischtöpfe zu kommen."

    Zumal es in der Region ja auch durchaus demokratisch zugehen kann. In Ghana und Benin, mit zum Teil großen Abstrichen auch in Nigeria, Liberia, Sierra Leone und derzeit auch in der Elfenbeinküste. Positivstes Beispiel: der Senegal. Vor der Präsidentschaftswahl im Februar stand das Land auf der Kippe – Präsident Wade wollte um jeden Preis eine dritte Amtszeit und seinen Sohn als Nachfolger. Im Senegal herrschte wochenlang Ausnahmezustand, die Polizei feuerte Tränengas und Gummigeschosse auf wütende Demonstranten. Der Druck der Straße zeigte Wirkung. Wade musste die Macht an seinen Nachfolger abgeben und sich der langen demokratischen Tradition des Landes fügen. Ein Segen für den Senegal: Die Armee des Landes gilt als die wohl einzig wirklich republikanische in Westafrika. Für Wades Machterhalt, sagen Experten, hätte sie sich nicht missbrauchen lassen.

    Volksaufstand statt Militärputsch: Optimisten sehen im Machtwechsel im Senegal schon so etwas wie einen "Afrikanischen Frühling". Für Pessimisten ist der Senegal ein Sonderfall in Westafrika – in einer ansonsten instabilen Region, in der der Staatsstreich immer noch wahrscheinlicher sei als ein demokratischer Wandel, so wie Tunesien ihn in Nordafrika vorgemacht habe. Ein verlockender, aber schiefer Vergleich, betont Hannes Stegemann von Caritas International.

    "Also, ich würde das, was in der Arabischen Welt passiert, nicht allzu sehr idealisieren – es musste irgendwann passieren, es ist ein Prozess, von dem wir noch nicht wissen, wie er endet. Und dieser Prozess wird in Afrika und vor allem in Westafrika genau beobachtet und gibt den Leuten natürlich Ideen, vor allem dort, wo es stabile Zivilgesellschaften gibt. Das ist ja auch der große Unterschied zwischen Arabischer Welt und Afrika südlich der Sahara, dass die Zivilgesellschaft im Norden viel stärker entwickelt ist als in Schwarzafrika. Insofern kann man die Dinge nicht Eins zu Eins übersetzen."