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Waffenlieferungen an Saudi-Arabien
"Auch mit Kriegstreibern muss man reden"

Der Jemen-Krieg liefere "starke Argumente" gegen deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, sagte der Linke-Politiker Jan van Aken im Dlf. Er halte es für falsch, in dem Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran einseitig Position zu ergreifen. Man müsse versuchen, über Gespräche die Situation zu lösen.

Jan van Aken im Gespräch mit Dirk Müller | 20.02.2019
    Jan van Aken (Die Linke)
    Auch mit der Lieferung von Patrouillenbooten mache man sich mitschuldig an den Toten im Jemen, sagte der Linken-Politiker Jan van Aken im Dlf (imago / Ipon)
    Dirk Müller: Unions-Politiker wollen den vorläufigen Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien wieder aufheben. Das wollen andere europäische Länder auch. Also wieder Waffen für Riad, trotz des Bürgerkrieges im Jemen und trotz des Falles Kashoggi. - Am Telefon ist nun der linke Außen- und Sicherheitspolitiker Jan van Aken, viele Jahre lang B- und C-Waffen-Inspekteur für die Vereinten Nationen. Guten Tag!
    Jan van Aken: Einen schönen guten Tag.
    Müller: Herr van Aken, heilt die Zeit dann doch alle Wunden?
    van Aken: Die Wunden im Jemen werden auch durch die Zeit nicht geheilt. Saudi-Arabien bombardiert weiter, das ist ein ganz fürchterlicher Krieg, der im Jemen geführt wird, und deswegen ist es ja auch richtig, was viele Länder jetzt gesagt haben, wir liefern nicht mehr an dieses Land Saudi-Arabien, das den fürchterlichen Krieg im Jemen führt.
    Müller: Das heißt, die Bundesregierung hat dann im Oktober das Richtige getan?
    van Aken: Ja, natürlich hat sie das Richtige getan, und sie steht ja auch nicht alleine da. Es gibt andere Länder, die ein ähnliches Verbot haben, und auch wenn der britische Außenminister jetzt so einen komischen, merkwürdigen Brandbrief an Heiko Maas schreibt, auch zu Hause in Großbritannien gibt es ganz andere Meinungen.
    Selbst das britische Oberhaus hat in der letzten Woche entschieden, dass sich die britische Regierung mit diesen Waffenexporten nach Saudi-Arabien wörtlich auf die falsche Seite des Rechts stellt. Das sind eher Einzelmeinungen in Frankreich und England und sicherlich nicht der Großteil der Menschen und der Regierenden dort.
    "Ich glaube nicht an das Konzept eines gerechten Krieges"
    Müller: Ich möchte Sie das so jetzt mal provokativ fragen. Gibt es auch Waffen für die gute Sache?
    van Aken: Gibt es Waffen für die gute Sache? Ich glaube ja nicht. Ich glaube nicht an das Konzept eines gerechten Krieges. Ich glaube, dass die meisten Konflikte zwischen Menschen und Gesellschaften sich auch friedlich lösen lassen. Deswegen habe ich mich damals ja sogar auch gestellt gegen Waffenlieferungen an die Kurdinnen und Kurden, die damals unter Druck vom sogenannten Islamischen Staat waren. Ich glaube, es gibt immer bessere Möglichkeiten, einen Konflikt zu lösen, als mit Waffen.
    Müller: Jetzt sagen die Saudis, wir brauchen beispielsweise deutsche Patrouillenboote. Das ist ein großes Thema gewesen in der Auseinandersetzung in Berlin. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel hat da ja auch einen Vorstoß gewagt. Dann hat er hinterher gesagt: Nein, wir dürfen das nicht länger machen in Richtung Saudi-Arabien. Dann kommt der neue Außenminister Heiko Maas dazu, ebenfalls SPD, macht dann einen Kotau, wie viele gesagt haben, vor den Saudis, und hat gesagt: Alle diplomatischen Unstimmigkeiten, das wollen wir wieder begradigen. Das war kurz bevor der Fall Kashoggi zum Tragen kam. Ist es in der Realpolitik - meine Frage - nicht notwendig, dass mit jedem zusammengearbeitet wird, der offiziell dabei ist, der offiziell Verantwortung trägt?
    van Aken: Ich finde das völlig richtig, dass man mit jedem redet. Reden hilft immer. Auch mit Menschenrechtsverletzern, mit Kriegstreibern muss man reden, um zu versuchen, die Situation in dem Land zu verändern. Aber es gibt doch einen großen Unterschied zwischen mit der saudischen Regierung zu reden und ihnen Waffen zu verkaufen. Und wenn ich dann immer höre, na ja, Patrouillenboote sind nicht so schlimm - wenn man sich vorstellt, dass Saudi-Arabien mit einer Blockade, auch einer Seeblockade den Jemen gerade in die Hungerkrise treibt, dann sind Patrouillenboote genau das falsche zu liefern, denn damit würde man eine solche Seeblockade noch unterstützen. Wer solche Waffen im Moment an Saudi-Arabien liefert, der macht sich mit Schuld an den Toten im Jemen.
    Müller: Sind Patrouillenboote nicht zur Selbstverteidigung?
    van Aken: Ich glaube, Saudi-Arabien würde sagen, alles was sie dort bekommen, auch die Kampfflugzeuge, die Eurofighter, die Tornados, das ist alles Selbstverteidigung für die Saudis. Am Ende fliegen sie damit aber Luftangriffe im Jemen, bombardieren da auch Zivilisten, bomben wirklich das Land zurück in die Steinzeit. Aus saudischer Sicht ist das alles Selbstverteidigung gegen die Rebellen der Huthis, aber ich glaube, diese Auffassung teilt ja nicht mal irgendjemand in der Bundesregierung.
    "Nur weil mein Nachbar mit Drogen dealt, muss ich das nicht auch tun"
    Müller: Wenn Sie sagen, das ist alles eindeutig, dann gibt es auch kein Bedrohungsszenario, was die Saudis immer skizzieren mit Blick auf den Iran?
    van Aken: Natürlich gibt es dort im Moment einen Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und Iran, und ich halte es für falsch, dass der Westen, dass die Bundesregierung, die NATO sich dort einseitig auf die Seite Saudi-Arabiens stellt. Das sind beides Länder, die Frauen unterdrücken, die Menschenrechte verletzen. Das sind beides Länder, die extrem viel Öl haben, beides Länder mit einer extrem, ich sage mal, fast islamisch, fast schon manchmal islamistisch orientierten Regierung, und da stellt sich Deutschland einfach auf die eine Seite, rüstet sie gegen die andere Seite auf. Damit erhöht man die Kriegsgefahr. Ich glaube, es wäre besser, zu beiden Seiten einen gleichen Abstand zu halten und zu versuchen, über Gespräche die Situation zu lösen.
    Müller: Aber Sie würden schon zugestehen zu sagen, es gibt diese vermeintliche potenzielle Bedrohung von Teheran in Richtung Riad?
    van Aken: Genauso wie es diese Bedrohung von Riad in Richtung Teheran gibt. Die gibt es ganz sicher. Die führen ja sogar Kriege auf anderem Boden. Der Syrien-Krieg ist zum Teil ganz sicher auch eine militärische Auseinandersetzung zwischen Iran und Saudi-Arabien. Das heißt, das wird sogar schon militärisch geführt. Diese Bedrohung gibt es, aber die gilt für beide Seiten, und ich glaube nicht, dass jetzt jemand auf die Idee kommen würde und auch auf gar keinen Fall sollte, jetzt Waffen, Patrouillenboote und Kampfflugzeuge an den Iran zu liefern, um sich gegen die Bedrohung aus Riad zu wehren.
    Müller: … wäre vielleicht konsequent und logisch, nach Ihrer Argumentation ja auch von Checks and Balances.
    van Aken: Ja, aber falsch!
    Müller: Herr van Aken, reden wir noch mal darüber: Wenn die Deutschen keine Waffen liefern an Saudi-Arabien, dann tun es die anderen.
    van Aken: Ja. Es ist ein Argument, das ich immer wieder höre: Wenn wir nicht liefern, liefern die anderen. Aber das ist natürlich aus zwei Gründen falsch. Der erste Grund ist: Nur weil mein Nachbar seine Frau schlägt, muss ich das nicht auch tun. Nur weil mein Nachbar mit Drogen dealt, muss ich das nicht auch tun. Und nur weil die Briten Waffen an die Saudis verkaufen, muss ich das nicht auch tun. Was moralisch falsch ist, ist falsch, und da sollte man eigentlich das Richtige tun.
    Müller: Das sagen Sie auch den deutschen Unternehmen, den deutschen Produzenten? Ihr habt einfach Pech gehabt, weil ihr …
    van Aken: Ich habe jetzt gehört, dass Jeremy Hunt geschrieben hat, den deutschen Rüstungsunternehmen drohen Umsatzeinbußen in Höhe von zwei Milliarden Euro. Ich finde das eine gute Nachricht. Ich finde, diese Rüstungsunternehmen müssen umstellen auf eine friedliche Produktion, damit keine Arbeitsplätze verloren gehen. Ich finde es viel besser, wenn die Bundesregierung nicht Waffenexporte unterstützt, sondern diese Rüstungsunternehmen unterstützt, um endlich auf eine friedliche Produktion umzustellen.
    Müller: Was ist denn eine friedliche Waffenproduktion?
    van Aken: Keine friedliche Waffenproduktion.
    Müller: Also andere Produkte?
    van Aken: Andere Produkte! Wissen Sie, der größte Panzerhersteller, Kraus-Maffei-Wegmann, die haben früher mal Eisenbahnwaggons produziert. Dann haben die umgestellt auf Panzer. Die können doch zurückumstellen!
    Müller: Ein relativ komplexer Vorgang, können wir jetzt nicht diskutieren. Aber was sagen Sie dort den Arbeitern, die im Grunde vor diesem potenziellen Arbeitsplatzverlust stehen?
    van Aken: Ich sage denen genau das, dass es wichtig ist, dass ihr Management, die Unternehmensführung sich dafür einsetzt, auch in zehn Jahren, auch in 20 Jahren noch eine vernünftige Produktion durchführen zu können. Es wird dauerhaft hoffentlich immer schwieriger, Waffen zu exportieren. Das heißt, das Management macht was falsch, wenn sie auf Waffen setzen. Auch die Arbeiterschaft in so einem Betrieb muss sich dafür einsetzen, dass endlich andere Produkte produziert werden, wenn sie in 20 Jahren ihren Job noch haben wollen.
    "Rein rechtlich ist das sowieso kein Problem"
    Müller: Reden wir auch noch über den Aspekt Verlässlichkeit. Es gibt Verträge, es gibt Zusagen für Lieferungen. Jetzt ändern sich die politischen Rahmenbedingungen und dann sagen die Deutschen beziehungsweise die deutschen Unternehmen, wie auch immer, jetzt geleitet von der Bundesregierung, jetzt machen wir nicht mehr mit, weil jetzt die Grenze überschritten ist. Ist das legitim? Ist das konsequent?
    van Aken: Wenn ich jetzt ganz kleinlich bin, dann könnte ich einfach damit argumentieren, es gibt eben gar keine Verträge zwischen den Deutschen und den Engländern über diese Lieferung. Rein rechtlich ist das sowieso kein Problem. Aber es geht ja um eine politische Verlässlichkeit, und da würde ich sagen: Wenn sich eine Situation ändert, wenn ein Land, das Waffen aus Deutschland oder England bekommt, plötzlich einen derartigen Vernichtungskrieg im Jemen führt, ist das doch ein Grund, seine Politik zu ändern. Wenn man nicht mehr auf tatsächliche Veränderungen in der wirklichen Welt eingehen darf, wo kommen wir denn da hin.
    Müller: Aber Saudi-Arabien ist seit Jahrzehnten ein Problem, nicht erst seit dem Jemen.
    van Aken: Deswegen finde ich auch seit Jahrzehnten diese Rüstungsexporte fragwürdig. Aber ich glaube, dieser Fall des Jemen-Krieges gibt doch noch mal ganz starke Argumente zu sagen, wenn wir vorher schon vieles falsch gemacht haben, jetzt ist der Moment, es endlich richtig zu machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.