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Wagner-Wundermaschine in Erl

Bei den Tiroler Festspielen in Erl hatte Richard Wagners "Tannhäuser" Premiere. Im zweiten und vor allem dritten Akt erlebte man dabei wieder Gustav Kuhns Wagner-Wundermaschine: hinreißende Chöre und auch bei den Sängern blieben kaum Wünsche offen.

Von Jörn Florian Fuchs | 17.07.2011
    Ein schwüler Sommertag, die Kühe muhen, die Schafe grasen vor sich hin – plötzlich macht es plumps und Gustav Kuhns Wagnerfamilie hat wieder mal Nachwuchs bekommen. Das jüngste Mitglied hört auf den Namen Tannhäuser und ist nach der ersten Begutachtung noch nicht ganz flügge. Vor allem der Auftaktakt muss wohl noch mal in die Wagner-Werkstatt, weil einiges recht wild durcheinanderläuft. Während sich der in rotem Samtpomp daherkommende Titelheld am Unterbauch der dies etwas zu betulich genießenden Venus gütlich tut, rekeln sich in der Hauptsache Kopftuchmädchen und Burkafrauen auf den harten Bühnenbrettern des Passionsspielhauses. Soll das eine Sarrazin-Anspielung sein? Oder hatte Kostümschneiderin Lenka Radecky einfach nur noch etwas Tand in einer alten (Kla)Mottenkiste?
    Ab dem zweiten Akt wird aber alles besser, nein, sogar richtig gut! Während Tannhäuser sich nicht zwischen der schwül erotischen Venus und der züchtig hübschen Elisabeth entscheiden kann, versammelt sich die Wartburg-Gesellschaft zum fröhlichen Sängerwettstreit, die Herren tragen schwarzen Edelschick, die Damen erfreuen mit grünen Ascothüten. Das Interieur der heiligen Halle ist denkbar schlicht: ein Lüster sowie sechs Harfen und sechs karge Mini-Throne.

    Die Letzteren sehen ein bisschen nach Sperrmüll aus, ein bisschen aber auch nach teurem Design. Diese durchaus charmante Mischung nennen wir mal Erler Bauhaus.
    Präzise und fein durchritualisiert bevölkern bald pilgernde Chormassen die Szenerie, ernst und getragen geht es der Erlösung entgegen, nach einem Intermezzo mit diesmal wirklich megaerotischen Mädels blühen Pilgerstäbe und Kuhns Fantasie. Tannhäuser muss sich nämlich gar nicht wirklich für das Züchtige und gegen die Wolllust entscheiden (oder umgekehrt), sondern Elisabeth umschließt Venus einfach mit ihrem blütenweißen Kleid und davon kriegt man(n) natürlich den ultimativen Kick.

    Das auf der Bühne positionierte Festspielorchester braucht ein wenig Anlauf für den rechten Wagnerrausch, erst im zweiten und vor allem dritten Akt erlebte man wieder Gustav Kuhns Wagner-Wundermaschine. Wirklich hinreißend waren die Chöre und auch bei den Sängern blieben kaum Wünsche offen. Zwar gab Luis Chapa einen etwas wurschtigen Tannhäuser (vokal wie szenisch), aber die Zerrissenheit der Figur vermittelte sich gut. Mona Somm orgelte sich ordentlich durch die Venus-Partie, Arpiné Rahdjian war als Elisabeth eine echte Augen- und Ohrenweide.

    Einer aber sang alle anderen an die Wand, obwohl seiner Kehle nur warme Samtklänge entströmten. Michael Kupfers überragender Wolfram von Eschenbach erinnert an den derzeit wohl uneinholbaren Christian Gerhaher.

    In wenigen Wochen bringt übrigens eine andere Provinzstadt einen neuen Tannhäuser heraus. Auf Bayreuths Grünem Hügel wird sich das Geschehen in einer Biogasanlage abspielen, wie man hört. Nicht nur hier haben die Tiroler den Oberfranken etwas voraus, auch in Erl gibt es nämlich solche Anlagen und zwar schon lange und unmittelbar in der Nähe des Passionsspielhauses. Der Fachbegriff dafür hat drei Buchstaben und lautet "Kuh".

    Am Wochenende gibt es in Erl große Oper im Passionsspielhaus, unter der Woche versammelt sich eine kleine, treue Fangemeinde zu Kammermusik-Genüssen in Kirchen oder Gaststätten, oder auch mal zu Freiluftkonzerten auf der Alm.
    Besonders schön war der Auftritt des Trios "Birds Of Vienna". Gitarrist und Ensemblegründer Helmut Jasbar führte, unterstützt von zwei Kolleginnen an Klavier, Cello und Akkordeon, das mit gutem Wein versorgte Publikum durch schräge Klanglandschaften: Schubert-Ländler treffen auf Jazziges, dazu gesellen sich eigenwillige Walzer.

    Informationen:
    Tiroler Festspiele Erl