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Wahl der Partei-Vorsitzenden
NoGroKo-Vorsitzender plädiert für Mitgliederentscheid

Bei der Wahl einer neuen SPD-Vorsitzenden sollten die Mitglieder abstimmen dürfen, sagte Steve Hudson, Vorsitzender des Vereins NoGroKo und SPD-Mitglied, im Dlf. Es komme zu keiner personellen Erneuerung, wenn die scheidenden Vorsitzenden ihre Nachfolge selbst aussuchten und Gegenkandidaten nicht erwünscht seien.

Steve Hudson im Gespräch mit Stephanie Rohde | 21.04.2018
    Wahlplakate der SPD liegen nach dem Bundestagswahlkampf 2017 auf dem Boden
    Wahlplakate der SPD liegen nach dem Bundestagswahlkampf 2017 auf dem Boden (imago)
    Stephanie Rohde: Zum achten Mal in 20 Jahren wählen die Sozialdemokraten einen neuen Chef beziehungsweise eine neue Chefin. Anders als in den vergangenen Jahren aber gibt es dieses Mal zwei Kandidaten für den Parteivorsitz: Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange fordert Andrea Nahles heraus, auch wenn Langes Chancen eher begrenzt sind. Der Vorgänger Martin Schulz wurde ja mit 100 Prozent gewählt, das dürfte der Nachfolgerin nicht passieren.
    "Was wir sicher brauchen, ist eine Erneuerung", das hat Andrea Nahles ihrer SPD attestiert, allerdings war das schon 2009, nachdem die Sozialdemokraten ein schmerzhaftes Bundestagswahlergebnis verarbeiten mussten. Das ist inzwischen fast ein Jahrzehnt her, aber diese Diagnose ist nach wie vor aktuell. Auch in diesen Tagen beschwört Andrea Nahles eine Erneuerung. Gelingt der zukünftigen Parteichefin diese Erneuerung, und was könnte die deutsche SPD sich abgucken von der runderneuerten Labour-Partei in Großbritannien? Darüber will ich sprechen mit Steve Hudson, er hat im Social-Media-Team für den britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn Wahlkampf gemacht, ist dann vor gut einem Jahr während des sogenannten Schulz-Hypes in die Kölner SPD eingetreten, inzwischen ist er Vorsitzender des Vereins NoGroKo, außerdem ist der Ko-Vorsitzender von Labour Germany und er ist bei mir im Studio. Guten Morgen!
    Steve Hudson: Morgen!
    Rohde: Nach fast einem Jahrzehnt Erneuerungsbeschwörungen, freuen Sie sich jetzt auf eine neue Runde Erneuerung?
    Hudson: Ich freue mich darauf, dass es dieses Mal überhaupt eine demokratische Wahl gibt, dass wir jahrelang nur einen Kandidaten immer für den einen Posten hatten, das ist ein Unding. Ich hab das meinen Kindern dreimal erklären müssen – die sind Schulsprecherin, Schulklassensprecher –, und dass es nur einen Kandidaten gibt, da fielen sie aus allen Wolken. Das ist eigentlich für Außenstehende nicht verständlich. Jetzt haben wir zumindest eine Wahl.
    "Wann kommt eine personelle Erneuerung?"
    Rohde: Und was denken Sie von Andrea Nahles, die ja relativ wahrscheinlich die Parteivorsitzende wird? Sie kennt die SPD so gut wie kaum jemand, das ist doch sehr viel Wert in der verunsicherten Partei, oder?
    Hudson: Also dieses Kennen, ich kann da nicht erkennen, was eigentlich der Vorteil davon sein soll. Es muss sicher davon ausgehen, was sind unsere Leitsätze, was ist unsere politische Vision, was bieten wir an. Also Leute zu kennen und super vernetzt zu sein, das scheint vielleicht für die Machtpolitik innerparteilich sehr günstig, aber das ist nicht besonders hilfreich für eine Partei, die unbedingt eine Rundumerneuerung und das heißt auch eine personelle Erneuerung … Die SPD scheitert seit Jahren, wir sind auf 20,5 Prozent gelandet, jetzt sind wir in der Umfrage noch tiefer. Wann kommt eine personelle Erneuerung, weil wir haben immer diese Kontinuität, dass die scheidenden Vorsitzenden im Grunde ihre Nachfolge fast aussuchen und Gegenkandidaturen nicht erwünscht sind. Die haben Frau Lange wirklich ignoriert, auch vom Willy-Brandt-Haus, es gab keine Debatte. Also ich sehe nicht, wie Frau Nahles da uns wirklich voranbringt.
    Rohde: Aber reicht es nicht auch, wenn es so jemanden wie eine Gegenkandidatin wie Simone Lange gibt, dass schon mal Alternativen aufgezeigt werden, dass eben eine Debatte in der Partei funktioniert?
    Hudson: Ja, aber wir haben zum Beispiel im Bundestagswahlkampf da eingefordert, es soll eine Debatte geben zwischen Schulz und Merkel, und waren höchst empört, dass Merkel da nicht debattieren wollte. Warum gab es nicht eine richtige Debatte? Das wollte Simone Lange mehrmals und Nahles lehnt ab. Das ist schade, weil die Parteien sind da zur demokratischen Willensbildung, dazu gehört eine Debatte. Lasst die beiden einfach miteinander sprechen, lasst uns alle Mitglieder hören, lasst Deutschland auch hören, wofür stehen sie eigentlich – und am besten noch natürlich, wenn die Mitglieder abstimmen dürfen, nicht nur 600 Delegierte, die meistens in Parteifunktionen als Mandatsträger oder so unterwegs sind.
    Rohde: Aber darüber wird ja nachgedacht, also die Parteispitze ist zumindest offen, über eine Urwahl nachzudenken.
    Hudson: Ja, also es ist ein bisschen spät jetzt, ne?
    Rohde: Fürs nächste Mal dann vielleicht, die SPD wählt relativ häufig Parteivorsitzende.
    Hudson: Martin Schulz hat das auch vorgeschlagen. Also bei Labour, das haben wir eingeführt und das hat zu einer kompletten Erneuerung geführt, und im Grunde die ganze Führungsriege ist weg. Und leider sieht es so aus, der Grund, warum die jetzige Führungsriege der SPD das ablehnt, ist, weil sie auch um ihre Jobs bangen. Nur die SPD scheitert, die kommt nicht an, die wird nicht gewählt, die ist in vielen Bundesländern mittlerweile schwächer manchmal als die AfD, das ist erschreckend. Wann kommt diese Chance, einfach zu sagen, vielen Dank, du hast gute Dienste geleistet, aber vielleicht sollen ganz neue Leute heran.
    "Man muss Wahlen haben können"
    Rohde: Sie sagen jetzt, Andrea Nahles wird diese Erneuerung einfach nicht bringen können, das müssten neue Leute machen. Allerdings gibt es zum Beispiel den Juso-Chef und Kritiker des Parteiestablishments, Kevin Kühnert, und der hat jetzt gesagt, er will für Andrea Nahles stimmen, sozusagen als Vertrauensvorschuss und eben um diesen Teufelskreis des Misstrauens, wie er es nennt, zu durchbrechen. Ist das nicht wesentlich konstruktiver als das, was Sie jetzt machen und sagen, wir müssen radikal alles neu machen?
    Hudson: Ich wünsche natürlich, wenn Andrea gewinnen sollte, ich wünsche ihr allen Erfolg, weil wir müssen unbedingt erneuern, nur die hat sogar als Sekretärin der Partei 2011 erklärt, die Erneuerung wäre abgeschlossen. Da haben leider viele Mitglieder noch nicht mitbekommen, was überhaupt da stattgefunden hat. Also mit Kevin, da sind sehr, sehr viele Leute in der Basis schwer enttäuscht, aber das ist seine persönliche Entscheidung. Er hat es aber begründet, dass er sehr viele Vieraugengespräche geführt hat, auch besonders mit Andrea, und daraus ist er zu dieser Entscheidung gekommen. Meiner Meinung nach, dieses System von Vieraugengesprächen im Willy-Brandt-Haus ist der Kern des Übels. Wenn Andrea ihn überzeugt hat, warum dürfen wir als Mitglieder nicht auch überzeugt werden? Weil dann kommt der Verdacht nahe, dass Kevin sonst, wenn er sich nicht hinter Andrea stellt, dass er kaltgestellt wird, dass er politisch nichts innerhalb der SPD bewirken soll. Und das wäre eigentlich schade, weil er ist natürlich ein großes politisches Talent.
    Rohde: Was können die SPD, die Sozialdemokraten, lernen von den Briten, von der Labour-Partei? Sie haben die auch mitbekommen, die Partei, was würden Sie sagen jetzt so im innerparteilichen Umgang, was muss man da ändern?
    Hudson: Also man muss Wahlen haben können, wo der Ausgang unbekannt ist, wo man es einfach nicht weiß. Das war bei uns … also Corbyn war angetreten als 200-zu-eins-Außenseiter. Er wurde gewählt, es kamen 150.000 Leute schon in der ersten Wahl in die Partei, unsere Mitgliederschaft hat sich verdreifacht, weil plötzlich, es gab tatsächlich einen Konflikt, es war eine Auseinandersetzung, aber das hat unheimlich viele Leute mobilisiert und motiviert. Die Partei hat sich verdreifacht auf 600.000 Mitglieder, und wir sind steil nach oben gegangen mit einem ganz neuen Programm.
    Hartz IV die "Ursünde, die um den Hals der SPD einfach hängt"
    Rohde: Das lag aber auch an dem Linkskurs. Trauen Sie das der SPD zu, so weit nach links zu gehen?
    Hudson: Das müssen wir uns trauen, weil sonst haben wir einfach in den künftigen Wahlen keine Chance mehr. Ich war eingetreten, als Martin Schulz die Agenda 2010 deutlich kritisiert hat. Das haben wir seit Jahren nicht von der SPD gehört. Und diese Vergangenheitsbewältigung brauchen wir unbedingt.
    Rohde: Die ist aber in vollem Gange, die Debatte um Hartz IV ist vollem Gange, auch die Parteispitze hat sich da offen gezeigt.
    Hudson: Ja, die zeigt sich offen, aber wir sollen uns nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen, aber leider war das ein Fehler. Das ist die Ursünde, die um den Hals der SPD einfach hängt, weil wir haben unsere Wählerschaft im Stich gelassen. Wirtschaftlich geht es vielen Leuten schlechter, und die Unsicherheit ist so massiv gestiegen. Wir müssen kommen und sagen, Hartz IV war falsch. Ein neues Konzept reicht nicht, weil wenn man Wahlkampf macht, auf die Straße geht: Ihr habt uns verraten – das ist der Vorwurf, und dem müssen wir entgegnen. Und die ehrliche, offene, aufrichtige Antwort ist, zu sagen: Ja, das tut uns leid, das war falsch. Und dass das auch personelle Konsequenzen mit sich bringt, ist unabdingbar.
    Rohde: Aber die Ansätze davon gibt es schon, also die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer schließt ein Ende von Hartz IV nicht aus, Ralf Stegner fordert eine Alternative zu Hartz IV, Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller spricht über ein solidarisches Grundeinkommen, also die SPD macht doch da langsam Fortschritte.
    Hudson: Das ist auf jeden Fall richtig, ich glaube, diese Erkenntnis ist da. Nur weil Hartz IV so über uns hängt, einfach das zu sagen, das war falsch, wie Simone Lange das macht, weil viele sagen, ja, wir müssen ein neues Konzept, aber bloß nicht sich mit der Vergangenheit beschäftigen. Das ist leider dieses Problem, dass viele Karrieren mit diesem Fehler verstrickt sind, und viele Leute haben Angst um ihre eigene Laufbahn. Da müssen wir einfach vorangehen und sagen, nee, tut uns leid, das war falsch, und jetzt ist hier solidarisches Grundeinkommen oder welche Modelle dann immer kommen sollten, sehr gut – aber ohne diese offene Aussage kommen wir leider nicht voran.
    Rohde: So die Einschätzung von Steve Hudson. Er hat im Social-Media-Team für den britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn Wahlkampf gemacht, ist jetzt in der SPD und Vorsitzender des Vereins NoGroKo. Vielen Dank, dass Sie ins Studio gekommen sind!
    Hudson: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.