Mittwoch, 24. April 2024

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Wahl eines neuen VW-Chefs
"Müller hat das Vertrauen der Porsches und der Piëchs"

Der Porsche-Chef und Kandidat für den Chefsessel bei VW, Matthias Müller, kenne den Wolfsburger Konzern schon lange und sehr gut, sagte Michael Freitag, Automobilexperte beim "Manager Magazin", im DLF. Müllers Kandidatur sei aussichtsreich, weil er sowohl von beiden Großaktionären geschätzt werde als auch bei den Arbeitnehmern als guter Manager gelte.

Michael Freitag im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.09.2015
    Der Vorstandsvorsitzende der Porsche AG, Matthias Müller spiegelt sich am 13.03.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Rückspiegel eines Porsche 911 Targa 4GTS vor der Jahrespressekonferenz des Unternehmens.
    Porsche-Chef Matthias Müller ist der aussichtsreichste Kandidat für den VW-Chefsessel. (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Christoph Heinemann: Weitere Rücktritte beim Volkswagen-Konzern. Bei den Töchtern Porsche und Audi müssen der für Forschung zuständige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg gehen. Das berichteten Medien gestern. Heute entscheidet der Aufsichtsrat über die Nachfolge von Martin Winterkorn. Als Favorit für den Posten gilt Porsche-Chef Matthias Müller.
    Am Telefon ist Michael Freitag, Experte für die Automobilwirtschaft beim "Manager-Magazin". Guten Morgen.
    Michael Freitag: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Freitag, glauben Sie auch, dass Matthias Müller der neue Volkswagen-Chef werden wird?
    Freitag: Ja, das sieht ganz so aus. Der hat schon lange das Vertrauen der Porsches und der Piëchs, also des Großaktionärs. Die halten zusammen mehr als 50 Prozent der Aktien. Er gilt bei den Arbeitnehmern als sehr guter Manager. Von daher spricht im Moment alles dafür. Voraussetzung ist immer, dass er unbelastet von diesem ganzen Dieselskandal ist, und das scheint offenbar dem Aufsichtsrat so sicher zu sein, dass sie ihn zum Chef wählen können.
    Die Porsche-Führung hatte ihm niemand zugetraut
    Heinemann: Was kann Matthias Müller?
    Freitag: Der Mann kennt den Konzern schon lange sehr gut. Der hat früher bei Audi die Produktstrategie geleitet, der hat danach bei Volkswagen im gesamten Konzern die Produktstrategie geleitet. Das heißt, er war immer zentral in die Auswahl der Modelle, in die Entwicklung dieser Baukästen bei Volkswagen verwickelt, hat das mit gestaltet. Von daher kennt er das Unternehmen sehr gut. Und er hat vor allem in den vergangenen fünf Jahren Porsche sehr erfolgreich geführt. Das hätten ihm viele nicht zugetraut. Porsche galt damals vielen als ein Unternehmen, das nach der Eingliederung in den Volkswagen-Konzern vor dem Absturz stand, oder zumindest nicht mehr so erfolgreich sein würde wie unter Wendelin Wiedeking. Aber jetzt hat er die Absatzzahlen mehr als verdoppelt. Das hätten ihm wenige zugetraut. Die Profitmargen sind ähnlich geblieben wie unter Wiedeking und damit ist Porsche jetzt neben Audi die große Gewinnmaschine dieses Konzerns.
    Heinemann: Herr Freitag, möglicherweise wurde auch bei VW-Tochterunternehmen betrogen. Möglicherweise wurde nicht nur in den USA gepfuscht. Gefährdet dieser Skandal den Volkswagen-Konzern in seiner Existenz?
    Freitag: Zunächst mal: Ich glaube, es wurde nicht bei den Tochterunternehmen gepfuscht oder betrogen. Betrogen wurde da, wo die Motoren entwickelt wurden, und das ist dann eher in Wolfsburg oder da, wo die Motoren dann eben angepasst wurden auf die einzelnen Märkte und auf deren spezielle Regeln, in dem Fall jetzt für die USA, weil die ja strengere Stickoxid-Vorgaben, Vorschriften haben. Was die Gefährdung angeht, da liegen die Dinge schon anders. Keiner weiß im Moment, was wirklich auf Volkswagen zukommt. Die Strafe aus den USA allein wird den Konzern nicht gefährden. Die werden die 18 Milliarden Dollar höchst wahrscheinlich bei Weitem nicht ausschöpfen, die da gesetzlich möglich wären. Aber Schadensersatzklagen - keiner weiß, wie viel das wird und in wie vielen Ländern da etwas auf Volkswagen zukommt. Keiner weiß, wie die Verbraucher reagieren, sprich ob der Absatz einbricht, und wenn ja wie viel. Das ist alles unklar. Man weiß auch nicht, wie viel investiert werden muss, um jetzt die Motoren wieder sauberer zu machen, und auch, um diese elf Millionen Motoren, die da verbaut wurden und in denen diese Betrugssoftware, so nenne ich es mal, installiert wurde, was es kostet, die wiederum hinzubekommen. Also alles ganz schwierig.
    Wenige haben für geringen Vorteil viel riskiert
    Heinemann: Insbesondere in den USA drohen ja sehr hohe Strafzahlungen bei Verstößen und Betrügereien. Können Sie erklären, wieso Entscheider dieses Risiko eingehen?
    Freitag: Wenn Sie das fragen im Moment in Wolfsburg im Management oder in den Werken, das kann keiner wirklich verstehen. Da haben ja einige wenige für einen sehr geringen Vorteil wirklich so viel riskiert und gefährden da das Werk und die Arbeitsplätze von Hunderttausenden. Also da ist gewaltiger Zorn. Aber warum macht man so was? - Ich weiß es nicht.
    Heinemann: Vielleicht eine Begründungshilfe. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb gestern, "Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn hätten VW sehr erfolgreich, aber eben auch nach Gutsherrenart regiert". Und die "FAZ" schrieb dann: "In einem Klima von Leistungsdruck und Einschüchterung werde eher geschummelt." Stimmt bei VW die Unternehmenskultur nicht?
    Freitag: Ja, die Unternehmenskultur ist schon problematisch. Insofern - das ist ja eben auch in Ihrem Beitrag schon angeklungen -, wie Herr Osterloh das da auch gesagt hat, dass es schon vielfach Angst gab, bestimmte Themen anzusprechen. Aber was das Schummeln angeht, das kann man genauso gut anders herum auslegen. Sprich: In der Vergangenheit wurden auch Leute gnadenlos aussortiert, mussten gehen, die bei ähnlichen Aktionen erwischt wurden. Sprich: Da könnte man auch dann sagen, na ja, man darf sich da nichts leisten, sonst ist man draußen. In der Regel ist es ja eher so, dass man schummelt, weil man sich persönliche Vorteile erhofft, sei es ein Lob eines Vorgesetzten, sei es mehr Gehalt und so weiter. Da ist die Verbindung schon schwierig zur Unternehmenskultur.
    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass weltweit auch andere Hersteller Abgaswerte geschönt haben?
    Freitag: Ja, glaube ich schon. Aber die Frage ist, wo es strafbar wird. Wenn Sie zum Beispiel auf Europa gucken, auf die CO2-Emissionen, die ja in Brüssel im Zentrum stehen bislang, da hat die Politik, die Europäische Kommission Werte gesetzt, die sehr schwer zu erreichen sind für 2015, und für 2020/21 ist das auch wieder im Gespräch. Und was ist dann passiert? Diese Werte, die sehr schwer zu erreichen sind, wurden dann hinter den Kulissen aufgeweicht in Gesprächen zwischen Hersteller und Kommission, und zwar wurden die insofern aufgeweicht, als Tests erlaubt wurden unter Bedingungen, die nicht wirklich realistisch sind. Von daher wurden dann plötzlich die Ziele erreichbar. Allerdings die Werte, die Verbrauchswerte sind nicht mehr so wirklich wie im Straßenverkehr und das wusste allerdings die Politik. Von daher: Ist das strafbar? - Eher nicht, oder?
    Heinemann: ... fragt Michael Freitag, der Experte für Automobilwirtschaft beim "Manager-Magazin". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Freitag: Danke Ihnen. Bis dann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.