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Wahl gefälscht und doch davon gekommen?

Die Straße von Mombasa nach Kampala ist eine Staubpiste. Mal ist der Staub rot, mal gelb, mal rußig schwarz. Stellenweise ist die Piste übersäht mit Schlaglöchern, so groß, dass man LKW-Reifen darin versenken könnte. Geländewagen, Eselskarren, Busse und Lastwagen weichen den Kratern im Slalom aus. Die Straße ist die Lebensader des Binnenlandes Uganda, die einzige direkte und einigermaßen passierbare Verbindung zur Küste.

Von Corinna Arndt | 02.05.2008
    Mombasa, Kenias größter Hafen, versorgt nicht nur Uganda, sondern auch Burundi und Ruanda. Als vor gut vier Monaten die kenianischen Wahlen in einem Putsch des alten Präsidenten Mwai Kibaki endeten und ethnische Ausschreitungen weite Teile Kenias lahm legten, wurde auch die Lebensader Ugandas auf kenianischem Boden unpassierbar. Im Hafen von Mombasa türmten sich die Exportgüter auf - in Kampala fehlten sie.
    Erst blieb das Benzin aus. Dann andere Handelsgüter. Plötzlich bangten die Ugander um ihre Zukunft. Ssali Simba vom Institut für Politikwissenschaft an der Makarere-Universität in Kampala auf dem Höhepunkt der Krise:

    "Die meisten unserer Im- und Exporte gehen durch Kenia. Schon deshalb brauchen wir ein stabiles Kenia um jeden Preis. Dazu kommt, dass die Legitimität der Präsidenten in der Region in der guten wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Länder wurzelt. Jeder Wechsel, jeder negative Trend bedeutet, dass das Potential für politische Konflikte wächst; in Uganda möglicherweise, aor allem Burundi und Ruanda. Wir beten für eine Lösung in Kenia. Sonst wird es hier in Uganda sehr, sehr ungemütlich werden."
    Kenia ist das starke Land Ostafrikas. Wenn es in Kenia rumort, dann leidet die Region. Ähnlich die Konstellation im Süden des Kontinents: Wenn Simbabwe brennt, so wie jetzt, dann tragen die Nachbarn die Konsequenzen. Millionen Flüchtlinge sind in Sambia, in Botswana, Malawi und vor allem Südafrika gestrandet.
    Wenn wieder einmal irgendwo auf dem Kontinent ein alternder Despot sich verzweifelt an die Macht klammert, dann haben neben dem eigenen Volk in der Regel auch die Nachbarn ein Interesse daran, dass Demokratie und Stabilität zurückkehren. Und doch scheint es nirgendwo auf der Welt so einfach zu sein, Wahlen zu stehlen, wie in Afrika. Da ziehen Schlägertrupps durch die Straßen, da werden Wahlergebnisse erdichtet und die Siegel an Wahlurnen erbrochen.
    Mit Kenia und Simbabwe hat es in vier Monaten gleich zwei Länder erwischt. Wobei oft vergessen wird: Der Wahlkampf wie der Urnengang selbst liefen in Kenia unerwartet friedlich und fair ab. Gleiches gilt - wenn auch mit Abstrichen - für Simbabwe. In beiden Fällen haben die Wähler ihre Freiheit genutzt und ohne viel Federlesen einen starken Präsidenten in die Wüste geschickt. Das zumindest behauptet die jeweilige Opposition, und Einiges spricht dafür, dass sie Recht hat.
    Das Problem in beiden Fällen: Der starke Präsident weigerte sich zu gehen. Als Mwai Kibaki in Kenia während der Stimmenauszählung seine Felle davonschwimmen sah, legte seine Partei plötzlich eine wundersame Aufholjagd hin. Und als es Robert Mugabe dämmerte, dass er nach 28 Jahren die Parlamentsmehrheit verloren hatte und sein Präsidentenstuhl wackelte, ließ er erst einmal sieben Mitglieder der Wahlkommission verhaften, verschleppte wochenlang das Ergebnis und ließ Oppositionsanhänger systematisch foltern und zusammenschlagen.
    John Akokpari, ein ghanaischer Politikwissenschaftler an der Universität Kapstadt:

    "Es gibt interessante Parallelen zwischen diesen beiden Ländern. Beide Führer haben offensichtlich Wahlfälschung begangen und klammern sich an ihr Amt. Wir hatten ähnliche Versuche in Malawi und Sambia, aber dort sind sie gescheitert. In Kenia hingegen ist Kibaki Präsident geblieben, und in Simbabwe sieht es nicht anders aus."
    Warum, so fragt die Welt, kommen Afrikas mächtige Männer immer wieder davon?
    Um einen Despoten aus dem Amt zu jagen, das zeigt die Erfahrung, braucht es mehr als eine pro-forma-Demokratie und eine passende Verfassung. Politische Krisen dieser Art entwickeln sich im Zusammenspiel zwischen Regime, Volk, politischer Opposition und internationaler Diplomatie. Dabei kommt den Nachbarländern eine besondere Rolle zu. Und genau hier beginnen die Schwierigkeiten.
    Problem Nummer 1: Das Schweigen der Nachbarn. Wo sind sie, die afrikanischen Politiker, die ihren machttrunkenen Amtskollegen brüderlich die Hand auf die Schulter legen und sagen: So nicht!?
    Als die Kenianer um ihre Wahl betrogen wurden, war es Ugandas Präsident Yoweri Museveni, der Kibaki als erster zum Sieg gratulierte. Möglich, dass er hoffte, Stabilität würde seinem Land den Benzinnachschub garantieren. Doch als Vorsitzender der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) reicht seine Verantwortung weiter.
    Als Human Rights Watch kürzlich von Folterzentren in Simbabwe berichtete, äußerte Südafrikas Präsident Thabo Mbeki, von einer Krise könne keine Rede sein. Verständlich, dass er als offizieller Vermittler zwischen den Konfliktparteien neutral bleiben will. Doch auch kein anderer Regierungschef der Region wagte es, Mugabe öffentlich zu kritisieren.
    "Wo sind die Afrikaner?”, fragte Kofi Annan Mitte April nach einem Treffen mit der simbabwischen Opposition. "Wo sind ihre Politiker und die Länder der Region, was tun sie?”
    Viele Afrikaner stellen dieselbe Frage. Zum Beispiel John Akokpari.

    "Wir haben es hier mit einem Trend zu tun. 2005 passierte es in Togo. Dann die gefälschten Wahlen in Nigeria 2007. Kibaki wusste, dass er von afrikanischen Politikern nichts befürchten musste. Und Mugabe springt auf den Zug auf."
    Das Schweigen der Afrikaner steht im krassen Gegensatz zur Rhetorik westlicher Regierungen. Regelmäßig treten deren Politiker vor den Mikrophonen der Weltpresse auf, verurteilen hier, fordern dort - und sind verstimmt darüber, dass die Afrikaner nicht einstimmen in den Chorus.
    Zyniker wissen, warum das so ist: Alle stecken unter einer Decke, alle haben Dreck am Stecken, Demokratie in Afrika funktioniert einfach nicht. Finnigan Wa Simbeye, ein tansanischer Journalist, erinnert sich an den Beginn der Krise in Kenia.

    "Ich war nicht einmal überrascht. Ich wusste es von dem Moment, als Kibaki plötzlich begann, einen Rückstand von einer Million Stimmen aufzuholen. Ich dachte nur, ach ja, das wird ausgehen wie so viele Wahlen in der Region. In Afrika siegt immer der Amtsinhaber. Diese Leute geben sich der Macht hin und scheren sich nicht darum, was das Ausland sagt. Und dann gibt es diese afrikanische Solidarität."

    Die afrikanische Solidarität hat mehrere Seiten. Die geteilte Opferrolle der Kolonialzeit. Die Tatsache, dass geographische Nachbarn sich zuweilen im eigenen Interesse diplomatischer verhalten müssen als Länder auf der anderen Seite des Atlantiks. Und schließlich ein anderes Verständnis von guter Politik: Konsens wird geschätzt, nicht Konflikt.
    Es sind durchaus nicht nur machtversessene Politiker, die den vom Westen favorisierten Konfrontationskurs ablehnen und dafür stichhaltige Gründe anführen. Der sambische Politikwissenschaftler Naison Ngoma, Mitarbeiter am Institut für Sicherheitsstudien in Pretoria:

    "Wie lange zerreißen Großbritannien, die USA und andere sich schon den Mund und beschimpfen Mugabe? Seit Ewigkeiten! Hat es geholfen? Obwohl das doch alles mächtige Länder sind? Natürlich hat es nicht geholfen! Woher nehmen wir die Überzeugung, dass, sobald nun auch Mbeki in einem Statement Mugabe verurteilt, der sich über Nacht ändert?"
    John Akokpari hält dagegen, dass Mbekis jahrelange Versuche, hinter verschlossenen Türen auf Mugabe einzuwirken, ganz offensichtlich gescheitert sind. Der Kuschelkurs der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft SADC sei Teil des Problems geworden.
    "Hätte sich Afrika klar gegen Mugabe ausgesprochen, dann hätte der schon lange abgedankt. Aber die Afrikanische Union und die SADC sind nicht bereit, ihn öffentlich zu kritisieren, und er weiß das. Stattdessen bieten sie Schutz und Rückhalt. Hätte sich Südafrika an die Spitze einer anti-Mugabe-Bewegung gesetzt, wäre das Regime schon lange gefallen."
    Die Simbabwe-Politik Thabo Mbekis gibt Beobachtern seit Jahren Rätsel auf. Erst vor wenigen Tagen hat die SADC ihn erneut als Chefvermittler in Sachen Simbabwe bestätigt. Tatsächlich konnte er im Vorfeld der Wahlen einige wenig beachtete Erfolge erzielen. Ihm ist es zu verdanken, dass die Auszählungsergebnisse der Wahlkreise direkt am jeweiligen Wahllokal ausgehängt wurden, was der Opposition eine unabhängige Zählung überhaupt erst ermöglichte. Doch seit Mugabe wieder Schlägertrupps durch die Straßen ziehen lässt, sieht Mbeki scheinbar tatenlos zu, wie sein Verhandlungserfolg im Nachhinein zunichte gemacht wird. Sicher ist: Mugabe und Mbeki verbindet keine persönliche Freundschaft. Ihre Parteien sind weder historisch eng verbunden noch spricht irgendetwas dafür, dass Mbeki Mugabe schätzt.
    Der Politikwissenschaftler Keith Gottschalk unterrichtet an der Universität des Westkaps und war ehemals im südafrikanischen Widerstand aktiv. Sein Erklärungsversuch ist ein psychologischer:

    "Einen schwarzen Präsidenten dazu zu bringen, einen anderen schwarzen Präsidenten zu kritisieren ist ungefähr so schwierig, wie einen israelischen Politiker davon zu überzeugen, Israels Politik in der Westbank zu verurteilen. Da gibt es ein extremes Widerstreben, ein starkes Gefühl von ethnischer Solidarität und ein Gefühl, dass wir alle einmal Opfer waren und gegen Druck von außen zusammenstehen müssen.
    Was die Situation extrem verschlechterte war die Medienberichterstattung über Simbabwe. Als Mugabe in den frühen 1980er Jahren 20.000 Ndebele-Zivilisten umbrachte, haben sich nur die Katholische Kirche Simbabwes und Amnesty International beschwert. Es starben ja keine Weißen, da war es nicht wichtig. Als Mugabe später innenpolitisch unter Druck geriet, ließ er öffentlichkeitswirksam sechs weiße Farmer totschlagen. Darauf sprang die westliche Presse sofort an, die Fotos der Beerdigung waren in allen südafrikanischen Zeitungen. Für die meisten schwarzen Südafrikaner entstand so der Eindruck, dass die ehemaligen weißen Herrscher Südafrikas sich den ehemaligen weißen Herrschern Simbabwes gegenüber solidarisch zeigten und jetzt von der schwarzen südafrikanischen Befreiungsbewegung verlangten, dass sie gegen die schwarze Befreiungsbewegung Simbabwes vorgehen sollte. Sobald sich dieser Eindruck verbreitete war das der Todesstoß für eine massenhafte Ablehnung Mugabes in Südafrika."
    Für westliche Betrachter mag dies zum Himmel schreien. Politische Gewalt ist schließlich Gewalt und Wahlfälschung Fälschung. Doch die Wunden der Vergangenheit heilen nur langsam. Afrika trotzt der Welt und sucht nach afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme. Und keiner tut das mit mehr Verbissenheit als Thabo Mbeki.
    Regionale Organisationen wie die Afrikanische Union und SADC haben sich hehre Ziele auf die Fahnen geschrieben, aber bisher nur bescheidene Erfolge vorzuweisen. Zum Beispiel in Kenia. Hier hatte die AU vermittelt und Kofi Annan an den Verhandlungstisch geholt. In Simbabwe hingegen hat die SADC die Vermittlungsbemühungen praktisch monopolisiert - ohne dass eine Lösung des Problems in Sicht wäre. Naison Ngoma:

    "In beiden Ländern hätte die Afrikanische Union mehr tun können. Sie hat Kenia zwar nicht den Wölfen überlassen. Sie hat sich eingeschaltet, aber sie hätte mehr tun können. Hunderte Menschen sind gestorben! Das ist völlig unakzeptabel. Als ich im Fernsehen sah, wie sich Kibaki und Odinga schließlich die Hand gaben, wurde ich erst so richtig wütend. Hunderte Menschen mussten sterben, damit die beiden sich einigten!"
    Politischer Wille ist die eine Seite, Ressourcen die andere. Naison Ngoma hat jahrelang für die Afrikanische Union in Addis Ababa gearbeitet und wirbt für Verständnis.

    "Die AU ist zuständig für den gesamten afrikanischen Kontinent. Schauen Sie sich die Zahl der Konflikte hier an, dazu die Höhe des Budgets und die Zahl der Kommissare. Und dann vergleichen Sie das mit der Europäischen Union. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die AU überhaupt das schafft, was sie schafft."
    Doch die Verantwortung, sich gegen ein undemokratisches Regime zu stellen, liegt nicht nur beim Ausland, sondern in erster Linie beim Volk selbst. Beim Volk und der politischen Opposition.

    Problem Nummer 2: Die Schwäche der Opposition. Seit neun Jahren gibt es die simbabwische Oppositionspartei MDC, die Bewegung für Demokratischen Wandel. Erreicht hat sie praktisch nichts. Und in Kenia ist der politische Kompromiss bei genauerem Hinsehen nicht auf landesweite Anti-Kibaki-Proteste zurückzuführen, sondern auf die geteilte Angst der politischen Elite, das Land könnte in einem ethnisch motivierten Bürgerkrieg versinken.
    Die simbabwische Opposition ist schwach. Aufmerksamkeit in ausländischen Medien ist das eine - massenhafte Unterstützung im Land etwas anderes. Als MDC-Führer Morgan Tsvangirai vor kurzem zum Streik aufrief, um das ausstehende Wahlergebnis einzufordern, ließen ihn die Simbabwer im Regen stehen - nicht zum ersten Mal. Die MDC mag angesichts der abschreckenden "Alternative Mugabe" Wahlen gewinnen, aber das Vertrauen in die MDC und die Loyalität gegenüber ihren politischen Führern sind gering. Kritiker behaupten, Tsvangirai und Co. konzentrierten sich mehr auf die internationale Bühne als darauf, zu Hause tragfähige Strukturen aufzubauen. Andererseits hängt die Stärke jeder Opposition auch davon ab, wie viel Spielraum ihr die Regierung lässt. Keith Gottschalk:

    "Obwohl sie mehrheitlich gegen Mugabe sind verhalten sich die Simbabwer in der Öffentlichkeit still aus Angst vor Repression. Streiks funktionieren nicht, weil bei einer Arbeitslosenrate von 80 Prozent niemand seinen Job riskieren will. Und anders als etwa in Südafrika sind die Gewerkschaften schwach."
    In Südafrika hatte es geklappt. Die Welt fieberte mit, als die Südafrikaner wieder und wieder dem Apartheidregime trotzten, bis es schließlich zusammenbrach. Der ANC gilt weltweit als leuchtendes Beispiel einer erfolgreichen Oppositionsbewegung.
    Als Nelson Mandela der Geduldsfaden riss, gab er den friedlichen Widerstand auf, der ANC ging in den Untergrund. Die MDC hingegen lehnt jegliche Gewalt ab und pocht lieber vor Mugabes Richtern auf die Verfassung. Angesichts des fehlenden Rückhalts im Volk mag das eine vernünftige Strategie sein, betont Gottschalk.

    "Sowohl in Simbabwe als auch in Kenia hat die Regierung einen nicht unerheblichen Rückhalt im Volk. Das heißt, dass man ein Viertel oder ein Drittel des Volkes nicht unterdrücken muss, so lange man es ein wenig bevorteilt. Diese Regime halten sich selbst in Krisenzeiten durch Patronage in Verbindung mit Repression."
    Problem Nummer 3: Die Machthaber. Es ist eine Binsenweisheit: Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut. Wie die meisten afrikanischen Präsidenten verfügen Mugabe und Kibaki über ein solches Machtpotential, dass sie kaum noch zu zügeln sind. Eine vom Regime durch die Straßen gejagte Opposition kann nichts ausrichten, wenn das Volk nicht geschlossen hinter ihr steht. Wohlfeile Ratschläge aus dem Westen verhallen ungehört, wenn die Nachbarländer sich in Schweigen üben.
    Afrikanische Diplomaten mögen die besten Absichten haben, mit Hilfe regionaler Strukturen und Organisationen Konflikte zu lösen und die Demokratie in Afrika zu schützen. Doch jedes Mal, wenn ein machthungriger Despot die hehren Prinzipien der Diplomaten verhöhnt und niemand ihm auf die Finger haut, lernen andere potentielle Despoten daraus eines: Du sollst keine Wahl stehlen - aber wenn du es tust, dann ist es halb so schlimm. Dass das langfristig die afrikanische Krisendiplomatie ad absurdum führt, steht auf einem anderen Blatt. Gleichzeitig untergräbt es ohnehin fragile Demokratien und - was noch verheerender ist - das Vertrauen der Afrikaner in demokratische Wahlen.
    Was bleibt vom Traum von einer Afrikanischen Renaissance, den Thabo Mbeki so gern träumt? Möglich, dass Kenia noch einmal mit einem blauen Auge davon kommt. Dass dies auch für Simbabwe gilt, erscheint indessen fraglich.