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Wahl in Berlin
Endspurt an der Spree

Am Sonntag wählen die Berliner ein neues Abgeordnetenhaus. Viele sind nicht zufrieden mit der rot-schwarzen Regierung. Die Umfragen sehen die SPD zwar trotzdem knapp vorn. Am Ende könnte es aber wegen der AfD eher zu einem rot-rot-grünen Bündnis kommen. Und das würde die CDU gern verhindern.

Von Claudia van Laak | 13.09.2016
    Blick in das Abgeordnetenhaus von Berlin - der Plenarsaal des Abgeordnetenhaus von Berlin.
    Im neuen Abgeordnetenhaus könnte es eine rot-rot-grüne Mehrheit geben - aber die CDU will genau das verhindern. (imago)
    "Müller 16" steht auf den knallroten T-Shirts der Wahlkampfhelfer, die bereits leicht verwelkte Rosen mit einem angehängten Gruß von SPD-Spitzenkandidat Michael Müller verteilen. Die beste Laune im Kampagnenteam hat Friday Ogbodo – sehr schwarze Haut, sehr rotes T-Shirt, sehr weiße Zähne.
    "Wir sind eine Gruppe junger Leute, die sich dafür entschieden haben, Michael Müller zu unterstützen, wegen seiner politischen Einstellung. Er ist gut für uns junge Leute, und nicht nur für uns. Es ist nicht wichtig, welche Farbe man hat, welche Religion, wo man herkommt. Seine Politik ist für jeden. Deshalb kommen wir hier zusammen und geben ihm eine ordentliche Unterstützung."
    Obwohl der nigerianische Student in Deutschland gar nicht wählen darf, engagiert er sich für die Berliner SPD. Das sei Integration. Und in gewisser Weise geht es bei der Wahl am Sonntag auch um ihn, den Studenten aus Schwarzafrika. Bleibt Berlin weltoffen und tolerant oder wird es mit einem zweistelligen Wahlerfolg der AfD einen Rechtsruck geben, der das Klima in der Hauptstadt nachhaltig verändert?
    "Das was wir oft formulieren als Offenheit, Toleranz, als Stadt der Freiheit, das ist keine Worthülse, das ist keine Sonntagsrede, sondern das macht unser Zusammenleben aus. Dieses offene, freie und tolerante Zusammenleben in unserer Stadt."
    Wahlkampf-Themen: Wohnungsnot, Mieten, Verdrängung aus dem Kiez
    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller steht auf der kleinen Bühne, mit der rechten Hand hat er das Mikrofon ergriffen, die linke steckt in der Hosentasche des dunkelblauen Anzugs. Weißes, offenes Hemd, unauffällige Brille, schmale Lippen – als Buchhalter-Typ mit Ordnungsfimmel wird Müller von denen verspottet, die ihn nicht für den richtigen Repräsentanten der Weltstadt Berlin halten. Der Glamour-Faktor eines Klaus Wowereit fehlt, dafür präsentiert sich der 51Jährige Müller als hart und verlässlich arbeitender Bürgermeister. Ein wichtiges Thema im Wahlkampf: Wohnungsnot, Mieten, Verdrängung aus dem Kiez – Berlin wächst jährlich um 40.000 Einwohner.
    "Wir haben noch einen alten Mietvertrag, mein Vater und ich. Sehr gut. Nur deshalb können wir auch noch in Berlin-Kreuzberg bleiben. Dennoch habe ich immer die Befürchtung, dass ich, sobald ich meine Ausbildung beendet habe und ich von zuhause ausziehe, dass ich dann meinen Bezirk verlassen muss."
    "Nein, immer, bevor Sie rausgehen aus der Wohnung, bevor Sie einen alten Mietvertrag kündigen - Sie kriegen nie wieder so einen guten Mietvertrag wie diesen alten, jeder neue ist teurer - bevor Sie das machen, nehmen Sie Beratungsangebote in Anspruch, vom Bezirksamt oder vom Mieterverein, und wenn´s gar nicht anders geht, bevor Sie rausgehen, suchen Sie den Kontakt mit einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft."
    Große Gesten, große Versprechen sind Müllers Sache nicht
    Der Regierende Bürgermeister geht auf die Leute zu, anbiedernd oder gewollt kumpelhaft wirkt er dabei nie. Große Gesten, große Versprechen sind Müllers Sache nicht. Seine Stimme wird allerdings lauter, der Ton schärfer, wenn es um die AfD geht. Trotz des Wahlerfolgs der Rechtspopulisten in Mecklenburg-Vorpommern: Der Berliner SPD-Chef bleibt dabei, er will die AfD aus dem Abgeordnetenhaus heraushalten, bezeichnet die Partei, die in Umfragen bei 15 Prozent liegt, sogar indirekt als undemokratisch.
    "Ich finde, es gibt keinen Anlass dafür, die AfD als undemokratisch zu bezeichnen."
    "Das ist ja für uns auch eine Gratwanderung. Wie soll man damit umgehen. Einige sagen, so wie Sie, Ihr überspitzt das, andere sagen, je mehr man über die AfD redet, umso interessanter macht man sie. Auf der anderen Seite muss man sich ja damit auseinandersetzen, sonst kann man auch nicht Politik dagegen machen. Das ist richtig."
    Ein Vater mit zwei Kindern nähert sich, möchte ein Selfie mit Michael Müller.
    "Einmal hier zu mir gucken, das ist ja wunderbar. Sehr gut, vielen Dank."
    Ein gemeinsames Foto, obwohl der in Sri Lanka geborene Arzt ganz und gar nicht mit der SPD zufrieden ist. Besonders die Bildungspolitik ist dem Vater von zwei Kindern ein Dorn im Auge - landet Berlin bei bundesweiten Schulvergleichen doch regelmäßig auf den hinteren Rängen. Der aktuelle Bildungsmonitor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln hat festgestellt: In der Hauptstadt wirkt sich die soziale Herkunft besonders stark auf das Bildungsergebnis aus.

    "Also die SPD war sehr, sehr, sehr lange in Berlin an der Regierung. Und die haben das dort verpasst, das muss man sagen. Meine Tochter wird eingeschult, und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig schulische Bildung ist. Und ich weiß, dass vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund in den entsprechenden Kiezen die Schulen sehr schlecht sind. Das ist ein ganz schlechtes Zeugnis für den Senat der letzten Jahrzehnte."
    Kinder einer Willkommensklasse nehmen in Berlin in der Leo-Lionni Grundschule am Deutschunterricht teil.
    "Die haben das verpasst, das muss man sagen": Berliner beklagen sich über die SPD-Bildungspolitik (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Die Liste der Berliner Ärgernisse ist lang
    Der rot-schwarze Senat bekommt schlechte Noten – nur einer von drei Wählern ist mit der Arbeit der Landesregierung zufrieden. Marode Schulen, der Skandalflughafen BER, nicht funktionierende Bürgerämter, mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales Lageso eine Behörde, die zum bundesweiten Symbol für Verwaltungsversagen in der Flüchtlingspolitik geworden ist. Die Liste der Ärgernisse ist lang. Auch Amtsinhaber Müller macht die Unzufriedenheit der Berliner nicht wett. Bei einer Direktwahl würden nur 44 Prozent für ihn stimmen – Traumwerte sehen anders aus.
    Zudem lagen noch nie in einem Berliner Landtagswahlkampf fünf Parteien so dicht beieinander. Alle Umfragen sehen die SPD knapp vorn.
    Die Christdemokraten haben es in diesem Wahlkampf am schwersten – eingeklemmt zwischen der AfD auf der einen und einem rot-rot-grünen Block auf der anderen Seite. Da braucht es starke Nerven – und die hat der CDU-Spitzenkandidat und frühere Boxer Frank Henkel zweifellos. Ein Fass Bier und 100 Bratwürste haben die Christdemokraten an diesem Nachmittag in Pankow spendiert - und natürlich ihren Spitzenkandidaten.
    "Hallo, hallo. Guten Tag. Ein bisschen viel Rot in diesem Kleid." (Lachen)
    Herausforderer Frank Henkel – groß, bullig, in kurzärmeligem, gestreiftem Hemd – schüttelt Hände, schlägt auf Schultern, trinkt seine vierte Cola an diesem Tag. Ein jovialer Typ mit einer dicken Teflonschicht ist der Innensenator. Und damit das genaue Gegenteil von SPD-Spitzenkandidat Müller, in dem alle wie in einem Buch lesen können. Ärgert sich Müller, werden seine Lippen zu einem schmalen Strich, er wird unleidlich, blafft seine Gesprächspartner an. Henkel bleibt demonstrativ gelassen, selbst bei schlechten Umfragewerten.
    "Meine Damen und Herren, liebe Freunde, herzlichen Dank für die Einladung ..."
    Wie immer in diesem Wahlkampf stellt der christdemokratische Spitzenkandidat die Innere Sicherheit ganz nach vorn. Frank Henkel kritisiert den Doppelpass, will die Polizei mit Elektroschockern ausstatten und fordert ein Burka-Verbot - genau wie zuvor die CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Für die dortigen Christdemokraten zahlte sich dieser Kurs nicht aus, dort überholte die AfD die CDU, was in erster Linie an der Dominanz der Bundespolitik lag – Stichwort Flüchtlinge. Im Berliner Wahlkampf spielt dieses Thema nur eine untergeordnete Rolle – trotzdem weicht Spitzenkandidat Frank Henkel aus, fragt man ihn nach der Flüchtlingspolitik seiner Kanzlerin. Eine Unterstützung für den Merkel-Kurs sieht anders aus. CDU-Mann Henkel bilanziert lieber seine Erfolge als Innensenator. 1.000 neue Stellen bei der Polizei, 200 bei der Feuerwehr, den Verfassungsschutz um 25 Prozent aufgestockt. Weiter so und keine Experimente – das ist sein Motto.
    "Weil das Rennen so eng ist, haben wir gute Chancen, unser Wahlziel zu erreichen. Und das Wahlziel lautet nach wie vor: Wir wollen stärkste politische Kraft werden und das ist auch drin, meine Damen und Herren."
    CDU-Ziel: AfD stoppen und Rot-Rot-Grün verhindern
    AfD stoppen und Rot-Rot-Grün verhindern gibt Frank Henkel als weitere Wahlziele aus. Aber mit wem will die CDU dann koalieren? AfD und Linke scheiden aus, die Grünen haben den Christdemokraten einen Korb gegeben und die Sozialdemokraten wollen lieber Rot-Grün als Rot-Schwarz. Die CDU also alleine zuhause? Frank Henkel lehnt sich zurück, trinkt noch eine Cola und erinnert an die letzten Koalitionsverhandlungen. Bereits vor fünf Jahren wollte die SPD Rot-Grün, entschied sich aber letztlich für Rot-Schwarz.
    "Deshalb bin ich bei dieser Frage ganz, ganz gelassen. Jeder, der jetzt etwas anderes erzählt, das läuft bei mir unter der Überschrift Wahlkampfgeplänkel. Jeder, der das will, kann das tun. Ich kann´s ohnehin nicht ändern. Ein bisschen mehr Demut, ein bisschenmehr Respekt vor dem Wahlbürger würde all denen guttun, die jetzt schon so tun, als wären sie in der Regierung."
    Berlins CDU-Landeschef erinnert sich also gerne, die grüne Spitzenkandidatin Ramona Pop höchst ungern an die letzten Koalitionsverhandlungen. Klaus Wowereit servierte die Grünen eiskalt ab.
    "Vor jeder Wahl entdeckt die SPD in Berlin ihre Liebe zu Rot-Grün und nach jeder Wahl hat sie sich andere Koalitionspartner ausgesucht."
    Das klingt ein wenig eingeschnappt – und so ist es wohl auch gemeint. Fahren doch die Grünen seit den 90erJahren in Berlin gute Wahlergebnisse ein, sie stellen in Friedrichshain-Kreuzberg eine Bezirksbürgermeisterin, Hans-Christian Ströbele holt seit Jahren in Berlin das einzige Bundestags-Direktmandat für die Grünen – trotzdem wollte es bislang nicht klappen mit der Regierungsbeteiligung im Senat. Es blieb bei einem Intermezzo unter Walter Momper.
    "Wir haben nach 10 Jahren Rot-Rot und fünf Jahren Großer Koalition Chaos in den Bürgerämtern, eine unsanierte Infrastruktur, die Stadt wächst und auf dem Wohnungsmarkt ist es drangvoll eng, und auch in Sachen moderne Mobilität hat Berlin einiges nachzuholen. Das ist alles liegengeblieben die letzten Jahre und dafür führen wir auch Wahlkampf."
    Mit der Annäherung von Grünen und CDU ist es vorbei
    Dass es bislang mit der grünen Regierungsbeteiligung in der Hauptstadt nicht klappte, lag auch an der Partei selber. Ein starker links-fundamentalistischer Flügel verhinderte einen Konsens mit den Sozialdemokraten. Und: Mit der zarten Annäherung von Grünen und Christdemokraten ist es vorbei, seitdem Frank Henkel mit einem Law-and-Order-Kurs versucht, die Abwanderung von Wählern in Richtung AfD zu verhindern.
    "Die Berliner CDU hat vor allem in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass sie sich in Richtung Regierungsunfähigkeit tatsächlich bewegt, und dieser Möchte-Gern-CSU werden wir nicht in den Regierung verhelfen in den nächsten fünf Jahren."
    Die Grünen haben sich vorgenommen, die CDU von Platz zwei der Wählergunst zu verdrängen. Diesmal soll es unbedingt klappen mit der Regierungsbeteiligung.
    "Schöner Innenhof ist das hier." Wolliner Straße 70, Berlin-Mitte. Ein saniertes Gründerzeitensemble. Im begrünten Innenhof hängt eine Frau in geblümtem Sommerkleid Kindersachen an die Wäscheleine, ein Vater repariert gemeinsam mit seinem Sohn das Fahrrad. Hier wohnt die Mittelschicht, die im Biomarkt einkauft, sich das Auto mit anderen teilt und den Nachwuchs in den Montessori-Kindergarten schickt. Eine grüne Hochburg also.
    "Guten Tag, darf ich Sie kurz stören….."
    Die grüne Spitzenkandidatin Ramona Pop mit Parteichef Cem Özdemir auf Stimmenfang.
    "Guten Tag, dürfen wir Ihnen eine Information von den Grünen geben?"
    "Ich bin eigentlich Stammwähler, aber ich bin ein bisschen sauer."
    "Warum sind Sie denn sauer?
    "Sie könnten mehr für den Tierschutz tun."
    "Dabei sind wir die Einzigen, die etwas für den Tierschutz tun."
    "Ja. Noch mehr."
    Grüne: fundamentale Vegetarierfraktion
    Dieser Mittdreißiger mit Basecap und schwarzer Hornbrille gehört zur fundamentalen Vegetarierfraktion. Die Grünen seien zu schnell eingeknickt, nachdem sie für ihren Veggie-Day-Vorschlag – wöchentlich einen vegetarischen Tag in öffentlichen Kantinen – viel Prügel einstecken mussten. Der grüne Stammwähler hätte es gerne radikaler. Trotzdem – seine Stimme ist Ramona Pop sicher. Deshalb: Rein ins Haus, den Leuten im Zweifel auch auf die Nerven gehen. Die 38jährige, in Rumänien geborene Politikerin setzt ein Lächeln auf, den Haustürspion fest im Blick.
    "Nazis nein danke" - Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Ramona Pop (3.v.l), und andere Teilnehmer einer Gegendemonstration stehen am 07.05.2016 auf dem Hackeschen Markt in Berlin.
    "Nazis nein danke" - Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Ramona Pop (3.v.l), und andere Teilnehmer einer Gegendemonstration stehen am 07.05.2016 auf dem Hackeschen Markt in Berlin. (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)

    "Hallo, wir sind Ramona Pop und Cem Özdemir. Guten Tag. Wir wollten Ihnen Informationen dalassen zur Abgeordnetenhauswahl."
    "Das ist sehr nett. Das gebe ich Ihnen aber zurück. Obwohl ich Sie beide sehr schätze, bin ich FDP-Mitglied und eifrig dabei, gegen Sie Stimmung zu machen." (Lachen)
    Rechtsanwalt Maximilian Conrad kämpft zusammen mit anderen tapferen Liberalen, für den Wiedereinzug ins Berliner Abgeordnetenhaus. 2011 kam die FDP nur auf 1,8, in den aktuellen Umfragen liegt sie mal bei fünf, mal bei vier Prozent. Die Liberalen haben sich auf ein einziges Thema fokussiert: Sie fordern, nach der Inbetriebnahme des Flughafens BER den innerstädtischen Airport Tegel offenzuhalten. Ein Nischenthema. Aber wir brauchen ja auch nur fünf Prozent – erwidert Conrad.

    "Das Thema Tegel spricht sowohl diejenigen an, die Sorge haben, dass sich der Senat mit dem Projekt völlig übernommen hat als auch diejenigen, die eine bestimmte Vorstellung haben, wie Infrastruktur aussehen soll. Das ist keine Riesengruppe, aber die FDP muss ja auch nicht 20 Prozent für ein Thema begeistern."
    Sollte die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde springen, könnte sie sich sogar über Koalitionsangebote freuen. Eine sogenannte Deutschland-Koalition - Rot-Schwarz-Gelb - wäre eine mögliche, aber wenig wahrscheinliche Variante. Oder eine Ampel unter Führung der SPD? Die AfD wird wohl – wie zuvor in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz - ein Dreierbündnis erzwingen.
    Die Stimmung am Wahlkampfstand der Rechtspopulisten auf der Schlossstraße in Berlin-Steglitz ist gut. Kein Wunder. Ohne größere Anstrengungen erobert die AfD ein Landesparlament nach dem nächsten, das Abgeordnetenhaus wird wohl das zehnte sein. Spitzenkandidat Georg Pazderski – ein ehemaliger Bundeswehroffizier – hat als Wahlziel 15 Prozent ausgegeben.
    AfD: Nicht-Wähler wieder an die Urnen kriegen
    "Darüber hinaus hoffen wir natürlich, und damit tun wir ja auch etwas sehr Demokratisches, dass wir Nicht-Wähler wieder an die Urnen kriegen. Dass die Nicht-Wähler sich entscheiden, und sagen, diesmal will ich wählen, weil ich politisch etwas verändern will."

    Politisch verändern in den Bezirken, denn am Sonntag ist auch Kommunalwahl. Da die hauptamtlichen Stadtratsposten in den 12 Berliner Bezirken – jeder für sich eine kleine Großstadt – nach Proporz vergeben werden, wird dort die AfD vermutlich bundesweit zum ersten Mal politische Verantwortung übernehmen. -----
    Spitzenkandidat Pazderski gehört nicht zu den Radikalen à la Björn Höcke. Mit seinen Positionen könnte der 64Jährige auch Mitglied der CSU sein. Das Geschäft der offen rassistischen Islam- und Flüchtlingshasser überlässt er anderen im Berliner Landesverband, Andreas Wild zum Beispiel, der zum Thema Asylbewerber sagt:
    "Bereits in Deutschland lebende Menschen können wir in spärlich besiedelte Landstriche Deutschlands bringen und sie dort geschützt unterbringen. Wir brauchen dafür Bauholz, Hämmer, Sägen und Nägel, und natürlich darf da nicht jeder raus oder rein wie es ihm gefällt."
    So der private Arbeitsvermittler – Platz 16 der Landesliste – vor einigen Monaten auf einer Kundgebung in Thüringen. Spitzenkandidat Pazderski schwächt ab.
    "Also er hat ja nicht Lager gefordert."
    "Nein, ich bin nicht falsch verstanden worden. In allen Ländern der Welt werden Flüchtlinge in Flüchtlingslagern untergebracht",
    sagt Andreas Wild, der gerade mithilfe einer Schablone das AfD-Logo auf den Bürgersteig der Schlossstraße gesprüht hat. Hier, im alten Westberlin, wollen die Rechtspopulisten – beflügelt vom Erfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern - der CDU die Wähler abjagen. Im Osten – ehemals Hauptstadt der DDR – setzen sie auf diejenigen Protestwähler, die bislang der Linken ihre Stimme gaben.
    Marzahn: schwieriges Pflaster für alle Parteien
    Blauer Himmel über dem Helene-Weigel-Platz in Berlin-Marzahn. Auf den Holzbänken rund um den Brunnen genießen Rentnerinnen und Rentner die Spätsommersonne. Diese DDR-Generation lebt schon seit Jahrzehnten in den Plattenbauten rund um den Platz. Viele von ihnen sehen sich als Wende-Verlierer, könnten diesmal der AfD ihre Stimme geben.

    "Wegen der Arbeitslosigkeit und die ganzen Missstände. Immer ist Geld genug vorhanden – das sage ich als Linker – auf einmal ist gut Geld vorhanden, aber für Ausländer. Aber nicht für einheimische Schulen, Kindergärten. Nicht halt für Deutschland."
    Berlin-Marzahn ist ein schwieriges Pflaster für alle Parteien – jeder Zweite blieb bei den Wahlen der letzten Jahre zuhause. Um die Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, braucht es mehr als einen normalen Infostand. Zum Beispiel eine selbstgekochte Kartoffelsuppe.
    "Wir sind heute hier in Marzahn-Hellersdorf und machen etwas, was die Genossen in Sachsen in die Welt gesetzt haben. Nämlich dass man nicht allein am Stand ist, Papiere verteilt, sondern dass man die Bürgerinnen und Bürger auch zu leckerem Essen einlädt."
    Auf einem Gaskocher steht ein großer Topf, in den Schüsseln ungeschälte Kartoffeln, Zwiebeln, Möhren. Die linke Stadträtin Julia Witt bindet sich eine rote Schürze um, legt los. Kochen verbindet, das zeigt sich auch in Marzahn. Die ersten Neugierigen kommen an den Stand, fragen nach dem Rezept und wollen die Suppe probieren. Eine Rentnerin schenkt den kochenden Politikern einen Strauß Petersilie.
    "Das ist ja so allerliebst. Aber nicht in die kochende Suppe tun…."
    Das Polit-Entertainment kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele bei der Linken sehr, sehr bang den kommenden Sonntag, 18:00 Uhr, erwarten. Stadträtin Julia Witt kennt die Stimmung an der Basis genau.
    "Die AfD schürt ja auch bewusst Ängste. Das geht auch an vielen Familien nicht spurlos vorüber. Das muss und will ich auch als Familienstadträtin und Linke akzeptieren. Ich versuche, die Ängste der Leute ernst zu nehmen. Aber ich möchte auch nicht, dass wir mit künstlichem Aufblasen von Problemen unsere Gesellschaft, das Land Berlin, den Bezirk, ganz Deutschland handlungsunfähig machen."
    Julia Witt hält das saftiggrüne Petersiliensträußchen vor die knallrote Schürze, posiert für die Fotografin.
    "Rot-Grün also…."
    Die Linke stünde für ein rot-rot-grünes Bündnis unter Führung der SPD bereit – die wahrscheinlichste Option nach dem 18. September in Berlin.