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Wahl in Bremen
Entscheidung im "Stammland der SPD"

Am Sonntag wählt Bremen eine neue Landesregierung. Stärkste Kraft werde voraussichtlich wieder die SPD, Rot-Grün sei der sehr wahrscheinliche Plan, sagte Politikwissenschaftler Eckard Jesse im DLF. "Wobei ich jede Wette eingehe, dass die Union dieses Mal vor den Grünen liegt."

Eckard Jesse im Gespräch mit Dirk Müller | 09.05.2015
    Vier Frauen gegen Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD): Wahlplakate zur Bremer Bürgerschaftswahl 2015 mit den Spitzenkandidatinnen Lencke Steiner (FDP), Elisabeth Motschmann (CDU), Kristina Vogt (Linke) und Karoline Linnert (Grüne).
    Wahlplakate zur Bremer Bürgerschaftswahl 2015 (imago / Eckhard Stengel)
    Eine kleine Wahl in einem kleinen Land, aber es ist eine Landtagswahl, morgen eben, der Urnengang in Bremen. Darüber sprechen wollen wir jetzt mit dem Politikwissenschaftler und Parteienforscher Professor Eckard Jesse von der Universität in Chemnitz. Guten Tag!
    Eckard Jesse: Schönen guten Tag, Herr Müller!
    Dirk Müller: Herr Jesse, jetzt haben wir das eben im Beitrag schon anklingen lassen. Ich frage Sie das trotzdem: Kennen Sie Elisabeth Motschmann?
    Jesse: Ja, ich bin Politikwissenschaftler, ich kenne natürlich Elisabeth Motschmann. Allerdings kann man sagen, man kennt sie doch wieder nicht, denn sie war ja ursprünglich lange Jahre typisch konservativ. Und jetzt versucht sie, sich in eine etwas andere Richtung zu entwickeln, und ob das dann authentisch ist, ist eine andere Frage. Sie ist jedenfalls nicht mehr die, die sie vorher war. Und ob das gut ankommt, ist eine andere Frage, wobei ich jede Wette eingehe, dass die Union dieses Mal vor den Grünen liegt. Wegen Fukushima hatten ja seinerzeit die Grünen den zweiten Platz erreicht.
    Ob der Kurswechsel der CDU ankommt, ist noch eine andere Frage
    Müller: Also wir reden von Elisabeth Motschmann, das ist die CDU-Spitzenkandidatin. Sollte keine Fangfrage sein, sondern weil viele ja, die in dieser Woche sich informiert haben über Bremen, zum ersten Mal ja mit diesem Namen konfrontiert wurden. Sie sagen, sie hat sich verändert, sie will jetzt moderner sein - weil sie die Kanzlerin getroffen hat?
    Jesse: Nein, weil sie weiß, wie das Klima in Bremen ist. Und das letzte Wahlergebnis, da war sie die Spitzenkandidatin, das war ja desaströs für die CDU. Und sie versucht, strategisch einen anderen Kurs einzuschlagen. Ob das ankommt, ist noch eine andere Frage.
    Müller: Jetzt hat unsere Korrespondentin Franziska Rattei eben so gesagt, mit Blick auf die Kanzlerin, die das in Bremen ja bei ihrer Wahlkampfkundgebung da noch mal zum Besten gegeben hat, man wählt eben SPD. Nun geht es Bremen ja nun, ich weiß nicht, seit wie vielen Jahrzehnten, nicht gut. Warum wählt man dann immer dieselbe Partei?
    Jesse: Die Sozialstruktur kommt den Sozialdemokraten entgegen. Es ist ein Stadtstaat, das kleinste Bundesland. In Bremen hat die SPD immer den Regierungschef gestellt, und daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern.
    Müller: Egal, wie gut oder schlecht die sind?
    Jesse: Na, ich weiß nicht, ob sie so schlecht sind. Sie machen ihre Sache ganz vernünftig unter Jens Böhrnsen. Und das ist nun mal so: Viele Wähler sagen, es läuft einigermaßen und wir bleiben bei unserer Partei. Es ist ja keine Bundestagswahl, es ist eine Landtagswahl. Und es wäre deswegen verkehrt zu sagen, es ist eine Niederlage für Angela Merkel, wenn die Union nur 22 oder 23 Prozent erreicht.
    Müller: Das hat sie auch mehrfach betont, weil sie das jetzt schon ahnt.
    Jesse: Ja, sicher.
    Bremen ist ein Stammland der SPD
    Müller: Wir haben ja in den vergangenen Jahren immer wieder über Wahlen gesprochen, über die Ergebnisse, versucht zu analysieren. Da waren so zwei, drei Punkte bei mir hängen geblieben, als es da hieß, die sozialen Milieus lösen sich so langsam aber sicher auf. So, das war ein Punkt. Der andere Punkt war, es gibt im Grunde immer weniger Stammwähler und deswegen auch immer weniger traditionelle Parteisympathisanten, und es gibt immer mehr Wechselwähler. Warum trifft das offenbar nicht für Bremen zu?
    Jesse: Bei den Bundestagswahlen sieht das ja anders aus. Da schneidet die CDU etwas besser ab, weil eben die Spitzenkandidatin eine große Rolle spielt. Aber Bremen ist ein Stammland der SPD, und die Union hat es da nicht geschafft, in einem Stadtstaat auf einen grünen Zweig zu kommen. Das muss man einfach sagen, das ist extrem schwierig. Das ist genauso schwierig für die SPD in Bayern. Wenn die CSU verliert, kommt es nicht der SPD zugute. Es gibt nach wie vor Hochburgen, und die Hochburg in Deutschland für die SPD ist Bremen, und die Hochburg für die Union ist Bayern.
    Müller: Ist auch einleuchtend. Bayern kann jeder so nachvollziehen, aus dem Gefühl heraus. Im Ruhrgebiet beispielsweise hat es aber dann eine Veränderung gegeben, durchaus auf einmal CDU-Bürgermeister von Ruhrgebietsstädten, die seit 500 Jahren sozialdemokratisch waren.
    Jesse: Ja, da hat es zeitweise eine Veränderung gegeben. Rüttgers hat einen schwarz-grünen Kurs eingeschlagen. Die SPD war in Nordrhein-Westfalen, in einem großen Bundesland, zum Teil überfordert, Schulden waren sehr stark. Man hatte den Eindruck, man wird abgehängt, gerade, wenn man es vergleicht zum Osten. Da hat es dann die Konsequenzen gehabt. Aber in dem kleinen, beschaulichen Bremen, bei allen Schwierigkeiten, sagen die Leute, wir wissen, was wir haben, und daran wird sich am Sonntag nichts ändern.
    Ja, die Landtagswahl ist wichtig für Bremen
    Müller: Jetzt frage ich Sie, Herr Jesse, noch mal als Politikwissenschaftler. Ist jede Landtagswahl, weil es eine Landtagswahl ist, wichtig?
    Jesse: Ja, die Landtagswahl ist wichtig für Bremen, wobei es kurios ist – Bremen ist ja inzwischen das einzige Bundesland, das nach vier Jahren wieder wählt. Man müsste auf alle Fälle auf fünf Jahre gehen. Andererseits muss man sagen, man müsste eine Verkleinerung der Zahl der Bundesländer erreichen. Aber die Diskussion wird geführt, bringt aber keine Ergebnisse. Man darf also nicht kurzatmig sein – dazu neigt ein Teil der Publizistik, auch der Politik und der Wissenschaft –, dass ist nur eine Landtagswahl in Bremen, mehr ist das nicht. Und deswegen gab es ja auch den Vorschlag, weil die Bundespolitiker sich engagieren müssten, dass man vielleicht die Landtagswahlen zusammenlegt. Aber dann hätte man ja vielleicht gleich zwei Bundestagswahlen. Abgesehen davon, wenn irgendwo eine Regierung zerbricht, würde nach einigen Jahren das auch nicht mehr funktionieren. Nur ich warne davor, am Sonntag zu sagen, oh, die FDP ist reingekommen, Totgesagte leben länger. Man kann umgekehrt sagen, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, beziehungsweise – Hamburg – zwei Schwalben. Die Spitzenkandidatin der FDP ist nicht mal in der FDP. Und umgekehrt sollte man nicht sagen, wenn die AfD scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde, die AfD ist am Ende. Da warne ich davor, ein solches Ergebnis im kleinsten Bundesland überzuinterpretieren.
    An den Machtverhältnissen im Bundesrat wird sich nichts ändern
    Müller: Also doch keine Signalwirkung möglich.
    Jesse: Unter keinen Umständen ist es eine Signalwirkung, wenn wir jetzt unter Umständen sieben Parteien haben in der Bürgerschaft mit "Bürger in Wut", weil die ja in Bremerhaven wahrscheinlich mehr als fünf Prozent erreichen – und in Bremen zieht man ja in die Bürgerschaft ein, wenn man in Bremen oder in Bremerhaven fünf Prozent erreicht –, kann man nicht sagen, dass das irgendwelche bundespolitische Konsequenzen hat. Davor warne ich.
    Müller: Wenn wir am Montag wieder telefonieren würden, ohne dass wir das Ergebnis kennen, ist für Sie aber jetzt auch schon klar, an den Machtverhältnissen im Bundesrat wird sich nichts ändern?
    Jesse: Nein. An den Machtverhältnissen im Bundesrat wird sich nichts ändern. Ich sehe nur, dass die Union vor den Grünen liegt. Und ich bin nicht sicher, und ich zweifle daran, dass die AfD einzieht, weil dort "Bürger in Wut" relativ stark ist. Aber es ist eine kleine Landtagswahl, und wir können froh sein, dass wir jetzt ein Jahr durchregieren können. Erst im März sind drei Landtagswahlen, März 2016.
    Müller: Vielen Dank, Eckhard Jesse, Politikwissenschaftler von der Universität in Chemnitz. Unser Thema, die Wahlen in Bremen, also – es ist das kleinste Bundesland, spannend bleibt es dann trotzdem, auch morgen im Deutschlandfunk ab 17:55 – "Bremen wählt".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.