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Wahl in Bremen
"Kein gutes Ergebnis"

Nach der Bremen-Wahl hat CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn indirekte Kritik an der Kandidatenauswahl seiner Partei geäußert. Zu oft werde ein Bewerber ausgesucht, der der Partei gefalle und nicht unbedingt der Bevölkerung, sagte er im Deutschlandfunk. Die Kandidaten müssten aber zur jeweiligen Stadt passen.

Jens Spahn im Gespräch mit Dirk Müller | 11.05.2015
    Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU
    Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU (imago stock&people / Sven Simon)
    Spahn betonte, dass der Kandidat für ein Spitzenamt auch die Atmosphäre der Stadt kennen müsse. "Ich glaube, wir suchen tatsächlich zu oft den Kandidaten aus, der der Partei gefällt, und nicht immer den, der dann auch die Mehrheit in der Bevölkerung bekommt", sagte Spahn. "Warum schaffen wir es eigentlich stark zu sein, auch Mandate, Bundestagsmandate in den Städten zu gewinnen, aber schaffen es trotz unserer vielen Mitglieder nicht immer, die Kandidaten nach vorne zu stellen, die dann auch Oberbürgermeister werden?"
    Es gebe Stadtteile, in denen die CDU nur bis zu zehn Prozent der Stimmen erhalte. Die CDU hat bei der Wahl in Bremen laut amtlicher Hochrechnung 22,6 Prozent der Stimmen gewonnen. Dies sei für eine Volkspartei kein gutes Ergebnis, sagte Spahn. Zugleich stellte Spahn klar: "Rot-Grün hat massiv verloren. Das sind die Loser."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Wahlen in Bremen, ein herber Rückschlag für Rot-Grün, aber es wird wohl reichen dafür, dass die Koalition unter Jens Böhrnsen fortgesetzt werden kann. Die FDP kommt zurück, die Linken haben Auftrieb, die AfD schafft wohl den Einzug in die Bürgerschaft. Und die CDU? Leichte, ganz leichte Gewinne, jedoch gerade mal knapp 23 Prozent für die Christdemokraten, und das für eine Volkspartei. Was wohl bleibt ist die Schwäche der Merkel-Partei in den Städten. Das Ganze sollte sich ändern, hat sich aber nicht, siehe Hamburg, siehe jetzt auch in Bremen. Mitglied im CDU-Präsidium ist der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn, nun bei uns am Telefon. Guten Morgen.
    Jens Spahn: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Warum ist Ihre Partei eine Partei für Landeier?
    Spahn: Erst mal bin ich selber ein Landei. Das ist nichts Schlimmes. Aber wenn man mal schaut, hat die SPD auf dem Land deutlich mehr Probleme als die CDU in den Städten. Ich wunder mich immer, dass da keiner hinguckt. Wir sind in den Städten ganz oft, jetzt in Bremen zugegebenermaßen nicht, aber ziemlich oft die stärkste Partei, auch in München beispielsweise, in Düsseldorf, in Münster, in vielen anderen Städten, aber schaffen es dann nicht, den Oberbürgermeister zu stellen. Das ist ja die spannende Frage: Warum schaffen wir es eigentlich stark zu sein, auch Mandate, Bundestagsmandate in den Städten zu gewinnen, aber schaffen es trotz unserer vielen Mitglieder nicht immer, die Kandidaten nach vorne zu stellen, die dann auch Oberbürgermeister werden.
    Müller: Gibt es da eine Erklärung?
    Spahn: Ich glaube, wir suchen tatsächlich zu oft den Kandidaten aus, der der Partei gefällt, und nicht immer den, der dann auch die Mehrheit in der Bevölkerung bekommt. Die Kandidaten müssen zur Stadt passen. Ein Ole von Beust, glaube ich zum Beispiel, hätte in München nicht gewonnen und umgekehrt Fritz Schramma, der in Köln sehr erfolgreich war, in Berlin nicht. Ein Kandidat in einer großen Stadt, der muss zur Stadt passen, aus dieser kommen, die Atmosphäre der Stadt leben, und das ist manchmal gar nicht so einfach, da den richtigen Kandidaten zu haben. Zum Zweiten haben wir oft einen zweiten Wahlgang in den Städten, die nicht gleichzeitig Land sind wie jetzt in Bremen, und beim zweiten Wahlgang heißt es dann immer, alle gegen die CDU. Aber da heißt es nicht jammern, sondern am Ende Partner finden und gute Kandidaten.
    "Es kann in Bremen nicht mit Rot-Grün weitergehen"
    Müller: Aber wenn das so ist, das heißt, die Selektionskriterien, innerhalb der Partei den richtigen Kandidaten, die richtige Kandidatin zu finden, das funktioniert nicht?
    Spahn: Das funktioniert nicht immer. Aber ich sehe zum Beispiel: Im September haben wir in Nordrhein-Westfalen Wahlen. In Essen, in Bonn, in Münster, in Köln, überall haben wir gute Kandidaten, die auch wirkliche ernsthafte Chancen haben, die die Favoriten fast sind angesichts der Kandidaten in anderen Bereichen. Ich glaube, es kann da tatsächlich eine Trendwende gelingen. Ich möchte aber eins hinzufügen. Wir reden hier gerade über Bremen. Da hat Rot-Grün zweistellig massiv verloren. Das sind die Loser. Deswegen sollten wir jetzt nicht nur über die CDU und ihre Probleme reden.
    Müller: Na ja, wollten wir aber. 23 Prozent ist ja nicht gerade toll für eine Volkspartei. Was ist da passiert?
    Spahn: 23 Prozent ist tatsächlich für eine Volkspartei kein gutes Ergebnis. Wir haben aber dazugewonnen in Bremen. Wir sind die Zweitstärksten geworden. Aber natürlich müssen wir uns die Frage stellen: Warum gibt es auch in Bremen, warum gibt es in Berlin, in Köln Stadtteile, wo wir nur am Ende acht, neun, zehn Prozent haben und wo es dann tatsächlich schwierig wird. Also was sind die Themen? - Aber ich komme noch mal dahin zurück auf die Personen, mit denen wir bessere Ergebnisse schaffen. Und trotzdem - und das will ich noch mal sagen am Tag nach der Bremen-Wahl: Wenn Rot-Grün zweistellig verliert und Bremen so die rote Laterne hat bei Bildung, bei Schulden, bei Wirtschaftswachstum, dann kann es jetzt in Bremen nicht einfach mit Rot-Grün weitergehen. Dann können wir auch nicht nur eine Debatte über die CDU führen. Dann muss man schon die Frage stellen, warum Herr Böhrnsen jetzt nicht auch etwas mutiger sagt, ich muss einen Koalitionswechsel machen.
    Müller: Danke für den Tipp, werde ich gleich Ralf Stegner fragen um 7:15 Uhr im Deutschlandfunk, den wir dann dazu haben. Ich möchte aber mit Ihnen vor allem noch mal über die CDU reden. Ich habe das richtig verstanden, richtig notiert: Jens Spahn freut sich schon über den zweiten Platz der CDU?
    Spahn: Na ja, man muss immer auf die Ausgangslage schauen. In Bremen haben wir immer es etwas schwerer gehabt. Bremen ist seit fast 70 Jahren von der SPD regiert. Das war ein Wahlkampf, in dem Jens Böhrnsen, der Bürgermeister, die Stadt quasi sediert hat. Ich war selbst ein paar Mal dort im Einsatz. Er ist jeder Debatte ausgewichen, war kaum präsent in der Stadt, hat kaum Wahlkampftermine gemacht. Wenn ich Bremer gewesen wäre, dann hätte ich mich auch gefragt, warum soll ich eigentlich zur Wahl gehen. Es war ja auch eine sehr geringe Wahlbeteiligung und insgesamt ein Umfeld, in dem, glaube ich, alle sich die Frage stellen müssen, warum ist die Wahlbeteiligung so gering und wo ist die CDU von jeher sehr schwer hat. Von daher die schwere Schwarte vom letzten Mal, dass wir nur drittstärkste Partei waren, wieder ausgewetzt zu haben, das war erst mal für uns wichtig.
    "Befinden uns in der Koalition zu oft in der Abwehr des Schlimmsten"
    Müller: Dennoch stellt sich ja die Frage, Herr Spahn: Die Kanzlerin hat das auch gesagt bei Ihren Wahlkampfauftritten in Bremen. Keine Stadt wird so schlecht regiert, keine Stadt hat so viele schlechte Parameter vorzuweisen, bei der Bildung angefangen über die Finanzen und vieles andere mehr. Und dennoch ist die CDU als Alternative nicht stärker. Das muss doch mehr Gründe haben als vielleicht nur die Spitzenkandidatin.
    Spahn: Erst mal hat die Spitzenkandidatin, Elisabeth Motschmann mit großem Einsatz in Bremen gekämpft, wie gesagt in einem schwierigen Umfeld. Offensichtlich waren die Bremer auch nicht zufrieden mit dem, was Rot-Grün da abgeliefert hat, wie gesagt zweistellig verloren. Aber ja - und das muss uns weiter beschäftigen: Was sind die Themen, mit denen wir dann auch in einer solchen Situation uns klarer positionieren können? Und dazu gehören natürlich die Themen wirtschaftliches Wachstum. Bremen hat unterdurchschnittlich sich in den letzten Jahren entwickelt. Ich glaube aber auch ganz stark die Themen innere Sicherheit. Gerade das Thema Einbrüche beschäftigt die Menschen im Moment sehr. Klar müssen auch wir uns die Frage stellen, warum ist es nicht stärker gelungen, deutlich zu machen, wie schlecht Bremen sich eigentlich entwickelt.
    Müller: Das machen die anderen ja auch: Wachstum, innere Sicherheit, Flüchtlinge, Einwanderung, Zuwanderung, Digitalisierung. Sind das Themen, die Sie nicht "vernünftig besetzen"?
    Spahn: Wir haben generell das Problem, jetzt mal losgelöst von Bremen, finde ich, dass wir uns in der Großen Koalition zu oft in Abwehr des Schlimmsten befinden. Eine Mindestlohn-Bürokratie, Arbeitsstätten-Verordnung, das sind alles wichtige Themen, aber das sind alles Defensivthemen. Es geht doch um die Frage, welche Partei gestaltet den digitalen Wandel, und zwar nicht nur, wie gerade bei BND/NSA wieder in Datenhysterie, sondern auch mal in der Feststellung, dass Daten richtig genutzt, mit dem richtigen Datenschutz versehen eine Chance sind, auch eine wirtschaftliche Chance sind. Welche Partei gestaltet das mit einem positiven Verständnis, auch mit dem, was das für die Gesellschaft bedeutet? Die Frage von Freiheit, auch finanzieller Freiheit, Kalte Progression, dass wir das endlich angehen, den Fleißigen auch mehr zu lassen, oder die Frage tatsächlich Flüchtlinge, Asylbewerber, da auch es zu schaffen, die Balance zu halten, die, die Hilfe brauchen, die sind willkommen, aber die, die aus dem Kosovo, aus Serbien kommen und zu über 99 Prozent abgelehnt werden, die müssen das Land auch wieder verlassen, also da eine kluge Balance-Position zu finden. All da haben wir Bedürfnis, das, glaube ich, stärker deutlich zu machen.
    "SPD benimmt sich wie Regierung und Opposition"
    Müller: Sie haben gerade das Stichwort genannt. Wir haben vor wenigen Minuten darüber mit unserem Korrespondenten in Berlin gesprochen. Nicht Kalte Progression, sondern BND/NSA-Affäre und das Klima in der Großen Koalition. Können Sie verstehen, dass die Sozialdemokraten so langsam richtig sauer werden?
    Spahn: Na ja, ich würde verstehen, wenn wir langsam richtig sauer werden. Die SPD benimmt sich mal wieder gleichzeitig als Regierung und Opposition. Man sollte meinen, sie hätten endlich gelernt, dass das nichts bringt, übrigens ja auch in Wahlen nichts bringt, wie wir gerade in Bremen gesehen haben, und ich wundere mich da schon, dass sie sich als Regierungspartei so am Skandalisieren, so an Verdächtigungen und Vermutungen beteiligt, wo sie doch eigentlich dann eher aufklären müsste. Schließlich regiert sie. Ich glaube nicht, dass das ein erfolgreicher Kurs am Ende des Tages ist.
    Müller: Also keine Verantwortung der Union?
    Spahn: Die Dinge werden jetzt in Ruhe aufgearbeitet werden müssen. Das ist natürlich schwierig, wenn es um Geheimdienste geht. Da geht es auch um geheim und die Frage natürlich, was kann man alles öffentlich machen, zumindest für alle öffentlich machen, ohne dass andere Nachrichtendienste in der Welt die Arbeit mit uns einstellen. Wenn man sich darauf verlassen könnte, dass im Parlamentarischen Kontrollgremium mal was drinnen bleiben würde und nicht alles durchgestochen würde, glaube ich, könnte man da auch noch besser informieren. Aber das, was ich bis jetzt mitbekomme, fallen die allermeisten Vorwürfe, die bis jetzt im Raum standen und die da erhoben werden, weitestgehend in sich zusammen. Ich finde, da wird ganz, ganz viel skandalisiert mit wenig Substanz bisher, wenig erkennbarer Substanz, und da erwarte ich von einer Regierungspartei SPD auch etwas mehr Aufklärung und weniger Spekulation.
    Müller: Herr Spahn, die Nachrichten kommen. Vielen Dank, Jens Spahn (CDU), bei uns im Deutschlandfunk an diesem Morgen. Schönen Tag noch.
    Spahn: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.