Dienstag, 16. April 2024

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Wahl-Kämpfe

Nun keifen sie wieder. Kandidat A spricht einen wenig schmeichelhaften Satz über Kandidat B, und der schlägt unbarmherzig zurück. Partei A hat einen Spendenskandal am Hals, was Partei B zur unverhohlenen Schadenfreude gereicht, denn sie hatte einen - und setzt auf das Glaubensbekenntnis aller Parteien: Das Volk ist dumm und vergesslich. Vor dem Spiel ist nach dem Spiel, vor der Wahl ist nach der Wahl, Dauerwahlkampf auf allen Kanälen, und wie hieß es neulich aus den - wie üblich - gutunterrichteten Kreisen? Die neue Regierung, gleich welcher Couleur, hat ein Zeitfenster von sieben Monaten, um notwendige Reformen durchzuführen. Dann nämlich stehen wieder Landtagswahlen an. Der Souverän - gemäß der Demokratietheorie: wir alle - greift sich an den Schädel und fragt sich ernsthaft, ob er in einem Tollhaus lebt oder in einem funktionierenden politischen System?

Florian Felix Weyh | 29.08.2002
    Ja, lautet die Antwort. Doch sicher. Es funktioniert. Nur wie? Leider wie geschmiert. Selbstreferenziell und weitgehend abgekoppelt von gesellschaftlichen Notwendigkeiten. Der Zirkus ums Einwanderungsgesetz hat uns schlagend vor Augen geführt, daß selbst der Schulterschluß gesellschaftlicher Eliten, die sich sonst spinnefeind sind, von Parteipolitikern ignoriert wird, läßt sich irgendwo am Horizont eine Wahl ausmachen. Pompöses Getöse ist dann alles, Inhalte sind nichts mehr, und die Invektiven schwirren nur so durch den Raum. Daß des Wählers Grundgefühl gegenüber diesen heuchlerischen und verlogenen Inszenierungen Ekel sein könnte, ist eine Einsicht, der man sich nachgerade ängstlich verschließt. Dann nämlich stellte sich die Grundfrage, ob Wahl-Kampf a) notwendig und b) in Zeiten knapper Kassen moralisch überhaupt vertretbar ist? Wo man subventionierte Musicaltheater schließt, könnte man mit Fug und Recht die Gelder für überflüssige Politshows streichen.

    Leider stellen sich die Autoren des Aufsatzbandes "Wahl-Kämpfe - Betrachtungen über ein demokratisches Ritual" diese Frage nicht. Ja, sie weichen ihr geradezu systematisch aus. "Wahlkämpfe sind Hochämter in der politischen Alltagsliturgie" heißt es hochtrabend bei Alexander Geisler und Ulrich Sarcinelli, doch markiert dieser Satz das ganze Dilemma einer Politikwissenschaft, die sich selbst als Amtskirche versteht. Zu zweifeln ist nicht ihre Aufgabe, systemkonforme Auslegung ist ihr Ziel. Immer wieder kann sie sich mit der Inszenierung des Mannheimer Parteitags der SPD von 1998 beschäftigen, auf dem Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat inthronisiert wurde. Welche eine Show! Gewiß, so amerikanisch war es nie zuvor in der deutschen Politik zugegangen - aber hatte das für uns, den Wähler, irgendeine Bedeutung? Ja, sagt die eine Fraktion, denn der Inszenierungszauber trug zur Wahlentscheidung bei. Nein, entgegnet die andere Fraktion, denn die Medienforschung hat bis dato nicht einen einzigen hieb- und stichfesten Beweis für die Wirkung von Werbemaßnahmen hervorgebracht. Zu viele Einflußfaktoren, zu wenig nachweisbare Kausalität. Angesichts dieser Tatsache kommen dann Sätze wie jene heraus: "Moderne Wahlkämpfe bedürfen eines Höchstmaßes an Professionalität. Nur wenn es gelingt, die zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einzusetzen, wird sich ein entsprechender Wahlerfolg einstellen."

    Spricht so eine zu kritischen Zweifeln verpflichtete, weil vom Souverän - uns allen - bezahlte universitäre Wissenschaft? Nein, das ist die Sprache von PR-Strategen und Medienagenturen, wenn sie einen Auftrag ergattern wollen. Immer wieder merkt man diesem Buch die fatale Nähe zum erforschten Gegenstand an, und die verkappte Sehnsucht nach einem Seitenwechsel. Das eigene Selbstverständnis scheint nicht mehr den Idealen der Aufklärung entlehnt, sondern dem pragmatischen Ethos der Ingenieurswissenschaften. Für den politisch interessierten Laien taugt derartige Lektüre wenig - möglicherweise verstärkt sie seinen Ingrimm gegenüber dem abgekapselten Politikbetrieb sogar noch weiter. Eine eitle und schwer nachvollziehbare Gliederungsentscheidung der Herausgeber verstärkt das noch. Statt den gut lesbaren, historischen Überblick über bundesdeutsche Wahlkämpfe von Christina Holz-Bacha an den Anfang des Buches zu stellen, wo er hingehört, räumt sich einer der beiden Herausgeber diesen prominenten Platz selber ein und theoretisiert dort munter für die eigene Klientel drauflos. Ein deutliches Zeichen: Laien als Leser unerwünscht. Aber das ist in der Politik ja ganz genauso.