Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Wahlempfehlung amerikanischer Medien wirkt nur "fast marginal"

Die Wahlempfehlungen, die "Endorsements" amerikanischer Zeitungen, waren in der Vergangenheit einflussreich. Heute sind andere Medienformen wichtiger - aber auch die Endorsements zum Beispiel von Schauspielern.

Friederich Mielke im Gespräch Burkhard Müller-Ullrich | 04.11.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Übermorgen wird gewählt in dem komischen Land, das auf dem neuen "Spiegel"-Titel als bettlägeriger, fieberkranker Patient dargestellt wird: "Vom Niedergang einer großen Nation" lautet die Überschrift – und wenn beim "Spiegel" von "Niedergang" die Rede ist, dann weiß man, ohne hinzusehen: Es geht um die Vereinigten Staaten. Also: Übermorgen entscheiden die Amerikaner wieder mal, ohne den "Spiegel" und die Deutschen überhaupt zu konsultieren, wen sie für die nächsten vier Jahre als Präsidenten haben wollen. Jetzt aber Scherz beiseite, denn wir wollen die Rolle der amerikanischen Medien betrachten. Und zwar vor allem eine Tradition, die bei uns undenkbar wäre, nämlich die sogenannten "Endorsements", das heißt: offizielle Wahlempfehlungen der Redaktionen. Dazu jetzt ein paar Fragen an den Amerikaexperten und Komparatisten Friederich Mielke. Diese Endorsements, werden die vom Publikum wirklich ernst genommen? Ich meine: Folgen die Leute in der Wahlkabine dem, was ihnen die Chefredakteure nahegelegt haben?

    Friederich Mielke: Ja, ob das eine Wirkung hat, das ist heute sehr umstritten, weil die Zeitung im Allgemeinen ja nicht mehr diesen starken Einfluss auf die Wähler hat. Aber traditionell hat das eine große Wirkung gehabt. Wenn wir jetzt mal zurückgehen ins 19. Jahrhundert, ins mittlere 19. Jahrhundert, da gab es in jeder amerikanischen Stadt eine, zwei oder drei Zeitungen, die alle unterschiedliche politische Positionen hatten. Sehr schön beschrieben wird das zum Beispiel von Mark Twain in seiner Geschichte "Journalism in the South", wo er erzählt, dass jemand rüberkommt, dem Chefredakteur sozusagen den Colt ins Gesicht hält und sagt, "ich erschieße sie gleich, wenn sie nicht ihre politische Meinung ändern".

    Müller-Ullrich: Das heißt aber, dass die Zeitungen im Grunde Wechselwähler sind. Man kann nicht von vornherein zuordnen, außer vielleicht bei ein paar Großen weiß man es, die "New York Times" ist nun mal demokratisch. Aber bei vielen anderen Zeitungen wird von Fall zu Fall entschieden?

    Mielke: Na ja, ganz so kann man das nicht sagen. Die meisten Zeitungen richten sich natürlich nach den politischen Mehrheiten in den Einzelstaaten. Und dennoch kommt es immer wieder zu spannenden Ausnahmen. Vor vier Jahren, als sich insgesamt über 30 republikanische Zeitungen gegen den damaligen Kandidaten John McCain und Sarah Palin ausgesprochen haben. Man hat den Wählern empfohlen, in republikanischen Staaten wie zum Beispiel Indiana, aber auch in Texas und ganz besonders selbst in Alaska, den Obama zu wählen, weil eine Vizepräsidentin Sarah Palin ja unmöglich wäre und das müsse man verhindern. Also, grundsätzlich ja, grundsätzlich haben diese Zeitungen ihre politische Richtung, aber es kommt immer wieder zu spannenden Ausnahmen.

    Müller-Ullrich: Wie einflussreich sind denn solche "Endorsements" überhaupt? Ist das nur eine Folklore oder kann man auch ablesen, dass die Wähler dem Votum der Redaktionen folgen? Oder ist es umgekehrt, dass die Publizisten einfach nur schon die Stimmung spüren und früher ausdrücken?

    Mielke: Ja. Ursprünglich hatten diese "Endorsements" schon einen gewissen Einfluss, eine gewisse Macht. Heute ist das fast marginal. Heute sagen viele Medienwissenschaftler, das ist alles nur ein Versuch der Zeitungen, sich noch mal in Szene zu setzen. Denn die Wirklichkeit sieht so aus, dass 50 Prozent der Amerikaner ihre Nachrichten aus dem Fernsehen holen und schon 40 Prozent aus den Onlinemedien und 30 Prozent aus dem Radio und nur 29 Prozent noch aus den Zeitungen. Das heißt, die Zeitungen sind, was das Nachrichtengeschäft betrifft, schon fast auf dem Wege der Marginalisierung, und da sind solche "Endorsements", solche Wahlempfehlungen, dann eben auch nicht mehr ganz besonders einflussreich.

    Müller-Ullrich: Gibt es denn diese "Endorsements" nur von der Printpresse?

    Mielke: Nein, nein. Und es ist ganz spannend, diese "Endorsements". Das betrifft die gesamte öffentliche Welt Amerikas, also hauptsächlich sogenannte Prominente. Wenn Sie da hineinschauen, gibt es Wahlempfehlungen, öffentlich verkündet von ehemaligen Präsidenten. Da äußert sich dann Jimmy Carter, oder auch Bill Clinton. US-Senatoren äußern sich öffentlich, Gouverneure, ehemalige Minister. Zum Beispiel Colin Powell, der ja für Bush Außenminister war, der votiert dann öffentlich jetzt für Barack Obama. Generäle, zum Beispiel der berühmte Wesley Clark, der ja Präsidentschaftskandidat 2004 war. Dann kommen die Bürgermeister, Gewerkschafter und auch die Schauspieler sind ganz wichtig. Für Obama sprechen sich da öffentlich aus Al Pacino oder Brad Pitt oder auch Robert Redford. Und beim Fernsehen und im Radio sind es eben die Persönlichkeiten, die über diese Medien bekannt sind. Da bietet sich beim Fernsehen zum Beispiel die Oprah Winfrey an, die sich dann mit großem Getöse für Obama ausspricht. Und entsprechend geschieht das Ganze auf der anderen Seite für den Mitt Romney auch. Hinzu kommen dann auch noch Musiker, Schriftsteller, Sportler, Basketballspieler, Nobelpreisträger und auch Pornostars.

    Müller-Ullrich: Steht das nicht in einem interessanten Gegensatz zu der Tatsache, dass in der Bevölkerung – das ist jedenfalls meine Wahrnehmung – in Amerika eigentlich ungern über Politik gesprochen wird - im Familienkreis, gerade jetzt auch in dieser aufgeheizten Stimmung, die sich breitgemacht hat in den USA seit vielleicht schon über zehn Jahren, dass man im Privatleben, auch im Berufszusammenhang Politik ausklammert? Sind das also Stellvertreterhandlungen, wenn jetzt solche öffentlichen Figuren dann eben extrem politisieren?

    Mielke: Ja, das kann man tatsächlich so feststellen. Es ist kein guter Ton, wenn man eingeladen ist auf einer Party, einer Geselligkeit bei Freunden oder Bekannten, gleich dort sozusagen mit der Tür ins Haus zu fallen und Romney/Obama zu diskutieren. Das macht man in Amerika wirklich nicht. Aber auf der anderen Seite: In der Öffentlichkeit tobt sich da der Wahlkampf dann durch diese Stellvertreter aus. Insofern können wir sagen: ja, im Privaten keine Politik, aber in der Öffentlichkeit desto mehr, desto stärker.

    Müller-Ullrich: Friederich Mielke, vielen Dank für diese Auskünfte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:

    Die US-Wahl in den Programmen des Deutschlandradios

    Alle Beiträge des Deutschlandradios zur US-Wahl 2012