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Wahlen in Ägypten
Parteien so gut wie chancenlos

Nur ein Fünftel der knapp 600 Sitze im ägyptischen Parlament werden über Wahllisten an Parteien vergeben. Der Rest geht an Einzelkandidaten, von denen die meisten mit der Mubarak-Clique verbunden sind, die Ägypten 30 Jahre lang regiert hat. Darum empfinden viele Kandidaten die Parlamentswahl eher als "geschlossene Gesellschaft".

Von Elisabeth Lehmann | 10.10.2015
    Ein Café im Zentrum von Kairo. Khaled Dawoud hat es eilig. Er ist im Wahlkampf, tritt für die Oppositionspartei Dustour an. Er hat lange mit sich gehadert, ob er die Parlamentswahl boykottieren soll oder nicht. Denn er weiß schon jetzt, dass er eigentlich keine Chance hat. Seine Partei ist relativ neu, klein und hat wenig Geld. Sie tritt für den Parteien-Zusammenschluss "Ägyptens Erwachung", eine der vier Wahllisten im Land, an.
    "Wir haben von der Regierung gefordert, diese Listen gemäß den Regeln einer Verhältniswahl aufzustellen. Wenn meine Partei also 20 Prozent von den 45 Kandidaten, die auf der Liste stehen, gewinnt, dann könnten wir fünf Sitze bekommen. Aber die Regierung hat eine Mehrheitswahl daraus gemacht.
    Das heißt, wenn du über 50 Prozent der Stimmen gewinnst, bekommst du alle 45 Sitze. Das ist vollkommen unfair. Ich habe 20 Prozent gewonnen, warum sollte ich denn meine Stimmen an dich abtreten?"
    Nor Dekoration
    Nur ein Fünftel der knapp 600 Sitze im Parlament werden über Wahllisten an Parteien vergeben. Der Rest geht an Einzelkandidaten, von denen die meisten mit der Mubarak-Clique verbunden sind, die Ägypten 30 Jahre lang regiert hat. Doch die Wahllisten seien sowieso nur Dekoration, kritisiert Dawoud.
    Immerhin: Das Verfassungsgericht hat der Regierung die Vorgabe gemacht, dass auch Minderheiten im Parlament vertreten sein müssen. Frauen, Kopten oder etwa auch Behinderte hätten kaum eine Chance, wenn sie als Einzelkandidaten anträten. Aber auch für Khaled Dawoud selbst wäre es sehr schwer:
    "Ich habe in meinem Wahlbezirk Innenstadt zwei, drei Gegenkandidaten, die auch schon für die Mubarak-Partei NDP angetreten waren. Die haben unvorstellbare finanzielle Möglichkeiten, die ich nicht habe. Sie können am Wahltag 5- bis 10 000 Menschen an die Wahlurne bringen. Sie können Wähler auch direkt bestechen. Das kann ich mir nicht leisten.
    Ja, ich habe Ideen, ein Programm, ich will das Land verändern. Aber ich habe nicht das Geld, um nach den Regeln zu spielen, die noch unter Mubarak installiert worden sind."
    Kritik am Wahlgesetz
    Anfang August hat die Oberste Wahlkommission den Termin für die Registrierung der Kandidaten endlich verbindlich festgelegt. Zuvor ist die Wahl mehrfach verschoben worden. Und noch im Frühjahr hatte das Verfassungsgericht den Zuschnitt der Wahlkreise aufgehoben. Das Wahlgesetz sollte danach noch einmal überarbeitet werden. Wasserdicht sei es bis heute noch nicht, klagt Naser Amin. Er war Mitglied im Verfassungsrat, hat also die aktuelle Verfassung mitgeschrieben:
    "In der neuen Verfassung wollten wir eine Art Immunität für das Parlament einbauen, damit es nicht wieder aufgelöst werden kann. Deswegen haben wir festgeschrieben, dass alle Einwände gegen das Wahlgesetz abgeschlossen sein müssen. Und zwar vor der Wahl! Aber die Regierung hat das inzwischen gekippt.
    Das Verfassungsgericht hat also jetzt das Recht, jederzeit gegen das Parlament vorzugehen, auch auf Geheiß der Regierung. Und die Regierung wird das immer dann nutzen, wenn sie merkt, dass das Parlament nicht kooperieren will."
    Nasr Amin gehört offiziell dem Regierungslager an. Er ist Mitglied des staatlichen "Nationalen Gremiums für Menschenrechte". Trotzdem kritisiert er Präsident Abdel Fattah Al Sisi und dessen Minister ganz offen:
    "Die Regierung mag keine politischen Parteien, egal ob das Islamisten sind oder nicht. Sie will so viel wie möglich Einzel-Abgeordnete im Parlament, damit sie aus denen eine Koalition bilden kann. Damit beginnt die Regierung jetzt schon.
    Sie wählt schon jetzt Personen aus, die in bestimmten Wahlkreisen antreten. Die Regierung unterstützt diese Kandidaten ganz offen. Und die werden sich dann im Parlament absprechen, um wiederum die Regierung zu unterstützen."
    Amin nennt die neue Volksvertretung schon jetzt "das schlechteste Parlament aller Zeiten". Denn all jene, die nach der Revolution vor gut vier Jahren von einem besseren Ägypten geträumt hatten, werden jetzt nicht mehr antreten.
    Nicht jeder darf mitmachen
    Zu dieser Gruppe gehört wohl auch Ziad Al Alimy. Der Anwalt sitzt in seiner Kellerwohnung auf dem Sofa. An den Wänden hängen Fotos von der Revolution. Al Alimy war vom ersten Tag an auf dem Tahrir-Platz, hat dort ausgeharrt, bis Langzeitpräsident Hosni Mubarak schließlich seinen Stuhl räumen musste.
    2012 hat er sich ins Parlament wählen lassen, weil er dachte, er könne etwas verändern. Dann wurde die Volksvertretung aufgelöst. Die Frage, ob er denn diesmal kandidiere, zwingt ihm nur noch ein müdes Lächeln ab:
    "Die Wahlen sind eine geschlossene Gesellschaft und nicht jeder wird dazu eingeladen. Wenn du allerdings mitmachen willst, musst du genau schauen, was auf deiner Einladung steht. Ob du gewinnst, oder, ob du nur Opposition spielen darfst."
    Al Alimys Prognose für das neue Parlament ist genauso düster wie die von Nasr Amin. Beide sind sich einig: Eigentlich sei es sogar egal, wer gewählt werde. Das Parlament - da sind sich beide sicher - werde sowieso bald wieder aufgelöst.