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Wahlen in Chile
Ex-Präsident erneut auf Erfolgskurs

Korruptionsskandale, stockende Wirtschaft: 70 Prozent der Chilenen sind laut Umfragen mit der aktuellen Regierung unzufrieden. Deswegen stehen die Chancen gut für den Vertreter der Rechten, Sebastian Piñera, der bereits einmal an der Regierung war.

Von Anne Herrberg | 18.11.2017
    Verspricht bessere Zeiten für Chile: Ex-Präsident Sebastian Piñera gilt als Gewinner-Typ
    Ex-Präsident Sebastian Piñera könnte die Wahl am 19. November gewinnen. (Deutschlandradio / Anne Herrberg)
    Stolz hält Michelle Bachelet die dunkelblaue Akte in die Kameras, winkt ins Publikum, das sich im Innenhof des Regierungspalastes Moneda versammelt hat. Es ist Mitte September, kurz vor Ende ihrer Amtszeit, und Chiles Präsidentin hat gerade die Reform des absoluten und strikten Abtreibungsverbotes unterzeichnet.
    Es war eines der zentralen Wahlversprechen der inzwischen 66-jährigen Sozialistin und ersten Frau an der Spitze dieses erzkonservativen Landes. Chile, so hatte sie vor vier Jahren angekündigt, sollte nicht nur wirtschaftlich blühen, sondern auch moderner werden, weltoffener und sozial gerechter. Bei der Wahl am Sonntag geht es auch um ihr politisches Erbe.
    "Ohne Zweifel: Heute ist Chile ein besseres Land geworden. Vielen Dank!"
    Doch das sehen die meisten Chilenen anders. Versprochene Bildungs- und Renten-Reformen blieben Stückwerk, die Wirtschaft wuchs langsamer, dazu kam eine Reihe von Korruptionsskandalen. Glaubt man Umfragen, sind 70 Prozent der Bürger unzufrieden mit der scheidenden Regierung
    Wirtschaftswachstum geriet ins Stocken
    Straßenwahlkampf zwischen Sardinen, Kabeljau und Krustentieren. Alejandro Guillier, offiziellen Nachfolgekandidat Bachelets, ist auf dem Fischmarkt in San Antonio unterwegs, eine Hafenstadt rund 100 Kilometer von Santiago entfernt am eisblauen Pazifik. Am Horizont recken sich moderne Industrie-Kräne in den Himmel. San Antonio soll zum größten Containerhafen in Zentralchile ausgebaut werden, doch das Projekt kam ins Stocken, parallel zum Wirtschaftswachstum. Die Exporte brachen ein, die Arbeitslosigkeit nahm zu. Guillier sagt:
    "Unser Problem ist, dass wir hauptsächlich Rohstoffexporteure sind. Unsere Wirtschaft hängt stark von den Schwankungen der Weltmarktpreise für Kupfer und unserer anderen Exportprodukte ab. Das ist ein strukturelles Problem: Der Schlüssel liegt in der Bildung und in der Diversifizierung. Lösungen haben wir auf den Weg gebracht."
    Doch in der einstigen Hochburg der Linken glauben viele den Versprechen nicht mehr, wie Jonathan Varas. Seiner kleinen Logistikfirma sind in diesen Jahren 20 Prozent der Aufträge weggebrochen.
    "Diese Regierung war nicht gut für die Wirtschaft. Ich habe eine Familie zu ernähren, muss meine Rente und die Kredite abbezahlen. Wir brauchen mehr Arbeit und nicht nur schönes Gerede. Ich vertraue da mehr auf Piñera, der weiß, wie man Investitionen und Kapital anlockt."
    Gute Umfragewerte für Ex-Präsident Piñera
    Zumindest hat er die besten Aussichten. Sebastian Piñera, Ex-Präsident und Vertreter der Rechten, hat die Presse auf den Stadtberg San Cristobal geladen. Im Hintergrund die Andengipfel, im Tal die gläsernen Wolkenkratzer von Santiagos Geschäftsviertel. "Vamos Chile","Auf geht’s Chile!" heißt sein rechts-konservatives Bündnis – es führt die Umfragen an.
    "Chile ist wie ein Auto mit festgezogener Handbremse, wir müssen wieder den Weg des Fortschritts und der Entwicklung einschlagen. Das bedeutet nicht nur wirtschaftliches Wachstum. Es bedeutet auch, gegen Gewalt und Kriminalität vorgehen. Es bedeutet aber auch, die Schwächsten zu unterstützen."
    Mal Hardliner, mal Wohltäter – Sebastian Piñera, selbst steinreicher Unternehmer, regierte Chile bereits zwischen 2010 und 2014. Damals boomte die Wirtschaft mit Rekordraten, doch gleichzeitig explodierte der Unmut auf den Straßen: Studenten protestierten im ganzen Land für mehr soziale Gerechtigkeit. Schließlich ist Chile zwar stolzes Mitglied im Reiche-Staaten-Club OECD, aber gleichzeitig das Land mit der größten Schere zwischen Arm und Reich. Ein soziales Netz existiert praktisch nicht. Wer sich nicht selbst helfen könne, rutsche ab, sagt Pamela Aucares, die in einem Armenviertel am Rande der glitzernden Hauptstadt lebt.
    "In diesem Land geben die Mächtigen uns Armen keine Chance. Sie wollen nicht, dass die Armen aufsteigen, denn sie brauchen uns doch als billige Arbeitskräfte, während sie sich einen schönen Lenz machen. Und wenn du dein Recht einfordert, dann schmeißen sie dich raus."
    Dass in den letzten Jahren jede Menge Korruptionsskandale ans Licht kamen – quer durch alle Parteien – lässt Pamela Aucares zweifeln, ob sie überhaupt noch wählen gehen soll. Das Vertrauen in die Politik und ihre Versprechen hat sie, wie viele Chilenen, längst verloren.
    Vertrauen in Politik erschüttert
    Dreh für den Wahlkampfspot der Frente Amplio – das Breite Bündnis ist eine linke Bürgerbewegung, geboren aus den Studentenprotesten. Sie ist gerade mal ein Jahr jung und präsentiert sich erstmals als dritte Kraft. Denn seit Ende der Militärdiktatur 1990 stellten in Chile immer nur zwei große Bündnisse die Regierung: Mitte-Links oder Mitte-Rechts. Spitzenkandidatin Béatriz Sanchez setzt auf die von den Politikverdrossenen:
    "Die Frage ist: Wollen wir Chile verändern und endlich das Erbe der Diktatur abschütteln oder nicht. Wir sind in den letzten 20 Jahren einem Rezept gefolgt, in dem die immer gleiche Elite die Regeln festgesetzt hat. Das Ergebnis waren Klüngel und Korruption. Die einzigen, die für einen wirklichen Wandel stehen, sind wir. Wir brauchen eine Politik, die alle mit einbezieht, in einem offenen und ehrlichen Dialog. Das fehlt in Chile."
    Viele vergleichen die Frente Amplio mit linkspopulistischen Parteien wie Podemos in Spanien – auch in dem Sinne, dass die Bewegung unfreiwillig den Rechtskonservativen in die Hände spielen könnte. Je zersplitterter das Mitte-Links-Spektrum, umso mehr Stimmen für Piñera. Der Zweitplatzierte, Mitte-Links-Kandidat Guillier, hätte in einer Stichwahl nur dann eine Chance, wenn ihn die Frente Amplio unterstützen würde. Bisher deuten die Umfragen eher darauf hin, dass sich auch in Chile – ähnlich wie in den Nachbarländern, Argentinien, Peru und Brasilen – der Rechtsruck in der Region fortsetzen wird.