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Wahlen in Italien
Das tiefe C

Noch steht der Termin für die nächste Parlamentswahl in Italien nicht fest, aber die Politik ist schon im Wahlkampfmodus. Bis in die 1990er-Jahre war die Demokrazia Cristiana die beherrschende Kraft, dann versank sie in Affären und Skandalen. Doch wer beerbte die Christdemokraten?

Von Thomas Migge | 17.07.2017
    Er verkörperte jahrzehntelang die DC - der inzwischen verstorbene Giulio Andreotti
    Er verkörperte jahrzehntelang die DC - der inzwischen verstorbene italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti. (picture-alliance / dpa / Donatella Giagnori )
    "Oh, weiße Blüte". Der Text der Hymne wurde zu Beginn und zum Ende jedes Parteitags der Democrazia Cristiana, der italienischen Christdemokraten DC, gesungen. Von 1942 bis 1994, also ganze 52 Jahre lang.
    Der Text der Hymne wurde, passend zur Parteiausrichtung, von Dario Fiori verfasst, einem katholischen Geistlichen, der in der Toskana politisch aktiv war.
    Jahrzehntelang berichteten die Medien ausführlich über alles, was in der DC, der mächtigsten Nachkriegspartei Italiens geschah. Alcide De Gasperi, Francesco Cossiga, Aldo Moro, aber vor allem der siebenfache Regierungschef Giulio Andreotti verkörperten die eherne Macht der italienischen Christdemokraten. Einer Partei, die lange allein und später in wechselten Koalitionen regierte, und die dann 1994, in Folge zahlloser Korruptionsskandale und interner Auseinandersetzungen auseinanderbrach. Cirino Pomicino, einer der einflussreichsten Politiker der Christdemokraten in den 1970er und 1980er Jahren erklärt:
    "Wir haben das demokratische Leben dieses Landes bewahrt, vor vielen Gefahren: die kommunistische und die terroristische Gefahr, die Italien in seinen Grundfesten, die unsere Demokratie bedroht haben. Wir haben diese Demokratie gerettet."
    Keine eigene Partei für Christdemokraten
    Nach dem Ende der italienischen Christdemokraten entstand ein christdemokratisches Vakuum. Das noch bis heute existiert. Keine der großen Parteien, die bei den vielleicht in diesem Herbst vorgezogenen Parlamentswahlen in den Ring der italienischen Wahlarena steigen, nennt sich noch "christdemokratisch" oder verweist in ihrem Parteiprogramm dezidiert auf christdemokratische Werte wie die alte DC, oder die deutsche CSU und CDU.
    Italien ist heute ein Land ohne eigene Partei für Christdemokraten. Ein politisch-historisches Unikum im durchweg katholischen Italien. Denn: die Mehrheit der Italiener, fast 80 Prozent, sind Katholiken, und zirka 65 Prozent von ihnen bezeichnen sich auch als praktizierende Katholiken.
    Ende der DC 1994
    Nach dem Ende der DC 1994 versuchten verschiedene Parteien das christdemokratische Erbe anzutreten - und gerierten sich als die einzig wahren Nachfolger. Neben einigen kleinen Parteien, angeführt von ehemaligen DC-Parteigrößen, tat sich vor allem Medien-Zar Silvio Berlusconi als selbst ernannter Haupterbe der DC hervor. 1994 erklärte er diesen Anspruch in einem seiner Fernsehsender folgendermaßen:
    "Ich hatte acht Tanten, die Nonnen geworden waren. Nur noch eine davon ist am Leben, aber die hat mich sehr beeinflusst. Sie war immer der Meinung, dass ich ein ausgezeichneter Kardinal geworden wäre."
    Berlusconis Ansprüche auf das ideelle Erbe der italienischen Christdemokraten, also auf Millionen von Wählern, wirkten anfangs halbwegs überzeugend - schien er doch in gewisser Weise das durch das Ende der DC entstandene politisches Vakuum im Mitte-rechts-Wählerbereich zu füllen.
    Das sah man in den 1990er und frühen 2000er-Jahren auch im Vatikan und bei der italienischen Bischofskonferenz so. Einflussreiche Kardinäle hofften, dass auch die Regierungen von Berlusconi, wie zuvor die Christdemokraten DC, der katholischen Kirche gegenüber einen besonders aufmerksamen Kurs fahren. Das taten sie auch - aber der zunehmend skandalöse private Lebenswandel des Multimilliardärs stieß immer mehr katholischen Wählern und dann auch federführenden Geistlichen im Kirchenstaat sauer auf.
    Lega Nord als Nachfolger?
    Vor allem unter Papst Benedikt XVI. zog sich der Vatikan aus dem politischen Geschäft Italiens heraus. Papst Franziskus erklärte 2015, während einer Audienz, ganz offen das Interesse seiner Kirche an einer christdemokratischen Partei für beendet:
    "Eine Partei für Katholiken? Nein, die brauchen wir nicht. Klar, ein Katholik soll, muss Politik machen."
    Aber eben nicht in Form einer christdemokratischen Partei, die darauf hofft, den Segen des Papstes und seiner Kirche zu erlangen. Diese Zeiten, so Papst Franziskus, seien vorbei.
    Und doch versuchen verschiedene italienische Parteien auf ihre Art das christlich-katholische Erbe nicht nur zu bewahren, sondern es nach eigenem Bekunden zu verteidigen: gegen immer mehr Muslime, gegen Lesben, Schwule und Transmenschen, die immer mehr Rechte einfordern, gegen jene Parteien, die Homosexuellen die Ehe versprechen, die in der Familie nicht mehr die Keimzelle des Staates erkennen. Der Chef der rechten Partei Lega Nord Matteo Salvini hat sich zum Kreuzritter für christliche Werte gegen den Vormarsch des Islam in Italien ernannt. Mit Erfolg:
    Seine Partei kommt landesweit auf immerhin 13 Prozent. In Norditalien auf sogar 30 Prozent. Matteo Salvini kritisiert inzwischen sogar offen Papst Franziskus, den er als viel zu, Zitat, "nachgiebig und soft" bezeichnet. Salvini vor kurzem in einem Rundfunkinterview:
    "Papa Francesco erklärte: Wir bitten um Vergebung für diejenigen, die ihre Türen für Einwanderer verschließen. Wie viele Einwanderer hat denn der Vatikan aufgenommen? Mit allem Respekt diesem Papst gegenüber - er sollte mehr Not leidende Italiener treffen und nicht nur Einwanderer!"
    Verteidiger christdemokratischer Werte
    Die Lega Nord unter Matteo Salvini, aber auch eine Vielzahl kleiner Parteien, verstehen sich heute als Verteidiger christdemokratischer Werte - allerdings nicht mehr unter den gleichen Vorzeichen wie die Democrazia Cristiana. Sie hatte immer versucht, möglichst viele gesellschaftliche Strömungen in sich einzugliedern. Die DC dachte und handelte pragmatisch - und nur selten ideologisch.
    Die neuen, selbst ernannten Verteidiger christlicher Werte Italiens treten hingegen ideologisch militant auf, sind ausländerfeindlich, identitätsbewegt, sind rechts bis rechtsaußen und stehen der katholischen Kirche, jedenfalls der von Franziskus, kritisch bis feindlich gegenüber.