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Wahlforscher: Es wird sehr schwierig für Steinbrück

Peer Steinbrück werde es in der direkten Konfrontation mit Bundeskanzlerin Angela Merkel schwer haben, sagt Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen. Was Wertschätzung innerhalb der Bevölkerung angehe, sei der SPD-Kanzlerkandidat derzeit nicht auf Augenhöhe.

Matthias Jung im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.12.2012
    Friedbert Meurer: Am 22. September 2013 soll der nächste Bundestag gewählt werden. Zurzeit liegt in den Umfragen die CDU klar vorne mit etwa 40 Prozent. Ihr Problem ist eindeutig im Moment die FDP. Schwarz-Gelb verfügt über keine Mehrheit mehr. Die FDP kommt in den Umfragen weiterhin auf keine fünf Prozent. Die Lage ist aber noch komplizierter. Komplizierter gegenüber früher geworden. Neben Grünen und Linken gibt es jetzt auch neue Mitspieler, nämlich Die Piraten. Da hängt vieles also davon ab, wie gerade auch Linke und Piraten im kommenden September abschneiden werden. Matthias Jung ist Leiter der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim. Guten Morgen, Herr Jung!

    Matthias Jung: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Sehnen Sie sich nach den Zeiten manchmal zurück, als es nur drei Parteien in Deutschland gab und alles schön übersichtlich war?

    Jung: Nein, eigentlich nicht. Wir sind nicht so nostalgisch veranlagt. Aber es ist natürlich für einen Wahlforscher eine überschaubarere Angelegenheit gewesen. Die Menschen hatten auch stabilere Bindungen an die Parteien, und von daher wusste man eher schon ein paar Wochen vorher, wohin der Hase läuft. Das ist heute ganz anders geworden, da findet alles viel kurzfristiger statt und wir müssen deshalb auch viel mehr Aufwand betreiben, um näher an die Wahltermine mit unseren Umfragen zu kommen.

    Meurer: Würden Sie jetzt schon sagen und zustimmen, Herr Jung, im September bei der Bundestagswahl nächstes Jahr, da wird es ganz auf das Ergebnis der kleinen Parteien ankommen?

    Jung: Ja, wenn etwas knapp aussieht, und das haben wir ja zu erwarten und das war ja auch in der Vergangenheit eigentlich auch schon immer relativ knapp, dann kommt es auf viele Faktoren an, unter anderem auf die kleinen Parteien, aber es kommt vor allen Dingen auch mindestens genauso stark auf das Abschneiden der großen Parteien in der politischen Mitte an, wie viel es da der Union gelingt, aus dem Bereich sich zu holen, oder umgekehrt, wie viel kann sich die SPD im Vergleich zur letzten Bundestagswahl da wieder zurückholen?

    Meurer: Wie groß sind die Chancen der FDP, dass sie sich im neuen Jahr berappelt?

    Jung: Na ja, im neuen Jahr gibt es ja verschiedene Möglichkeiten, die für die FDP schwierig werden können. Das fängt im Januar bei der Niedersachsen-Wahl an, da würde, glaube ich, heute niemand so die Hand für ins Feuer legen, ob die FDP reinkommt oder nicht. Und kann dann in Bayern auch noch mal kritisch werden. Aber ich glaube, man muss die Bundestagswahl da völlig getrennt von sehen. Die FDP wird aus eigener Stärke, glaube ich, in keiner der Wahlen im nächsten Jahr sicher über die Fünf-Prozent-Grenze kommen, sondern es wird wie auch so oft in der Vergangenheit schon bei vielen Wahlen für die FDP darauf ankommen, inwieweit sie einem Teil der Wählerschaft klar machen kann, dass sie für eine bestimmte Koalitions-Arithmetik gebraucht wird. Und dann entsprechend von einem potenziellen Koalitionspartner, in erster Linie mal der Union, da Stimmen zu bekommen, die man, ja nach eigenem Standort, also Leihstimmen bezeichnen kann oder eben halt als Koalitionsstimmen.

    Meurer: Das heißt, als Wahlforscher würden Sie davon abraten, dass die FDP mit einer Ampel oder mit sozialliberal oder ähnlichem liebäugelt?

    Jung: Das ist nicht so meine Rolle, davon abzuraten, aber es ist natürlich einfach so, dass damit die FDP sich auch noch der Chance begibt, einen Stimmenzuwachs, der sich in der Vergangenheit als relativ stabil bei Bundestagswahlen gezeigt hat, auf den zu verzichten, nämlich eine doch massive koalitionspolitische Unterstützung aus dem Unionslager.

    Meurer: Im letzten Jahr, Herr Jung, im jetzt ablaufenden Jahr, gab es ja einen Riesen-Hype um die Piratenpartei. Ist deren große Zeit schon vorbei?

    Jung: Der Hype um die Piratenpartei ist natürlich zu einem gewissen Teil ein medial erzeugter gewesen, weil das journalistische und auch ein Teil des politischen Publikums durch das bisherige Angebot an Parteien, an Personen, an Politikinhalten etwas gelangweilt erschien, um es mal ein bisschen drastisch zu formulieren ...

    Meurer: Die Wähler vielleicht auch?

    Jung: Die Wähler vielleicht auch, aber tendenziell sind die ja gar nicht so politisch interessiert und deshalb auch langweilen die sich mehr wegen anderer Themenbereiche als wegen der Politik. Und dann hat sich das so hochgeschrieben, und momentan erleben wir im Prinzip die mediale Zurückdrängung der Piraten, die ja auch aus eigener Kraft eben halt auch nur in eine Größenordnung von zwei, drei Prozent kommen können. Und das, was auf diese zwei, drei Prozent drauf gekommen ist, ist eben halt eine durch Medien auch hervorgerufene Unzufriedenheit von protestierenden Bevölkerungskreisen, die inhaltlich mit den Positionen der Piraten sich gar nicht so stark identifizieren.

    Meurer: Peer Steinbrück gegen Angela Merkel. Hat der Mann eine Chance?

    Jung: Man muss da unterscheiden, was das Kriterium ist für seinen Erfolg. In der direkten persönlichen Konfrontation, was die Wertschätzung von ihm angeht oder das Abschneiden bei der K-Frage wird er es sehr schwierig haben, auf Augenhöhe zu kommen. Die Frage ist eben aber, wie kann er Parteien und Zustimmung für Parteien koalitionsmäßig organisieren und gegebenenfalls auch zu einer Mehrheit zu kommen, einer rot-grünen Mehrheit, ohne letztlich die Kanzlerin auf persönlichen Dimensionen geschlagen zu haben.

    Meurer: Im Moment ist ja der Tenor, möglicherweise, Herr Jung, in den Medien eher, Frauen machen bessere Politik. Die Kanzlerin, Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentinnen, die es jetzt gibt – hat Angela Merkel einfach dadurch einen Bonus im Moment, dass sie eine Frau ist?

    Jung: Wir haben das in der Vergangenheit eigentlich nicht so zentral nachweisen können, dass es geschlechtsspezifisch sehr durchdringende Muster gibt, die politische Präferenzen bestimmen. Wir müssen einfach sehen, dass die Union, bis auf wenige Phasen, in der CSU-Kandidaten Kanzlerkandidat waren, und vor allen Dingen ganz in den Anfangsjahren der Republik, immer bei Frauen besser abgeschnitten haben. Auch ein Helmut Kohl beispielsweise hat bei Frauen in der Regel ein besseres Ergebnis erzielt als bei Männern.

    Und von daher haben wir in dem konservativen Bereich, vor allen Dingen, weil wir auch sehr viele ältere Frauen haben, die eine sehr starke Orientierung zugunsten der Union haben, da immer einen gewissen Frauenbonus gehabt, wie gesagt, mit Ausnahme von Strauß und Stoiber, den man dann jetzt hier auch wiederfindet. Ich glaube, die Hauptprobleme, die Steinbrück hat, weil es ja auch in den Medien in den letzten Wochen und Monaten oft thematisiert worden ist, die Hauptdefizite liegen nicht spezifische bei Frauen, auch nicht bei jungen Frauen, sondern der Abstand zwischen Steinbrück und Merkel ist so groß, dass er in einer extremen Vielzahl von demografischen Untergruppen sich auch wiederfindet.

    Meurer: Wenn wir über die Koalition reden, also Tipp Nummer eins lautet ja Große Koalition, Tipp Nummer zwei Schwarz-Grün. Wenn wir kurz über Schwarz-Grün reden: Stimmt es, dass die Wählerinnen der Union und die Wählerinnen der Grünen, die Wähler doch ziemlich miteinander fremdeln?

    Jung: Also im Prinzip ist es so, dass grundsätzlich die Parteianhänger und auch die organisierten Kader, sage ich jetzt mal, der Parteien die größte Distanz haben. Die Wähler, und zwar aller Parteien, sind eigentlich wesentlich gemäßigter in jeder Richtung und von daher grundsätzlich koalitionsfähiger als die Parteien. Wir haben es ja auch in der Großen Koalition so erlebt. Am Schluss haben sich ja vor allen Dingen die Fraktionen von SPD und Union nicht vertragen. Die Wähler hätten die Große Koalition ja durchaus noch eine Zeit lang weiter getragen. Ich glaube, es wird am Wahlabend, wenn denn eine entsprechende Konstellation notwendig wird, weil keine anderen Mehrheiten sich ergeben, die ursprünglich geplant waren, entsteht eine neue Lage und dann werden die Karten neu gemischt, und dann wird man sehen, wer mit wem am ehesten kann. Der Haupthinderungsgrund für eine schwarz-grüne Koalition, die Atompolitik, ist ja im Prinzip abgeräumt. Viele andere Bereiche sind, glaube ich, zwischen den demokratischen Parteien ganz allgemein durch entsprechende Kompromisse verhandlungsfähig.

    Meurer: Matthias Jung, der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen heute Morgen im Deutschlandfunk. Wir haben gemeinsam einen Ausblick unternommen auf das Wahljahr 2013 und vor allen Dingen natürlich die Bundestagswahl im September 2013. Herr Jung, besten Dank und auf Wiederhören!

    Jung: Ja danke, tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.