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Wahlkampf auf Instagram
"Wer hat das schönste Wohnzimmer?"

Von Selfies beim Joggen bis zu Hochglanzbildern vom Staatsempfang: In diesem Wahlkampf inszenieren sich erstmals immer mehr Spitzenpolitiker mit Bildern in den sozialen Netzwerken. Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich verfolgt die Kanäle in seinem Blog. "Alle sind noch in der Phase des Experimentierens", resümiert Ullrich im Dlf.

Wolfgang Ullrich im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 03.07.2017
    Sylvia Löhrmann (2.v.l.), Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, macht mit Cem Özdemir (r), Vorsitzender der Grünen, Sven Lehmann (l) und Mona Neubaur am 24.09.2016 auf dem Landesparteitag der Grünen in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) ein Selfie.
    Immer mehr deutsche Politiker greifen beim Wahlkampf zum Smartphone (Roland Weihrauch/dpa )
    Adalbert Siniawski: Die USA haben die Nase vorn, was den Wahlkampf im Netz angeht: auf Facebook, Twitter und Instagram. US-Spitzenpolitiker sind dort seit Jahren schon wie selbstverständlich aktiv. Für Ex-Präsident Barack Obama waren die digitalen Kanäle wichtige Werkzeuge - für Präsident Donald Trump sind sie so etwas wie Waffen.
    In diesem Bundestagswahlkampf greifen erstmals immer mehr deutsche Politiker zum Smartphone. Kulturwissenschaftler und Publizist Wolfgang Ullrich beobachtet in seinem Blog "Ideenfreiheit" in Kooperation mit der "Pop-Zeitschrift" den "Wahlkampf auf Instagram". Die erste Folge beschäftigt sich mit den Reaktionen auf die "Ehe für alle". Guten Tag, Wolfgang Ullrich.
    Wolfgang Ullrich: Hallo, Herr Siniawski.
    Siniawski: Wichtig für den Erfolg eines Bildes sei ein sogenanntes "Dingsymbol", schreiben Sie in der ersten Ausgabe. Die zweite ist auch schon online. Ein Regenbogenherz, mit dem sich mehrere Politiker der Grünen aus Anlass der "Ehe für alle" bei Instagram inszeniert haben, war so ein Dingsymbol. Welche Funktion hat es?
    Ullrich: Ja, ich glaube, das hat durchaus die Funktion, so eine Art Bekenntnis abzulegen zu einem Thema, zu einem Programm, zu einer Idee, zu einer bestimmten politischen Entscheidung. Und das eben so zu tun, dass es möglichst unmissverständlich ist und auch noch - im besten Fall - animieren kann. Also das war hier eben so ein Regenbogenherz, etwas, was sehr fröhlich, sehr optimistisch wirkt. Was dieses Thema "Ehe für alle", was ja letzte Woche alles beherrscht hat, noch mal sozusagen auf einen visuellen Punkt gebracht hat und sich deshalb auch recht schnell durchgesetzt hat. Diese Bilder wurden also von anderen aufgegriffen oder ähnliche Symbole dazu gebastelt oder variiert.
    Und ich glaube, das ist eine so sehr typische Sache für unsere Zeit, dass gerade auch bestimmte Bekenntnisse zu bestimmten Werten am liebsten auch damit abgelegt werden, dass man selbst aktiv wird, etwas macht, etwas gestaltet. Also nicht nur irgendeinen Satz schreibt, sondern das eigene Anliegen noch unterstreicht, indem man ein bisschen Zeit, ein bisschen Kreativität investiert. Und das war dafür, fand ich, ein sehr gutes Beispiel, dieses Regenbogenherz.
    Zwischen offiziellem Account, Nebenbei-Fotos von Assistenten und eigenen Selfies
    Siniawski: Der Stil der Fotos unterscheidet sich ja sehr. Also ich sehe da zwei Strömungen: Angela Merkel und Martin Schulz setzen auf Hochglanzaufnahmen von Profifotografen und lassen ihre Kanäle von ihrem Social-Media-Team betreuen. Dagegen nehmen Christian Lindner und Cem Özdemir das Smartphone selbst in die Hand und zeigen: Selfies, Fotos aus dem Dienstwagen oder auf dem Fahrrad, private Bilder vom Joggen. Welche Strategie ist überzeugender?
    Ullrich: Das sind sehr unterschiedliche Strategien. Das hat zum Teil natürlich mit den unterschiedlichen Funktionen der Politikerinnen und Politiker zu tun, aber auch sicher damit, dass es noch ein so neues Medium ist und alle im Grunde noch in der Phase des Experimentierens sind. Nun, die Bundeskanzlerin hat natürlich einen eher offiziellen Account. Da kommen jetzt keine privaten Bilder. Da ist auch klar: Das sind angestellte Fotografen, die das machen. Das ist schon sehr staatstragend, das ist auch mehr als nur ein Wahlkampfinstrument. Den Account gibt es schon seit 2015.
    Zum Beispiel der Account von Martin Schulz war zwar schon mal zur Europawahl installiert worden, stand aber jetzt zweieinhalb Jahre völlig still, ist erst jetzt mit der Kanzlerkandidatur wieder neu belebt worden. Wobei ich da nicht den Eindruck habe, dass es unbedingt Profifotografen sind, die die Bilder machen. Dazu ist das Material zu unterschiedlich, oft auch nicht so wirklich professionell. Man hat eher den Eindruck, das sind jetzt Assistenten aus seinem Umfeld, die viele andere Aufgaben haben und die nebenher dann auch noch ein bisschen die sozialen Medien mit Bildern zu bestücken haben.
    Und jemand wie Christian Linder, den Sie angesprochen haben, hat tatsächlich einen ganz anderen Stil. Der macht sehr viele Bilder selbst. Der versucht, dass seine Anhänger nahe dran sein können. Viele Selfies sieht man da. Man sieht eigentlich immer nur ihn selbst, man sieht ihn immer auch alleine. Er hat dann auch solche Hashtags wie "#workworkwork" Oder "#onmyway". Also man hat das Gefühl, Politik ist hier auch schon so ein Selbstverwirklichungstrip. Es geht aber immer auch um Leistung, um Besser-Sein als andere.
    Während zum Beispiel der Account von Özdemir viel eher auch so etwas wie eine gewisse Lässigkeit vermittelt. Ihn sieht man fast immer zusammen mit anderen Menschen. Es soll eher eine soziale Kompetenz sichtbar werden, die ein Politiker hat oder braucht. Also es ist schon für mich sehr beeindruckend, wie stark auch unterschiedliche Charaktere, letztlich auch unterschiedliche Parteiprogramme sichtbar werden, allein durch die Art und Weise, wie so ein Account bespielt wird.
    "Andere Dimensionen ihrer Identität, als man sie aus den offiziellen und herkömmlichen Medien kennt"
    Siniawski: Selfies von Politikern - besteht da nicht die Gefahr der Anbiederung an die jüngere, digitalaffine Wählergruppe? Kann das nicht schnell uncool wirken?
    Ullrich: Das kann schnell uncool wirken. Das kann aber auch sehr schnell sehr spannend sein, wenn es den Politikerinnen und Politikern gelingt, Selfies zu machen, die wirklich einen Einblick in ihre Arbeitswelt vermitteln, die zeigen, dass sie vielleicht auch noch mal ganz andere Rollen haben oder ganz andere Dimensionen ihrer Identität haben, als man sie aus den offiziellen und herkömmlichen Medien kennt. Und das gelingt einigen, finde ich auch, tatsächlich sehr gut.
    Siniawski: Welche Rolle spielt Authentizität?
    Ullrich: Das ist insgesamt natürlich ein großes Thema, bei Instagram vor allem. Also man macht ja auch dieser Plattform den Vorwurf, dass sie eigentlich die Menschen dazu bringt, immer nur geschönte Teile ihres Lebens zu zeigen und in so eine Art von Wettrüsten sich da hineinzusteigern. Wo jeder zeigen will, er hat das noch schönere Wohnzimmer und den noch schöneren Sonntag und den noch größeren Erfolg irgendwo.
    Und dagegen gibt es dann immer die Bewegungen, die Authentizität einfordern, die ungeschönten Bilder. Und ich glaube schon, dass man auch bei den Politikern beide Tendenzen sehen kann. Manche, die einfach nur zeigen wollen, wie toll sie sind, aber andere, die es durchaus auch ins Zentrum rücken, das Ziel, Dinge zu zeigen, die man bisher nicht wusste von ihnen. Manche gehen vielleicht auch ein bisschen zu weit. Also zum Beispiel eine Politikerin, die schon sehr lange sehr aktiv bei Instagram ist, ist die CSU-Staatssekretärin Doro Bär. Die zeigt sehr viel aus ihrem privaten Leben, die macht auch wirklich sehr mutige Selfies, wo sie im Schwimmbad mit einem aufblasbaren Krokodil liegt und die Bunte liest.
    Siniawski: Kann das nicht auch schaden?
    Ullrich: Das kann im Einzelfall vielleicht auch schaden. Ich bin eher im Moment überrascht, dass das bisher noch niemandem geschadet hat. Also ein vielleicht zu sehr emotional abgesetzter Tweet bei Twitter hat schon viele Politiker um ihre Karriere gebracht. Oder ihnen zumindest viel Ärger eingebracht. Aber ein etwas zu riskantes Foto auf Instagram hat bisher noch niemandem geschadet. So lange das noch nicht der Fall ist, glaube ich, trauen sich viele auch relativ viel. Und vielleicht ist das eigentlich auch gut, weil man sozusagen hier das Gefühl hat: Es ist nicht alles hundertfach abgesichert und durch tausend diplomatische Regeln vorentschieden, was überhaupt gezeigt werden kann und was nicht. Denn das ist auch der Charme des Anfangs noch, der diesem Medium innewohnt.
    Themen setzen und motivieren
    Siniawski: Ja, der natürlich auch Pannen und Shitstorms bereithält: 2016 tauchte im persönlichen Profil der Kanzlerin ein Bild einer Männerhand auf, die eine Eistüte vor dem Kanzleramt hält, während Merkel selbst im Urlaub weilte. Also da muss man gut auswählen, welches Bild man wirklich durch die Kanäle jagt. Aber kommen wir noch mal auf Martin Schulz zu sprechen. Martin Schulz verbindet Fotos mit Kernaussagen, wie "Kleinwaffenexport verbieten" oder "Einen gesegneten Ramadan" wünscht er. Ist ein Account wie Instagram geeignet, auch Inhalte zu transportieren?
    Ullrich: Ja, also ich glaube schon, dass man damit die eigenen Anhänger durchaus auch noch mal motivieren kann, dass man Themen setzen kann. Allerdings reicht es nicht, jetzt irgendeinen Slogan zu nehmen und dann ein Stock-Foto drunterzulegen oder nur eine Grafik drunterzulegen. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass man dann noch mal versucht, eine sehr spezifische Inszenierung zu finden. Also zum Beispiel manche Politiker arbeiten auch gerne mit Büchern, also dass sie Buchtitel inszenieren und damit deutlich machen, was sie gerade lesen, aber damit auch deutlich machen, welches Thema sie gerade interessiert oder womit sie sich beschäftigen. Und so etwas kann, glaube ich, sehr motivierend wirken.
    Siniawski: Sagt Kulturwissenschaftler und Publizist Wolfgang Ullrich über den "Wahlkampf auf Instagram" - eine Serie in seinem Blog "Ideenfreiheit" und auf der Online-Seite der "Pop-Zeitschrift". Vielen Dank für das Gespräch!
    Ullrich: Ich danke Ihnen, Herr Siniawski!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.