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Wahlkampf für Russlanddeutsche
Heinrich Zertik ist der Trumpf der CDU

Heinrich Zertik ist für die CDU im Wahlkampf ein echter Trumpf. Er ist in Kasachstan geboren und das erste russlanddeutsche Mitglied im Deutschen Bundestag. Damit ist er für viele Russlanddeutsche, vor allem in seinem Wahlkreis in Arnsberg, Ansprechpartner und Identifikationsfigur zugleich.

Von Moritz Küpper | 03.08.2017
    Heinrich Zertik mit einem Kunden im Mix-Markt in Arnsberg (NRW) im August 2017.
    Heinrich Zertik mit einem Kunden im Mix-Markt in Arnsberg (NRW) im August 2017. (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    Es ist an der Theke mit den Bonbons, als dann doch noch eine Frage kommt:
    "Ich wollte fragen: Wie könnte ich meinen Stammbaum ein bisschen auf ... Ja ... ." - "Erforschen?" - "Ja, ich bin da dran, aber ich komme ... " - "Gebe ich Ihnen Antwort."
    Heinrich Zertik steht in einem Mix-Markt in Arnsberg, Hochsauerlandkreis. Das ist eine Supermarkt-Kette, in der es fast ausschließlich Produkte aus Osteuropa gibt. Zertik ist 60 Jahre alt, eher klein, rundlich mit lichtem Haar und weißem Hemd. Vor ihm: Ein Mann, der aus Kirgisien nach Arnsberg gekommen ist – und nun Antworten sucht. Zertik selbst ist in Kasachstan geboren und das erste russlanddeutsche Mitglied im Deutschen Bundestag. Hier im Mix-Markt ist er in seinem Element, streut ab und an ein russisches Wort ein – und schreibt dann noch zusätzlich seine Handy-Nummer auf die Karte. Ein kleines Museum in Detmold könne sicher helfen:
    "Was die Forschung angeht, ich denke mal, das Museum, da sind Sie aufgehoben. Ich glaube, da finden sie was."
    Im Wahlkampf ein echter Trumpf
    Die Fragen nach Heimat, nach Identität, aber auch nach Glauben. Das sind die Themen, die Zertik immer wieder bei seinen Wahlkampf-Terminen begegnen - zumeist vorgetragen von Russland-Deutschen. Wie auch an diesem Augustnachmittag, an dem er seinen Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Patrick Sensburg, im Wahlkreis unterstützt. Als Vorsitzender des Bundesnetzwerks Aussiedler der CDU Deutschlands, ist Zertik im Wahlkampf ein echter Trumpf:
    "Einmal, weil wir auch im Hochsauerlandkreis sehr viele Übersiedler haben, russland-stämmige Mitbewohnerinnen und -Mitbewohner haben, die natürlich auch da, einmal kulturell eine Anbindung haben, aber die auch sehr politisch sind und politisch engagiert sind."
    So Abgeordneten-Kollege Sensburg.
    "Und Kollege Zertik ist wirklich gut dabei, die Themen zu pointieren, artikulieren. Also, er ist wirklich jemand, der Sachen auf den Punkt bringt."
    Bis zu vier Millionen Deutsche aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, überwiegend aus Russland und Kasachstan, sind seit dem Ende der 1980er-Jahre nach Deutschland gekommen. Keine unerhebliche Wählergruppe. Es sind diese Zahlen, die Zertik unter seinen Kollegen begehrt machen:
    "Ich bin heute hier in Hochsauerland, danach geht es nach Hildesheim, dann geht es nach Heidelberg, dann geht es ganzen Tag in Niedersachsen."
    Zertik sitzt beim Essen, er kommt aus dem Aufzählen gar nicht mehr raus. Dabei war er nicht immer so gefragt. Einst hatte er als Lehrer in Kasachstan gearbeitet, fing dann in Deutschland aber als einfacher Arbeiter an und trat 1991 in die CDU ein. Den parteiinternen Wettstreit um die Kandidatur für den nordrhein-westfälischen Landtag verlor er aber zunächst. Und der Listenplatz, den er ergatterte und der im Jahr 2013 dann doch zog, war wenig aussichtsreich. Heute jedoch ist Zertik gut platziert – und das aus gutem Grund: Bei den Landtagswahlen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg erzielte die AfD in den Wahlkreisen, wo besonders viele Ex-Sowjetbürger leben, Rekordergebnisse, mancherorts mehr als 40 Prozent.
    "Viele deutschen Familien wurden geprägt von ihrer Vorgänger-Generation: Irgendwann kommt die Zeit, dass ihr zurückkehrt nach Deutschland. Versucht Euch – Liebe ist Liebe – nicht vielleicht zusammenmischen, weil danach leiden auch die Ehegatten. Haben wir Fälle."
    Der Wunsch nach einem Gefühl der Heimat
    Heinrich Zertik mit einem Kunden im Mix-Markt in Arnsberg (NRW) im August 2017.
    Viele Spätaussiedler aus Russland hätten einen starken Wunsch nach Zugehörigkeit, sagte der CDU-Abgeordnete Heinrich Zertik im Dlf. (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
    Die Frage der Identität sei für Russlanddeutsche viel, viel wichtiger, so Zertik. Auch und gerade für Menschen, deren Familien über Generationen nicht in Deutschland gelebt haben:
    "Endlich mal nicht Gäste zu sein, sondern sich heimisch fühlen. Und da kann ich auch verstehen, wenn zu mir nach Schieder kommt, die Schiederianer, oder jetzt Kölner oder Düsseldorfer jetzt sagen: Aha, die Fremden kommen, jetzt kriegen wir die Belastung."
    Wie leicht und schnell die Stimmung kippen kann, zeigte der Fall Lisa, der im vergangenen Jahr die Gemüter erhitzte:
    "Rund 700 Demonstranten zählt die Polizei vor dem Kanzleramt. Angst um ihre Frauen und Kinder, haben sie, so heißt es. Unter Verweis auf die angebliche Entführung und Vergewaltigung einer 13-Jährigen aus Falkenberg",
    Berichtete der Fernsehsender rbb damals:
    "Einer Tat, die sich laut Polizei so nicht abgespielt hat. Den Ermittlungen zum Trotz: 'Schäm dich Polizei!', schimpft einer der Redner."
    Sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow schaltete sich damals ein:
    "Ich denke, Wahrheit und Gerechtigkeit müssen in diesem Fall obsiegen. Und ich hoffe, dass die Migrationsprobleme nicht zu dem Versuch führen werden, die Realität mit political correctness aufzupolieren wegen einiger innerdeutscher Absichten. Denn das wäre falsch."
    Zertik gefiel das gar nicht:
    "Aber wird versucht, die Sache instrumentalisiert. Aber ich bin Deutscher, geboren in Kasachstan, aber ich bin Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Das sollte man akzeptieren und nicht die Gelegenheit nutzen, für das oder das andere Land, um die Menschen zu provozieren und auszunutzen für eigene Zwecke."
    Es sind solche Aktionen, die die Gruppe der Russlanddeutschen, die in der Vergangenheit eigentlich als unpolitisch galt und, wenn überhaupt, ihr Kreuz bei der CDU machte, nun in den Fokus rücken. Man sei sich bei der CDU zu sicher gewesen, so Zertik:
    "Aber mit der Zeit ist es irgendwie auch bisschen eingeschlafen vor Ort. Ja, die machen schon mit. Ich denke mal: Wir sind Menschen. Jeder Mensch braucht eine warme Hand auf die Schulter."
    Prominente Unterstützung
    Im aktuellen Wahlprogramm sieht die Union beispielsweise vor, die Arbeitsleistungen in der ehemaligen Sowjetunion für die Renten komplett oder stärker anzurechnen. Aber Zertik versucht es nicht nur mit Inhalten: Im Mai schaffte er es, dass die Bundeskanzlerin ihn mit einer Gruppe Russland-Deutscher im Bundeskanzleramt empfing. Angela Merkel konnte, so erinnert er sich, mit ihrem fließenden Russisch punkten. Sie ist aber nicht die einzige Frau, die Zertik einbindet. Denn: Auch Helene Fischer ist in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Ihre Lieder verkaufen sich hierzulande millionenfach, sie füllt Stadien und hat eine eigene Fernsehshow im ZDF.
    "Ja, wir kennen uns gut, wo sie noch nicht so Promi war. Die Familie ist ganz nett. Die Eltern. Wir pflegen ständig Austausch mit der Familie und so. Unabhängig von ihrer Berühmtlichkeit."
    Auf Zertiks Einladung hin war Fischer bereits zu Gast im Bundestag, berichtete dort über ihre Karriere und ihre Biografie, verleitete Abgeordnete zu Foto-Shootings – und war selbst glücklich:
    "Sagt sie: Na endlich mal, Heinrich, jetzt bin ich im Deutschen Bundestag."
    Dennoch, für Wahlkampf-Auftritte hat Zertik sie nicht angefragt:
    "Da ist sie neutral. Und ich denke mal auch zum Guten, sollte man schon trennen in ihrer Branche. Was im Herzen sitzt, weiß ich nicht bei ihr, für welche Partei sie tickt. Aber: Das muss sie selber wissen. Aber uns persönlich sympathisch – und das ist gut."
    Eines ist ohnehin klar: Für die Stimmen der Russland-Deutschen fühlt sich Heinrich Zertik selbst verantwortlich – auch, wenn es bei dieser Bundestagswahl wohl etwas mehr Arbeit sein wird, sie zu gewinnen.