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Wahlkampf in Berlin
Der Unauffällige

Michael Müller gibt im Wahlkampf ein gemischtes Bild ab: Mal wirkt Berlins Regierender Bürgermeister dünnhäutig, mal zupackend. Große Gesten sind seine Sache nicht, ebensowenig die Arroganz seines Vorgängers, des Partybürgermeisters Klaus Wowereit. Am Sonntag wird in Berlin gewählt.

Von Claudia van Laak | 15.09.2016
    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).
    Große Gesten und große Versprechen sind nicht die Sache von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller. (picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld)
    "Mensch, Grüß dich, hallo, lange nicht gesehen, hallo…"
    Michael Müller im Straßenwahlkampf – im alten Westberlin, direkt gegenüber vom Kaufhaus des Westens, KaDeWe. Die Rede auf der Bühne ist kurz – dann geht Berlins Regierender Bürgermeister ins Publikum, diskutiert mit Wählerinnen und Wählern.
    "Was haben Sie denn in den letzten Jahren gemacht, was so gut war, dass ich Sie wiederwählen sollte?"
    "Ich glaube, das Umsteuern zum Beispiel in der Wohnungspolitik, dass überhaupt wieder gebaut wird durch städtische Gesellschaften.
    "Das war vorher nicht so?"
    "Nee."
    Michael Müller hat schnell einen Draht zu den Leuten auf der Straße, er wirkt persönlich interessiert, nie anbiedernd.
    "Michael, der junge Mann möchte Dir die Hand geben. Sie möchten ein Foto?"
    Die Arroganz Klaus Wowereits liegt Müller fern
    Männerkörper, Männerstimme, viel Make-up im Gesicht, geblümte Leggings, bunte Brille und ein kesses Hütchen – ein Transsexueller hat der Rede von SPD-Chef Müller zugehört, jetzt fordert er mehr Schutz für Seinesgleichen und Geld für Projekte, die sexuelle Vielfalt unterstützen.
    "Ich bin schon öfter angegriffen worden, habe schon öfter Anzeige erstattet, bin zur Polizei gegangen, S-Bahn kann ich nicht mehr fahren, weil da kein Sicherheitsgefühl mehr da ist."
    "Aber wir haben die Mittel und die Projekte deutlich aufgestockt, haben wir gemacht, und es wird keinen politischen Beschluss geben, der von heute auf morgen diese Situation perfekt verändert. Sondern das ist ein Prozess von Jahren, sich zu engagieren, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, über Projekte. Und mehr kann ich auch nicht versprechen, als dass man genau darum kämpfen muss."
    Große Gesten und große Versprechen sind Müllers Sache nicht. Die Arroganz seines Vorgängers, des Partybürgermeisters Klaus Wowereit liegt ihm fern. Der 51Jährige verkörpert das alte Aufstiegsversprechen der Sozialdemokraten: Lehre als Einzelhandelskaufmann, dann Einstieg in die kleine Druckerei seines Vaters. Müller hat weder Abitur noch hat er studiert. Doch jetzt ist er Bürgermeister Berlins – einer Weltstadt, die jedes Jahr um 40.000 Einwohner wächst, die von Touristen überrannt und in der jeden Tag ein Start up gegründet wird. Jedes zweite Unternehmen übrigens von einem Ausländer.
    Wenn es um die AfD geht, wirkt Müller entschlossen
    "Das was wir oft formulieren als Offenheit, Toleranz, als Stadt der Freiheit, womit Berlin identifiziert wird, das ist keine Worthülse, das ist keine Sonntagsrede. Das macht unser Zusammenleben aus. Es begeistert international, die Menschen kommen genau hierher, weil sie das erleben."
    Aber ist Müller der Richtige für diese Weltstadt? Alles an ihm ist unauffällig – Brille, Figur, Anzug, nicht zuletzt der Name. Müller, Berlin – so steht es auf den Wahlplakaten - ist mittelalt, mittelgroß und ein mittelmäßiger Redner. Von Kritikern wird er als Büroklammer mit Ordnungsfimmel verspottet. Dabei zeigt "Müller, Berlin" durchaus Kampfgeist und Haltung. So hat er den BER-Aufsichtsratsvorsitz übernommen und den bisherigen SPD-Landeschef vom Thron geschubst. Und wenn es um die AfD geht, wirkt Müller entschlossen und überzeugend.
    "Ich will mich nicht damit abfinden, dass die AfD vielleicht sogar mit einem zweistelligen Ergebnis ins Parlament kommt. Ich kämpfe dagegen. Und mein Anspruch ist, wofür ich mich engagiere, sie rauszuhalten. Und dann werden wir sehen, ob es klappt. Aber zu sagen, was man will, ist doch eigentlich nicht verkehrt."
    Müllers Problem ist seine Dünnhäutigkeit – alle lesen in ihm wie in einem Buch. Schnell fühlt er sich angegriffen, wirkt oft angestrengt. Seine Popularitätswerte? So lala. Gäbe es eine Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters, würden 44 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für Michael Müller stimmen.