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Wahlkampf in Rumänien
"Wer zahlt, bekommt meine Stimme"

Am Sonntag entscheidet Rumänien in einer Stichwahl, wer neuer Präsident des Landes wird. Premier Victor Ponta und Konkurrent Klaus Johannis führen auf den letzten Metern einen Kampf um jede Wählerstimme - Ponta offenbar mit üppigen Wahlgeschenken.

Von Annett Müller | 14.11.2014
    Wahplakate in den Straßen von Bucharest, auf denen der rumänische Regierungschef Ponta um Stimmen wirbt.
    Der rumänische Regierungschef Victor Ponta will Präsident des Landes werden und wirbt offenbar mit allen Mitteln um Wählerstimmen. (afp / Daniel Mihailescu)
    Dorin Badulescu ist sauer. Er ist im ostrumänischen Kreis Buzau Vizepräsident der liberaldemokratischen Partei PNL, die in den vergangenen Wochen knapp 30 Bürgermeister verloren hat. Sie sind zum politischen Gegner - der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD von Premier Victor Ponta - übergelaufen und das ausgerechnet kurz vor der Präsidentschaftswahl. Lokalpolitiker gelten in Rumänien als wichtige Wahlhelfer. Das gibt auch der PNL-Politiker Badulescu unumwunden zu:
    "Vor allem in ländlichen Regionen hat der Bürgermeister ein enges Verhältnis zu den Wählern. Er ist eine Art Väterchen, eine Autorität für sie. Er sagt ihnen, wen sie zu wählen haben. Dass Premier Ponta einen Teil der Lokalpolitiker abgeworben hat, sichert ihm allein in unserem Kreis Tausende zusätzlicher Stimmen und landesweit gesehen kann er wichtige Prozentpunkte zulegen."
    Auch bei der Stichwahl am Sonntag kann Kandidat Ponta darauf bauen, dass ihn die landesweit rund 350 übergelaufenen Lokalpolitiker wieder kräftig unterstützen. Wer in Rumänien als Bürgermeister seine Partei wechselt, verliert laut Gesetz sein Amt. Pontas linke Regierungskoalition aber hat diese Sanktion unverfroren für ein paar Wochen außer Kraft gesetzt. Statt Sanktionen bekommen die Überläufer für ihre Kommunen ein Zusatzbudget von rund 600 Millionen Euro. Ein riesiges Wahlgeschenk von der Regierung, meint Politikexperte Adrian Moraru:
    "Die Wähler wundern sich natürlich, wenn ihr Bürgermeister zum politischen Gegner überläuft. Doch wenn er dann auf einmal eine neue Straße im Ort bauen lässt, weil er Mittel dafür erhält, dann sind alle zufrieden. Das geht so weit, dass manche Wähler inzwischen sagen, wenn sie keine Wahlgeschenke bekommen, dann stimmen sie auch nicht für die Regierungspartei."
    NGOs kritisieren Wahlmanipulationen
    Auf derartige Zuwendung wartet man dieser Tage auch in einem Roma-Viertel von Buzau. 40 Familien leben hier, kein Asphalt auf der Straße, kein Putz an den Häusern – die Menschen sind arm. Ein Teil der Gemeinschaft fährt zum Betteln nach Schweden. Wer zurückbleibt, lebt von Sozialhilfe und vier Mahlzeiten pro Woche, die das Bürgermeisteramt bezahlt. Eine Mitte 30-jährige sagt:
    "Von der Rathausverwaltung bekommen wir Druck, dass wir zu den Wahlen zu gehen haben. Andernfalls drohen sie, uns die Sozialhilfe zu entziehen. Doch wen wähle ich? Keiner verdient meine Stimme. Aber vielleicht gebe ich sie diesem Deutschen Klaus Johannis. Aber nur, wenn er mir ein Haus dafür spendiert."
    Ein Nachbar mischt sich ins Gespräch: "Man gibt uns fürs Wählen umgerechnet fünf Euro. Das reicht für Weißbrot, Kartoffeln und Speiseöl. Wer zahlt, bekommt meine Stimme. Diesmal geht sie an Ponta. Er ist ein fähiger Mann."
    Dass ein Teil der Wähler in ländlichen und verarmten Regionen billig geködert wird, gilt als offenes Geheimnis in Rumänien. Immer wieder kritisieren Nichtregierungsorganisationen, dass das mit freien Wahlen nichts zu tun habe. Am Wochenende gingen Tausende Menschen in mehreren rumänischen Großstädten gegen Wahlmanipulationen auf die Straße.
    Rumänien steckt voller Überraschungen
    Dass sich hier Widerstand regt, hat auch der 28-jährige Ghita aus dem siebenbürgischen Dorf Jina zu spüren bekommen. Er ist der berühmteste Hirte Rumäniens, weil eine Mobilfunkfirma mit ihm amüsante Werbe-Spots dreht. Ghita hat auf Facebook über eine halbe Million Fans. Eines Tages stand deshalb auch Premier Ponta vor seiner Tür, um ein bisschen Werbung mit ihm zu machen. Ein Sturm der Entrüstung entbrannte im Internet. Seither ist Schäfer Ghita vorsichtig mit der Politik:
    "Natürlich gehe ich wählen. Die Wahl ist meine einzige Chance, zu entscheiden, wen ich haben will. Aber wenn ich jetzt sage, für wen ich stimme, heißt es gleich wieder, ich würde Wahlkampf machen. Ich werde auf jeden Fall für einen Präsidenten stimmen, der die Arbeit wertschätzt und den Betrügereien im Land ein Ende setzt."
    Ghita lebt im Kreis Sibiu, der Heimatregion des liberalen Präsidentschaftskandidaten Klaus Johannis. Der Siebenbürger Sachse holte im ersten Wahlgang dort fast 70 Prozent der Stimmen. Auf Landesebene fiel das Votum für ihn deutlich verhaltener aus. Ob Johannis seinen Konkurrenten Ponta am Sonntag noch einholen kann, ist fraglich.
    Von den zwölf ausgeschiedenen Kandidaten, die nun als Zünglein an der Waage gelten, hat nur ein kleiner Teil eine Wahlempfehlung für Johannis gegeben, darunter die Ex-Justizministerin Monica Macovei. Rein rechnerisch reicht das nicht für einen Sieg. Doch wie schrieb kürzlich eine große rumänische Tageszeitung mit Blick auf den Wahlausgang: Rumänien steckt voller Überraschungen.