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Wahlniederlage der Grünen
"In Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich unsere strukturelle Schwäche"

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, hat im Deutschlandfunk eingeräumt, dass die Themen Umwelt- und Klimaschutz bei den Wählern in Mecklenburg-Vorpommern nicht besonders angekommen sind. Auch die Grünen müssen sich nach ihren Worten mehr um Menschen kümmern, die sich abgehängt fühlen.

Karin Göring-Eckardt im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 05.09.2016
    Die Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt
    Die Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt (dpa/picture alliance/Britta Pedersen)
    Bei der Wahl hatte die Partei die Fünf-Prozent-Hürde gestern knapp verfehlt und zieht darum nicht wieder in den Landtag in Schwerin ein. Göring-Eckardt sagte, in Mecklenburg-Vorpommern habe sich die strukturelle Schwäche ihrer Partei in Ostdeutschland gezeigt.
    Vielen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern stelle sich die Frage nach Identität. Und nicht nur SPD und CDU, auch die Grünen müssten Antworten finden - gerade für Menschen im ländlichen Raum, die sich abgehängt fühlten und die den Eindruck hätten, nicht ernstgenommen zu werden. In der Asyl- und Flüchtlingspolitik genüge es eben nicht, so wie die Kanzlerin zu sagen: Wir schaffen das. Man müsse auch sagen, wie man das schaffen wolle.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es gibt viele, die sich an diesem Montagmorgen nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern versuchen, das Ergebnis schön zu reden und sich auch noch als Gewinner präsentieren. Eine Partei, die das definitiv nicht tun kann, sind vermutlich die Grünen. Die haben nämlich deutlich verloren und sind künftig im Landtag in Schwerin nicht mehr vertreten. Am Telefon ist jetzt Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen!
    Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Frau Göring-Eckardt, die Grünen bei 4,8 Prozent, minus vier Prozentpunkte. Für Ihre Partei lässt sich da wirklich nicht mehr viel schön reden, oder?
    Göring-Eckardt: Das hätte ich auch gar nicht vorgehabt, auch wenn es anders ausgegangen wäre. Wir haben ja die Situation schon mal in Sachsen-Anhalt erlebt. Da haben wir es knapp geschafft, in den Landtag zu kommen und sogar regierungsbeteiligt zu werden. In Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich unsere strukturelle Schwäche, die wir nach wie vor in Ostdeutschland haben, und es zeigt sich natürlich auch, dass offensichtlich die Themen, besonders der Umwelt- und Klimaschutz, nicht so angekommen sind, wie wir uns das gewünscht hätten in dieser Zeit.
    Armbrüster: Lässt sich so erklären, dass Sie fast die Hälfte Ihrer Stimmen verlieren?
    Göring-Eckardt: Die Frage, woran das genau gelegen hat, werden wir nicht heute Morgen beantworten können, weil wir würden gemeinsam nur darüber mutmaßen. Und es ist ja auch der Job, dass man sich das sehr genau anschaut, woran es lag und was Wählerinnen und Wähler dazu gebracht hat, nach dem guten Wahlergebnis vom letzten Mal, sicherlich auch im Zusammenhang mit der Katastrophe in Fukushima, jetzt nicht mehr Bündnis 90/Die Grünen zu wählen. Aber daran alleine kann es nicht gelegen haben und deswegen müssen wir das genau analysieren und uns dafür auch Zeit nehmen.
    Auch eine Verantwortung für die Menschen im ländlichen Raum
    Armbrüster: Man hat aber insgesamt den Eindruck, in Ostdeutschland tun Sie sich generell schwer, dass Ihre Partei doch eher eine Partei ist, die in den, sagen wir mal, eher wohlhabenden Regionen in Westdeutschland noch punkten kann, in vielen anderen Regionen, in denen es nicht so gut läuft, dagegen nicht. Ist das eine korrekte Einschätzung?
    Göring-Eckardt: Das ist eigentlich eine korrekte Einschätzung. In den Metropolen stehen wir gut da, wenn man beispielsweise nach Berlin schaut oder wenn man nach Süddeutschland schaut. Das ist in der Tat so. Und ich glaube, eine Aufgabe für uns wird es sein, deutlich zu machen, wir haben auch eine Verantwortung nicht nur für so was wie den ländlichen Raum, das ist erst mal sehr allgemein, sondern auch für Menschen, die dort leben, die sich abgehängt fühlen, die in einer Situation leben, wo sie den Eindruck haben, ihre Fragen und ihre Probleme werden nicht genügend ernst genommen. Und da kann man dann sagen, da muss die SPD oder die Union darauf reagieren. Ich finde, darauf müssen auch Bündnis 90/Die Grünen reagieren, weil wir da einen Job haben. Und die Frage nach der Identität stellt sich ja in Mecklenburg-Vorpommern ganz offensichtlich sehr stark und warum es nicht gelungen ist, dass wir deutlich machen konnten, zum Beispiel das ist ein Tourismusland, ja, aber es ist auch ein großer Energieproduzent mit den erneuerbaren Energien. Darüber müssen wir nachdenken und reden und über die Frage, warum Menschen, die dort wohnen, nachdem viele weggezogen sind - das ist ja ein Land mit einer sehr stark schrumpfenden Bevölkerung; viele junge Leute sind weggezogen -, warum wir die so schwer erreichen können.
    Armbrüster: Was wollen Sie da konkret ändern? Was schlagen Sie Ihren Parteikollegen vor?
    "Deutlich machen, wie man das schaffen kann"
    Göring-Eckardt: Zunächst mal, glaube ich, ist ein ganz wichtiger Punkt, über die Sprache zu reden, mit der wir dort auftreten, über die Frage, wie können wir so was wie Kohleausstieg, wie Klimaschutz, die Klimaziele, die so zentral wichtig sind, eigentlich verbinden mit dem Alltag und der Lebensrealität der Leute. Gerade dort wäre das ja eine gute Möglichkeit zu sagen, da entstehen tatsächlich Arbeitsplätze, und zwar langfristig. Da gibt es auch Konflikte selbstverständlich, wenn man Windräder aufstellt, gefällt das nicht jedem. Die muss man auch durchstehen und muss man auch austragen. Das ist so ein Punkt.
    Ein anderer Punkt ist, der hat ja dort eine große Rolle gespielt, die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Und da muss man, glaube ich, eins sagen: Das Problem war aus meiner Sicht nicht, dass Angela Merkel im letzten Herbst gesagt hat, "Wir schaffen das", sondern dass die Große Koalition - und da geht es auch nicht, dass man sich irgendwie dann plötzlich aus dem Staub macht, wie die SPD das gerade versucht -, dass die Große Koalition immer nicht gesagt hat, wie das zu schaffen ist, und dass die Bevölkerung den Eindruck hatte, da herrscht Chaos, da herrschen Widersprüchlichkeiten etc. Und das ist eine Chance für uns, deutlich zu machen, wie man das schaffen kann, und zwar so, dass auch diejenigen, die hier in Schwierigkeiten leben, sich nicht in Konkurrenz fühlen, nicht abgehängt fühlen, egal ob es um die Kindertagesstätten-Plätze oder die günstigen Wohnungen geht.
    Armbrüster: Frau Göring-Eckardt, wir haben das ja heute Morgen auch schon sehr ausführlich besprochen mit Alexander Gauland von der AfD. Der hat ja, sagen wir mal, eingestanden, dass seine Partei mit diesem Thema Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern ganz offen punkten konnte, auch wenn über die Flüchtlingspolitik in diesem Bundesland gar nicht entschieden wird, weil das ja Sache des Bundes ist. Warum können die anderen Parteien, auch die Grünen, dem eigentlich so wenig entgegensetzen?
    Göring-Eckardt: Erst mal setzen wir dem, glaube ich, ziemlich viel entgegen als Grüne, weil wir diejenigen sind, die sehr glaubwürdig sagen können, erstens es gib humanitäre Gründe und selbstverständlich Gründe, die unser Grundgesetz vornimmt, Menschen aufzunehmen, die in Not sind, die Asyl beantragen bei uns, und zweitens, indem wir deutlich machen, was bedeutet Integration eigentlich. Integration heißt ja nicht, die, die hier herkommen, müssen alles genau so machen wie wir, aber es heißt, dass es eine richtige Anstrengung ist.
    Armbrüster: Und genau das kommt ja offenbar gar nicht an. Ich meine, deshalb sind Sie ja bei minus vier Prozent, bei 4,8 Prozent gelandet.
    Göring-Eckardt: Genau. Das wird der Job sein. Das ist jetzt in Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise auch nicht so die unmittelbare Alltagsfrage, weil dort so ganz wenige Flüchtlinge ja sind, angekommen sind, ganz wenige Migranten sind, etwas über drei Prozent. Da erlebt man das nicht und deswegen gibt es da auch natürlich die Angst und die Sorgen vor den Fremden. Aber es muss klar sein: Wir brauchen dafür Geld, wir brauchen eine Million Wohnungen in den nächsten zehn Jahren, die preiswert sind, wir müssen dafür sorgen, dass es genügend Lehrerinnen und Lehrer gibt. Das ist kein Spaziergang, die gibt es auch nicht über Nacht, und ich finde, diesen anstrengenden Weg, den muss man beschreiben und da muss man auch sagen, wieviel Geld das kostet, wieviel Geld man dafür zur Verfügung stellt. Und ich halte wenig davon, so zu tun, als könne man angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen - gerade reden die G20 wieder darüber - sich davon frei machen, indem man einen Deal mit der Türkei und Herrn Erdogan macht.
    "AfD agiert mit rassistischen Motiven"
    Armbrüster: Bleiben wir mal noch kurz bei der AfD. Kann man dieser Partei denn wirklich vorwerfen, dass sie sagt, Leute, wir hören eure Ängste, wir nehmen sie auf und wir kanalisieren sie in Richtung Berlin?
    Göring-Eckardt: Der AfD werfe ich vor, dass sie das mit Hass und Hetze macht, dass sie das macht mit rassistischen Motiven, mit Ausländerfeindlichkeit. Wenn man gestern Herrn Höcke wieder gehört hat auf der AfD-Wahlpartie, dann ist das nichts, was mit Sorgen aufnehmen und nach Berlin transportieren zu tun hat, sondern das ist Aufstacheln mit Falschbehauptungen und das ist Aufstacheln mit menschenfeindlichen Parolen. Das muss man der AfD vorwerfen.
    Was man den Menschen, die die AfD gewählt haben und die nicht zu dieser Gruppe gehören - natürlich gibt es die auch; die haben früher NPD gewählt und wählen jetzt zum Teil AfD -, was man den Menschen, die aber das Gefühl haben, sie sind abgehängt, nicht vorwerfen kann, ist, dass sie nicht wissen, woran sie sind, und das ist erst mal natürlich zuvorderst die Aufgabe der Großen Koalition im Bund, weil die müssen diesen Job machen. Das kann eine Oppositionspartei begleiten und kann dann sagen, wir haben bessere Vorschläge. Aber zunächst mal führt natürlich diese große Verunsicherung, die durch den Streit entsteht, die durch das scheinbar planlose Handeln entsteht, die dadurch entsteht, dass die Regierungsparteien noch nicht mal koordinieren können, was eigentlich wer macht, dazu, dass die Verunsicherung eher steigt und nicht geringer wird. Und die Zahlen alleine können es ja nicht sein, wenn man sich anschaut, wie viele gekommen sind und wie viele Menschen wir in Deutschland sind. Wir sind ja immer noch bei etwas über einem Prozent in sehr kurzer Zeit, ja, aber eigentlich könnten wir schon auf einem sehr viel besseren Pfad sein, wenn dieses Chaos und dieser Streit aufhören würde in der Regierung.
    Armbrüster: Jetzt hat die Bundeskanzlerin allerdings mit dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei eine mögliche entscheidende Lösung auf den Weg gebracht. Die Flüchtlingszahlen gehen ja deutlich zurück. Müssen wir nicht eigentlich davon ausgehen, dass, wenn das nicht so funktioniert hätte, die AfD noch deutlich mehr gewonnen hätte?
    Göring-Eckardt: Ich glaube, wir müssen davon ausgehen, dass, wenn es Planbarkeit gegeben hätte, wenn das, was Frau Merkel als eigenen Fehler ja eingestanden hat, dass sie vor 2015 ignoriert hat, wie die Zahlen sind, durch das Dublin-System und viele andere Dinge, dass sie diesen Fehler nicht wieder macht. Weil man kann ja die Leute eine Weile in der Türkei festhalten. Man kann versuchen, zu einer Friedenskonferenz für Syrien zu kommen, die tatsächlich was bringt. Aber man kann nicht die Augen davor verschließen, dass weltweit weiterhin Flüchtlinge unterwegs sind - viele, die allermeisten in den Nachbarländern, und die haben auch die allergrößte Aufgabe. Aber deswegen glaube ich, dass das Entscheidende ist, dass wir uns darauf einstellen, dass wir das planbar machen, dass wir deutlich machen, wir sind darauf auch vorbereitet, und nicht so ein permanentes Hin und Her. Ich möchte mich da nicht auf Herrn Erdogan, ausgerechnet auf Herrn Erdogan verlassen müssen.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.