Dienstag, 19. März 2024

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Wahlprogramm der Union
"Mut sieht sicherlich anders aus"

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, hält das Wahlprogramm der Union nicht für sehr mutig. Das habe man als Regierungspartei auch nicht unbedingt nötig, sagte sie im Dlf. Allerdings sei es relativ gewagt, etwa die Rentenfrage einfach auszuklammern.

Ursula Münch im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.07.2017
    Porträt der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (Bayern), Ursula Münch
    Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (dpa/OPeter Kneffel)
    Jasper Barenberg: Mitgehört hat Professor Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Schönen guten Tag.
    Ursula Münch: Guten Tag, Herr Barenberg.
    Barenberg: Was würden Sie sagen nach all dem, was wir bisher ja schon durchaus an Einzelheiten wissen, ein mutiges Programm?
    Münch: Na ja, Mut sieht sicherlich anders aus. Mut hat man natürlich auch nur bedingt nötig als Regierungspartei und als Partei, die die Bundeskanzlerin stellt. Insofern: Es ist nicht besonders mutig. Aber man muss jetzt auch nicht die großen Knalleffekte bringen. Im Grunde kann man darauf hoffen, dass sich das positiv ohne größere Eruptionen darstellt. Und deshalb ist das alles gar nicht erforderlich. Mutig ist vielleicht dann aber schon, dass die Parteien, also CDU und CSU, sich überhaupt wieder so weit aneinander angenähert haben inhaltlich.
    Barenberg: Darüber können wir gleich noch ein bisschen sprechen. Noch mal zur Mutfrage: Wäre es nicht angebracht, einen großen Entwurf zu erwarten und damit auch Antworten auf die Frage, wie sich die Kanzlerin nach all ihren Jahren im Kanzleramt die Zukunft für dieses Land vorstellt?
    Münch: Da gebe ich Ihnen Recht. Wir hätten große Fragen: Das ist die Frage der Demografie, der Digitalisierung, die Fragen der Sicherheit. Aber Wahlprogramme sind auch immer vor allem natürlich zunächst mal diesem Ereignis geschuldet, dass man sich gegenüber dem politischen Gegner ein bisschen unterscheiden möchte. Und im Grunde bräuchte man ja dann eigentlich viel mehr Zeit, um solche großen Würfe zu starten. Das ist das Grundproblem von Politik und gerade auch auf der Bundesebene, alle vier Jahre Wahlen zu haben, dass man sich diese Zeit selten nehmen kann.
    Auf "Sie kennen mich" wird Merkel sich nicht verlassen können
    Barenberg: Das heißt, wir blicken auf ein Wahlprogramm, das doch bestätigt, was bei der letzten Runde, bei der letzten Bundestagswahl das Motto war – die Kanzlerin sagt, "Sie kennen mich", und das reicht dann den Wählerinnen und Wählern?
    Münch: Na ja, das ist die Hoffnung, wobei dieses Mal wird es so einfach ja nicht sein. Dazu ist ja in den letzten zwei Jahren zu viel passiert und die Umfragewerte der Kanzlerin waren zu sehr im Keller und vor allem auch die Kritik der CSU war zu groß an ihr. Ganz darauf wird sie sich nicht mehr verlassen können. Und das macht jetzt dieses Wahlprogramm auch interessant, nämlich die Frage, genügt es, tatsächlich auf diese Punkte zu setzen, genügt es, sich um die Frage der Zuwanderung von Flüchtlingen, aber insgesamt auch von Migranten so ein bisschen herumzudrücken und es quasi der CSU zu überlassen, das dann im Bayernplan zu thematisieren. Das ist die große Frage. Die können wir aber vermutlich erst nach der Bundestagswahl beantworten.
    "Insgesamt sieht es aus Sicht der Union nicht schlecht aus"
    Barenberg: Sie haben ja auch formuliert, was viele Beobachter gesagt haben: Dieses Mal wird es nicht reichen, wenn die Kanzlerin sagt, sie kennen mich. Aber sieht es insgesamt jetzt inzwischen nicht doch so aus, dass es reichen könnte?
    Münch: Insgesamt sieht es aus Sicht der Union nicht schlecht aus. Jetzt ist im Grunde vielleicht sogar eher die Frage, na ja, wie schaut es insgesamt aus, welche Parteien werden im Bundestag vertreten sein. Und genügt es, dann tatsächlich diesem Ziel gerecht zu werden, eine kleine Koalition zu bilden. Oder muss man bei allen Erfolgen vielleicht doch wieder auf eine Große Koalition eingehen. Insofern ist da wahrlich noch keine Ernte eingefahren und wir haben ja auch in den letzten Monaten gerade bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gesehen, dass sich auch Meinungen und Stimmungen in der Bevölkerung relativ schnell wieder ändern können.
    Barenberg: Und das heißt auch, Frau Münch, was Festlegungen angeht, dass die Unsicherheiten, mit welcher Koalition wir es nach der Bundestagswahl möglicherweise zu tun haben werden, mit wem da verhandelt werden muss, dass es so eine richtige Balance geben muss zwischen Offenheit und Beliebigkeit?
    Münch: Na ja. Jedes Wahlprogramm hat eine gewisse Beliebigkeit. Das liegt in der Natur der Sache und es liegt natürlich in der Natur vor allem eines Mehr-Parteien-Parlaments, das wir jetzt haben. Es hängt davon ab, springt eine Partei über die Fünf-Prozent-Hürde oder bleibt sie darunter, nimmt sie an der Mandatsverteilung teil oder nicht. Und deshalb ist natürlich dort das eine oder andere schon unwägbar und man muss eine gewisse Offenheit haben, ohne völlig beliebig zu sein, weil das wollen die Wähler auch nicht. Wir haben hier auch eine gewisse Unterscheidbarkeit vor allem zwischen den großen Parteien. Die Positionierung in der Rentenpolitik ist eine andere, in der Steuerpolitik ist eine andere. Da kann man als Wähler schon Unterschiede feststellen.
    Barenberg: Würden Sie sagen, das ist so etwas wie ein tatsächliches Kontrastprogramm zu dem, was die SPD ja sehr detailliert schon formuliert hat?
    Münch: Kontrast erschiene mir als ein zu großes Wort. Man kann Nuancen erkennen und man stellt fest, dass der Parteienwettbewerb sich doch ein bisschen wieder belebt hat. Aber es ist immer schwierig, sich aus einer Großen Koalition heraus gleich aufzumanteln, wenn man gleichzeitig eigentlich noch fast am Kabinettstisch zusammensitzt.
    "Relativ gewagt, dieses Thema Rente stark auszugrenzen"
    Barenberg: Sie haben das Stichwort Demografie genannt. Nun ist es so, dass die SPD detaillierte Pläne beispielsweise zum Thema Rente, das viele Menschen interessiert, ausgearbeitet hat, während die Union das ja verschieben will nach allem, was wir wissen, in eine Kommission, die sich irgendwann in den nächsten Jahren darüber beugen soll. Wird ihr das auf die Füße fallen können im Wahlkampf?
    Münch: Das halte ich tatsächlich für relativ gewagt, dieses Thema Rente stark auszugrenzen, es auch dann wiederum der CSU zu überlassen, im Bayernplan dann noch was zur Mütterrente reinzuschreiben. Natürlich kann man verstehen, das Thema ist groß, das bedarf langer Erwägungen, aber eigentlich hat man ja die Zeit gehabt. Insofern ist das durchaus riskant, zu sagen, wir thematisieren die Rente nicht, obwohl wir wissen, dass ganz viele Bürgerinnen und Bürger da eine gewisse Sorge umtreibt.
    Barenberg: Das heißt, das wäre ein Punkt, wo Sie sagen würden, da kann die SPD angreifen in den nächsten Wochen?
    Münch: Das kann sie tun, wenn es ihr dann tatsächlich inhaltlich gelingt, das bessere Modell darzustellen. Aber grundsätzlich wird die SPD sicherlich ganz gut beraten sein, das zu einem Thema zu machen, da auch durchaus auf der emotionalen Ebene, auf der Gefühlsebene dieses Thema anzusprechen.
    Barenberg: Schauen wir noch auf ein paar andere Einzelheiten. Ich sage mal Unterstützung für Familien, der Kinderfreibetrag soll erhöht werden. Aber ein Zieldatum wird nicht genannt. Ist das einer dieser Punkte, wo die Union bewusst vage bleibt und es dann dem Wähler überlässt, was er daraus macht?
    Münch: Ja. Ich meine, dass die Union insgesamt eine Partei ist, die die Familien unterstützen möchte, das nimmt man ihr ab. Insofern kann man da relativ schnell drüber hinweggehen, indem man das Stichwort fallen lässt. Da muss man gar nicht so sehr als Union in die Details gehen. Das ist eigentlich auch ganz klug gemacht.
    Barenberg: Gilt das auch für den ganzen Bereich Steuern und Abgaben, wo die Union ja andeutet, dass sie 15 Milliarden Spielraum sieht – so hat das Finanzminister Wolfgang Schäuble immer in den letzten Wochen gesagt -, um jetzt doch anzudeuten, es könnte auch mehr werden? Wir wissen, die CSU hätte eigentlich gern mehr. Auch da ist ja nicht festzumachen, wohin die Reise gehen wird.
    Münch: Ich meine, da ist natürlich auch innerhalb der Union selbst eine gewisse Uneinigkeit: Wie viel Sparen ist erforderlich mit Blick auf die Unwägbarkeiten der Demografie, der Digitalisierung und insgesamt der wirtschaftlichen Entwicklung? Da ist man im Grunde natürlich sich immer uneins. Die einzelnen Ressorts, die einzelnen Fachpolitiker würden natürlich gerne große Geschenke ausgeben. Und da ist man so ein bisschen verhalten, kann man diese Geschenke tatsächlich unter die Leute bringen? Oder wäre es nicht klüger, dann tatsächlich für die Not auch vorzusorgen, für die potenzielle Not, die da kommen mag? Und vor allem auch mit Blick auf die demografische Entwicklung zu sagen, wir laden der nachwachsenden Generation nicht Schulden auf, sondern bauen weiter Schulden ab. Aber das sind grundsätzlich umstrittene Fragen selbst innerhalb der Union.
    "Problem tatsächlich nur verschoben"
    Barenberg: Umstritten sind ja auch ein paar andere Dinge, die jetzt in diesen Bayernplan ausgelagert werden sollen. Da geht es um den Streit, um den quälenden langen Streit um das Stichwort Obergrenze, ein Reizwort inzwischen zwischen den Partnern. Es geht um die Mütterrente, Sie haben es angedeutet, auch um bundesweite Volksentscheide. Ist das eigentlich den Wählern glaubwürdig zu vermitteln, dass es da Differenzen, Streitpunkte gibt, aber man im gemeinsamen Wahlprogramm einfach drüber wegsieht?
    Münch: Meines Erachtens ist das ein Problem, gerade bei dem Thema Obergrenze. Ich meine, die CSU hat gesagt, mit ihr wird keine Regierung gebildet, in der nicht dieses Thema Obergrenze auch im Koalitionsvertrag verankert wird. Insofern ist das Problem tatsächlich nur verschoben. Und auch da tut sicherlich die SPD und die Oppositionsparteien gut daran, aus ihrer Sicht da kritisch nachzufragen. Über kurz oder lang wird dieses Thema sicherlich wieder relevant werden. Man wird dann vermutlich versuchen, ein großes Paket zu schnüren, vielleicht mal in einer Koalitionsvereinbarung zwischen einerseits Obergrenze und andererseits der Frage eventuell eines Einwanderungsgesetzes, das diesen Namen tatsächlich auch verdient. Aber auch darum hat man sich ja als Union herumgemogelt.
    Barenberg: Warum sollte dann nach der Bundestagswahl gelingen, was jetzt vorher in Monaten und Jahren, können wir fast sagen, nicht gelungen ist?
    Münch: Das ist die Frage, die ich Ihnen auch nicht beantworten kann.
    Barenberg: Warum nicht?
    Münch: Na ja, weil diese Frage natürlich alle umtreibt: Wie soll das gehen? Wie gesagt: Man könnte sich eventuell vorstellen, dass dann Pakete geschnürt werden, dass die Union, dass die CDU sagt, na ja, wir sehen die Notwendigkeit, ein Einwanderungsgesetz zu schaffen. Und wir verbinden im Grunde gewisse Lockerungen im Hinblick auf den Zuzug von Nichtflüchtlingen und verbinden das gleichzeitig mit dem Aufbau von ganz massiven Verstärkungen der Außengrenzen der EU und der Bundesrepublik. Da kann man sich unter Umständen Pakete vorstellen. Aber schwierig bleibt die Frage.
    Barenberg: ... sagt Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
    Münch: Gerne, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.