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Wahre Wunder an Verdichtung, Leichtigkeit und Geschick

Elizabeth Bishop ist eine der großen amerikanischen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts. Hierzulande ist sie aber so gut wie unbekannt. Ihr relativ schmales, aber kostbares Oeuvre umfasst Gedichte und einige Prosastücke. Anlässlich ihres 100. Geburtstags ist nun eine zweisprachige Neuauswahl erschienen.

Von Astrid Nestling | 29.06.2011
    "Ich bewundere Verdichtung, Leichtigkeit und Geschick, die alle selten sind in dieser losen Welt", heißt es in einem ihrer Gedichte – Qualitäten ebenso ihres eigenen künstlerischen Schaffens. Aufgewachsen im kanadischen Neuschottland, am Meer, am Übergang zwischen Land und Wasser, dem beweglichen Rand zwischen dem Festen und dem 'Losen', ist Elizabeth Bishop dieser geografischen Eigenheit ein Leben lang verbunden geblieben. Ihre Werke, in denen sie Kindheitserinnerungen, Reisen, Geografisches sowie alltäglich Erfahrenes verwebt, sind wahre Wunder an "Verdichtung, Leichtigkeit und Geschick", mit denen sie das Fremde, Rätselhafte, aber ebenso das Staunenswerte und Schöne an den Dingen dieser "losen Welt" unpathetisch, doch äußerst genau registriert. Einem Kind ähnlich, dessen Blick neugierig an den für es noch unbefestigten Rändern der Welt umherschweift, frische Eindrücke sammelt, erste Einblicke gewinnt, bevor es erwachsen geworden diesen Blick für immer verliert – "and looked and looked our infant sight away" – wie der alte Mr. Swan aus ihrem Gedicht "Santarém".

    "An jenem goldenen Abend wollte ich wirklich nicht weiter;
    mehr als alles wollte ich eine Weile bleiben an jenem
    Zusammenfluss zweier Ströme, Trapajós, Amazonas,
    die großartig schweigend flossen, nach Osten flossen.
    Zwei Flüsse. Entsprangen zwei Flüsse nicht
    im Garten Eden? Nein, das waren vier,
    und sie flossen auseinander. Hier sind nur zwei,
    und sie fließen zusammen. Selbst wenn man sich
    zu literarischer Deutung verlocken ließe,
    wie: Leben/Tod, richtig/falsch, männlich/weiblich
    – solche Ideen hätten sich sofort gelöst, aufgelöst
    in jener wässrigen, blendenden Dialektik.
    In der blauen Apotheke hatte der Apotheker
    ein leeres Wespennest an ein Regal gehängt:
    Klein, exquisit, ein sauberes Mattweiß
    und hart wie Stuck. Ich bewunderte es
    so sehr, dass er es mir schenkte.
    Dann – blies die Dampfpfeife meines Schiffes.
    Ich konnte nicht bleiben.
    Zurück an Bord, fragte ein Mitreisender mich,
    Mr. Swan, Holländer, als Direktor von Philips Elektrik
    ging er in Pension, wirklich ein netter Mann,
    der bevor er starb den Amazonas sehen wollte,
    "Was für ein hässliches Ding ist das denn?"


    "Sie schreibt keine poetische Diktion, ihre Syntax wird immer eine alltägliche sein und aus dieser allgemeinen Verbindlichkeit heraus eine Magie herauszuoperieren, einfach durch Selektion, durch Edition über Jahre so zusammenzuschreiben, dass der Grundstock bleibt und dann doch ein ganz neuer Schimmer, ein neuer Glanz hinzukommt, das konnten nur ganz wenige, und Bishop ist da eine der ganz Großen."

    Der Literaturwissenschaftler Klaus Martens, ihr Übersetzer und der Herausgeber dieses Jubiläumsbändchens mit einer geglückten Auswahl ihrer Gedichte, die unbedingt Lust auf mehr macht. Doch eine deutsche Gesamtausgabe ihres Werks wird wohl auf unabsehbare Zeit ein beklagenswertes Desiderat bleiben. "North & South" lautete ihr erster Gedichtband, den sie 1946 veröffentlicht. Mit einem renommierten Literaturpreis ausgezeichnet, begründet er ihren rasch wachsenden Ruhm.

    Mit dem Schreiben aber lässt sie sich Zeit, überarbeitet ihre Gedichte immer wieder, bis sie ihrem hohen Anspruch genügen. Scheu und jeder größeren Öffentlichkeit abholt, widerstrebt Bishop alles Bekenntnishafte in der Dichtung. "Confessional poetry" ist ihre Sache nicht. Persönliches Unglück, seelische Verletzungen, auch ihre Homosexualität finden keinen expliziten Eingang in ihre Dichtung. Nur als Echo sind sie zu vernehmen. Als sie sich Anfang der 70er-Jahre nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin entschließt, Brasilien zu verlassen und nach Nordamerika zurückzugehen, schreibt sie das Gedicht "Crusoe in England", worin sie dessen Leben auf der Insel, allein, dann mit Freitag, schließlich seine Rückkehr in die Heimat schildert.

    "And then one day they came and took us off.
    Now I live here, another island,
    that doesn't seem like one, but who decides?
    I'm old.
    I'm bored, too, drinking my real tea,
    surrounded by uninteresting lumber.
    The local museum's asked me to
    leave everything to them:
    the flute, the knife, the shrivelled shoes,
    my shedding goatskin trousers
    (moths have got in the fur).
    How can anyone want such things?
    – And Friday, my dear Friday, died of measles
    seventeen years ago come March."


    "Und dann, eines Tages, kamen sie und nahmen uns fort.
    Jetzt lebe ich hier, eine andere Insel,
    die nicht wie eine aussieht, aber wer sagt das?
    Ich bin alt.
    Bin auch gelangweilt, trinke meinen echten Tee,
    umgeben von uninteressantem Gerümpel.
    Das Heimatmuseum hat mich gebeten,
    ihm alles zu hinterlassen:
    die Flöte, das Messer, die eingelaufenen Schuhe,
    meine haarenden Ziegenfellhosen
    (es sind jetzt Motten darin).
    Wer möchte schon solches Zeug haben?
    – Und Freitag, mein lieber Freitag, starb an Masern,
    siebzehn Jahre sind's her, kommenden März."


    "Ich habe großen Respekt vor dem, was die Leute gewöhnliche Dinge nennen. Ich versuche einfach, die Dinge neu zu sehen", heißt es in einem Interview. "I simply try to see things afresh." Ausdauernd und gewissenhaft hat Elizabeth Bishop die Dinge dieser "losen Welt" immer wieder neu gesehen und sie dabei dichtend in etwas Bleibendes verwandelt. In ein Werk – "klein, exquisit" – so meisterhaft wie unangestrengt.

    Elizabeth Bishop, Alles Meer ein gleitender Marmor
    Gedichte, Zweisprachig
    Herausgegeben, übersetzt und mit einer Einleitung von Klaus Martens

    Mattes Verlag, Heidelberg 2011
    72 S., Euro 14,80