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Wale vor Kalifornien
Highway der Meeresriesen

Vom Schiff aus Wale beobachten. Wenn die großen Tiere sich auf ihrer alljährlichen Wanderung vom Süden zurück in den Nordpazifik befinden, gibt es einen wahren "Highway der Wale". Vor San Diego kann man mit Glück einige Tiere entdecken.

Von Thomas Samboll | 20.03.2016
    Ein Grauwal vor der mexikanischen Nordwestküste ragt mit seinem Kopf aus dem Wasser.
    Ein Grauwal vor der mexikanischen Nordwestküste ragt mit seinem Kopf aus dem Wasser. (imago / blickwinkel)
    Langsam tuckert die "Hornblower" durch den Hafen von San Diego in Richtung offener Pazifik. Ein schmucker, schneeweißer Ausflugsdampfer, fast 50 Meter lang und mit drei Decks, von denen die Passagiere den Blick auf das tiefblaue Meer genießen. Das ruhige Meer, betont Ulrike Burgin vom Natural History Museum. Das ist ganz wichtig, erklärt die gebürtige Schweizerin, die heute die Wal-Expertin an Bord ist. Denn:
    "Was wir jetzt suchen, sind ‘a spout or blow‘: Wenn ein Wal ausatmet, produziert er eine große Fontäne von Wasserdampf. Und das sieht man von Meilen ziemlich weit weg. Und dann wissen wir: Dort ist ein Wal oder mehrere Wale. Und wir gehen näher. Wenn es Wellen hat und weißen Schaum, dann ist es schwieriger, die Fontäne zu erkennen."
    Aber auch so ist weit und breit kein "Blas", wie die Wal-Fontäne auch genannt wird, zu sehen. Stattdessen schläfrige Seelöwen, die es sich auf einer großen Markierungstonne gemütlich gemacht haben und dort in der Sonne ein Nickerchen halten. Und ein paar Delfine, die mit der Hornblower ein kleines Wettrennen liefern.
    Doch dann Aufregung an Bord: Eine Robbe treibt vorbei, wie ein Stück Holz, völlig bewegungslos. Einige Passagiere machen sich Sorgen. Ist sie verletzt? Oder gar tot?
    Kapitänin Julie Peet, genannt Jules, gibt Entwarnung: Alles okay, die Robbe hat sich auch nur kurz hingelegt. Offenbar ist wohl gerade Mittagspause im Pazifik.
    Auf der Brücke der "Hornblower" herrscht dagegen höchste Konzentration: Käpt‘n Jules und ihre Kollegin Casey haben einen Funkspruch erhalten.
    "Wir haben von einem Buckelwal gehört, der ungefähr acht Meilen von uns entfernt ist. Und ich rechne jetzt gerade aus, wie lange wir dahin brauchen!"
    Drei Wale tauchen auf
    Während Casey noch rechnet, sucht Jules mit ihrem Fernglas die Wasseroberfläche ab. Und dann entdeckt sie etwas. Nicht in acht Meilen Entfernung, sondern ganz nah an der "Hornblower":
    "Auf 10 Uhr, yeah! Hast Du´s auch gesehen? Auf zehn oder elf."
    Auf 10 Uhr, das ist in der Sprache der Seeleute schräg links voraus, sind Grauwale aufgetaucht. Nicht einer, nicht zwei, sondern gleich drei auf einmal!
    "Ups. Drei Stück. Scheinen alles Erwachsene zu sein. Die sind riesig! Wir müssen mindestens 500 Fuß entfernt bleiben, das sind die Regeln. Wir wollen ihnen keine Angst machen. Sonst tauchen sie ab. Also lassen wir ihnen ganz viel Platz, um sie nicht zu stressen. Das ist echt eine hübsche Gruppe, es sind sogar vier Erwachsene. Schöne Größe!"
    Die Passagiere an Bord sind begeistert. Und auch Ulrike Burgin vom Natural History Museum ist ein bisschen aus dem Häuschen:
    "Wir haben eben einen Wal aus der Nähe gesehen. Die Farbe ist so ungefähr grau. Aber nicht vollkommen grau. Sie haben weiße Flecken, und auf dem Rücken sieht man Walpocken, das sind kleine krebsartige Tiere, die sich auf den Walen festsetzen. Oben die Walpocken geben ihnen ein nicht einförmiges graues Aussehen."
    Während die Grauwale hier ruhig und gelassen ihre Bahnen ziehen können, gibt es anderenorts inzwischen einen regelrechten Wal-Rummel. Ein paar hundert Kilometer südwärts z.B., in der Baja California in Mexiko. Dort können Touristen die Tiere streicheln und, ja, sogar küssen! Aber auch in San Diego gibt es Wal-Touren-Kritiker. Denn: Die Zahl der Sichtungen ist in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen – obwohl die Zahl der Grauwale ständig gestiegen ist! Ulrike Burgin macht dafür aber nicht nur die Ausflugsboote verantwortlich:
    "Es sind vor allem die Navy-Schiffe, die die Wale stören, weil sie Sonar haben. Sie erregen Geräusche, die mit dem Kommunikations-system der Wale..., die das stören. Die Wale verständigen sich hauptsächlich durch Töne, die sie erzeugen und sehr gut hören können über weite Strecken."
    Nicht dem Wal zu nah kommen
    Sind die Wale jedoch gestresst, kann es durchaus schon mal brenzlig werden – mit tragischem Ausgang:
    "Mit einem so großen Boot wie der Hornblower, 150 Fuß, ist es eigentlich nicht gefährlich, nahe bei einem Wal zu sein. Aber ich habe von einem Kapitän die Geschichte gehört eines Wales, der es nicht gern hatte, dass ein Segelboot sehr nahe auf ihn zukam. Der Wal sprang aus dem Wasser, man nennt das "breaching", und landete sehr nahe beim Boot. Das Boot entfernte sich nicht. Der Wal tat es wieder. Und das dritte Mal landete der Wal genau auf dem Boot, und das Boot kenterte. Die Wale geben zuerst eine Warnung. Und dann aber kann es Ernst geben."
    Die Grauwale vor dem Bug der Hornblower wirken jedoch ziemlich unaufgeregt, tiefenentspannt sozusagen. Nicht mal die vielen Delfine, die um sie herum wimmeln, scheinen sie zu nerven. Dabei sind die "Wal-Verwandten" doch auch eigentlich nur zum "Whale-Watching" gekommen, schmunzelt Ulrike Burgin:
    "Delfine sind sehr soziale Wesen und sehr neugierig. Und immer, wenn wir Wale sehen, die sich paaren, dann erscheinen die Delfine. Und es gibt verschiedene Interpretationen und Spekulationen, warum die Delfine sich den Walen nähern, die in der Paarung sind. Z.B. dass das Sperma viele Fische anzieht und die Delfine sich daran freuen. Oder einfach, dass sie neugierig sind. Denn Delfine selber haben sehr viele Paarungsspiele."
    Auf die Tiere warten Gefahren im Meer
    Doch alles Weitere spielt sich jetzt ohnehin unter Wasser ab. Mit einem eleganten Schwung heben die vier Grauwale fast gleichzeitig ihre Fluken aus dem Wasser, und für einen kurzen, großartigen Moment scheinen die Schwanzenden der Tiere senkrecht in der Luft zu stehen. Dann tauchen sie ab in den dunkelblauen Ozean. Und sind verschwunden. Ulrike Burgin blickt ihnen noch lange hinterher. Sie weiß: Die gefahrvolle Reise der Meeresriesen auf dem Highway der Grauwale hat gerade erst begonnen. Und schon an der nächsten Ecke lauern gefährliche Wegelagerer:
    "Die Schwertwale, die verfolgen die Wale, die Junge haben. Die jagen zusammen in einer Gruppe und versuchen, das Junge von der Mutter zu trennen und dann anzugreifen. Und das gelingt ihnen oft. In Monterey ist das Wasser sehr tief in der Nähe des Landes. Und dort warten die Schwertwale auf die Grauwale, die auf ihrer Wanderung dort vorbeikommen."