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"Wallenstein" an der Berliner Schaubühne
Der Machtmensch als Zauderer

Knapp zehn Jahre nach Peter Steins viel beachteter Inszenierung bekommt Berlin wieder einen neuen "Wallenstein". Diesmal wagt sich ein Mann an die Dramen-Trilogie, der als der große Reduzierer unter den deutschen Theaterregisseuren gilt: Michael Thalheimer. Mithilfe kluger Kürzung schafft er aus Schillers Historien-Gemälde einen Machtpoker wie im Krimi.

Von Karin Fischer | 06.05.2016
    Wallenstein (Ingo Hülsmann) brüllt am 03.05.2016 in Berlin während der Fotoprobe an der Schaubühne für "Wallenstein". Premiere ist am 05.05.2016. Foto: Paul Zinken/dpa
    Thalheimers "Wallenstein" weist deutliche Parallelen zu den Machtspielen der Fernsehserie "House of Cards" auf und gar keine zu Peter Steins einstiger Mammutinszenierung. (picture alliance/dpa/Paul Zinken)
    Am Anfang, noch im Dunkeln, ist sie sofort ganz körperlich zu spüren, die Gewalt des Krieges: ein ohrenbetäubendes, den Körper und Boden erschütterndes, basslastiges Getöse bricht los, minutenlang, das Kriegslärm, Bomben, Helikopter, Trommeln und Pferdegetrappel in einer druckvollen Tonspur zusammenfasst. Dann schält sich ein halber Pferdeleib aus dem Nebel, der kopfüber von der Decke hängt, und halb nackte, blutverschmierte Gestalten werden sichtbar, halb Zombies, halb Kriegsversehrte. Gleich zu Anfang zeigen Thalheimer und sein Bühnenbildner Olaf Altmann unerbittlich, was Krieg aus Menschen macht: lebende Leichen.
    Das brutale Bild ersetzt komplett Schillers putzige Genreszenen aus "Wallensteins Lager". Dann folgt ein Hauptmotiv der Aufführung wie des Stücks: Wallensteins Astrologe mit unverständlicher Zahlenmystik, die Szene bestimmt den Herzog von Friedland als Sternengläubigen, als von der Astrologie beeinflussten Zauderer, als eine Figur, die trotz ihrer historischen Realität und Gebundenheit dem "Hamlet" ähnelt.
    "Entschließ dich! Nimm der Stunde wahr, bevor sie dir entschlüpft."
    "Die Zeit ist noch nicht da."
    "So sagst du immer. Wann aber wird es Zeit sein?"
    "Wenn ich's sage!"
    Wallensteins Zögern ist schon bei Schiller ein tief reichender Charakterzug und politisches Kalkül gleichermaßen; doch Ingo Hülsmanns Herzog hat nichts mehr von einem Feldherrn, nur wenig von einem Intriganten, doch einiges von einem Wahnsinnigen. Von Anfang an sitzt er wie festgenagelt auf der Bühne auf einem Stuhl, von einem Lichtstrahl hart aus dem Dunkel ausgeschnitten, aus dem die anderen Figuren immer erst heraus treten müssen. Der Raum ist extrem düster, umschlossen von Quadraten aus Metallgittern, er könnte auch ein Verhörkeller oder die Abhörzentrale einer Großmacht sein. Denn so unverrückbar, wie Wallenstein an die Sterne glaubt, steht er als Staatsfeind Nummer eins von Anfang an fest.
    Kluge Kürzung macht aus Schillers Historien-Gemälde einen Machtpoker wie im Krimi. Der Abfall vom Kaiser, die drohende Absetzung, Wallensteins Feilschen um den Treueschwur der Generäle, sein Zögern… Hülsmanns Figur entwickelt sich vom grüblerischen Egomanen – der in seinem Stuhl zwischen seinen Knien förmlich untertaucht - zum in die Enge getriebenen, verblendeten Machtpolitiker, der sich mit entblößter Brust als Friedensbringer oder gar als Opfer darstellt.
    Der letzte Teil, "Wallensteins Tod", wirkt in dieser Inszenierung wie ein Verwirrspiel von Kleist. Noch ein Brief, noch ein Schreiben, noch ein Gesandter, noch eine Wendung. Am Ende bleibt die Gewissheit, dass offen gehaltene Wege auch zur Falle werden und selbst nicht umgesetzte Pläne schlimmste Folgen haben können. Und dass der politische Kampf der Mächtigen selbst die Aufrichtigsten und Machtlosesten zum Spielball werden lässt, wie Max Piccolomini und Thekla, Wallensteins Tochter, die sich lieben. Aline Stiegler münzt deren Illusionslosigkeit in eine tränenreiche Trotzhaltung um, behält aber jederzeit einen überraschend klaren Kopf. Das Personal der Aufführung gewinnt deutliche Kontur auch bei Kürzest-Auftritten, wie Gräfin Terzky, ausgestattet von Regine Zimmermann mit durchaus weiblichen Machtmitteln; oder Urs Jucker als Buttler, der am Ende statt der Pflicht die Rache als seinen inneren Kompass entdeckt.
    "Bis hierher, Wallenstein, und nicht weiter. Aus der Böhmischen Erde erhub sich dein bewundert Meteor, weit in den Himmel einen Glanzweg ziehend, und hier an der böhmischen Grenze muss er untergehen ... !"
    Thalheimers "Wallenstein" weist deutliche Parallelen zu den Machtspielen der Fernsehserie "House of Cards" und gar keine zu Peter Steins Berliner Mammutinszenierung auf. Und lehrt, dass die politischen Akteure von heute auf den Schultern von Riesen stehen. Angela Merkels europäisches Integrationsprojekt mag ein Lehrstück in Diplomatie sein. Doch auch wenn sein Gelingen noch in den Sternen steht, gegenüber den Schrecken des 30-jährigen Krieges ist es nicht einmal ein Wagnis. Die tragische Fallhöhe europäischer Machtpolitik gibt es einstweilen nur bei Schiller.