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Wandbild für toten Flüchtlingsjungen
Tod und Teddys am Frankfurter Mainufer

Das Bild des toten Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi ging um die Welt. Graffiti-Künstler hatten es mit offizieller Genehmigung in Frankfurt am Main auf 120 Quadratmeter nachgesprayt, wo es am Osthafen zu sehen war – bis wohl Neonazis es zerstörten. Nun gibt es ein zweites Grafitto: Es zeigt einen lachenden Aylan Kurdi inmitten von Teddybären. Und es gibt eine Debatte über Kunst und Kitsch.

Von Ludger Fittkau | 14.07.2016
    Justus Becker und Oguz Sen arbeiten an ihrem Aylan-Kurdi-Graffiti in Frankfurt
    Justus Becker und Oguz Sen arbeiten an ihrem Aylan-Kurdi-Bild in Frankfurt (dpa/picture alliance/Boris Roessler)
    Eine gut sechs Meter hohe Hafenmole trennt die Schiffseinfahrt zum Industriehafen von Frankfurt am Main vom eigentlichen Flussbett. Bis Anfang März bot die mächtige Mauer der Mole unmittelbar am Flussufer wenig Gesprächsstoff. Doch dann bekamen die Frankfurter Sprayer Justus Becker und Oguz Sen die Genehmigung, die gut 120 Quadratmeter große Fläche künstlerisch zu gestalten. Als Vorlage wählten sie das wohl weltweit berühmteste Foto der Flüchtlingsbewegungen des vergangenen Jahres. Es zeigt den dreijährigen syrischen Jungen Aylan Kurdi, der tot mit dem Gesicht nach unten am Strand von Bodrum an der türkischen Küste liegt.
    Das riesige Wandgemälde nicht weit vom neuen EZB-Hochhaus wurde in Frankfurt viel beachtet – dann wurde es vor einigen Wochen mit rechten Parolen übersprüht. Jetzt haben die beiden Künstler Becker und Sen ein neues Wandbild an gleicher Stelle gestaltet: Es zeigt den kleinen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi nun aufrecht – zwar weiterhin mit geschlossenen Augen, aber auch lächelnd in einer fiktiven Paradieswelt über den Wolken, umgeben von Teddybären.
    Juwelier Felix Weigand, der am Mainufer spazieren geht, begrüßt diese neue Aktion: "Ich finde es eigentlich sehr, sehr gut das neue Bild. Mir hat auch das Alte sehr gut gefallen. Ich finde es eine tolle Erinnerung an die Flüchtlingskrise, gerade mit dem toten Jungen, der damals angespült wurde."
    "Es gibt ja viele moderne Kunst, die mit Kitsch spielt"
    40 Stunden hatten die Künstler im Frühjahr bereits an der ersten Version des Bildes gearbeitet. Sie hatten das Sprühen immer wieder unterbrechen müssen. Auch, weil die Zuschauer heftig reagiert hatten, nicht nur positiv, berichteten die Sprayer später. Als das Bild dann mit rechtsgerichteten Parolen beschädigt wurde, übernahm die Staatsschutzabteilung der Polizei Ermittlungen auf. Täter wurden bisher nicht gefunden.
    Das erste Aylan-Kurdi-Graffiti in Frankfurt
    Das originäre Aylan-Kurdi-Graffiti in Frankfurt (dpa/picture alliance/Arne Dedert)
    Das Wandbild wurde damit im Frühjahr wohl zum meistdiskutierten Kunstwerk in Frankfurt am Main. Es gibt in der Stadt auch Kunstkritiker, die das Wandgemälde der Sprayer mit dem toten Flüchtlingsjungen für kitschig halten. Gerade die zweite Version, die den Jungen im Kreis von Teddybären zeigt. Der Kunstkenner Volker Riebel kennt diese Kritik, teilt sie aber nicht: "Ja, das ist auch Kitsch. Aber das ist absichtlich Kitsch, es gibt ja viele moderne Kunst, die mit Kitsch spielt."
    Spaziergängerin Marie Althoff vermisst eher das alte, zerstörte Bild des Flüchtlingsjungen, der mit dem Gesicht nach unten tot am Strand liegt. Der wiedererweckte Aylan Kurdi in seinem Teddybärenhimmel überzeugt sie nicht: "Ich finde es fast ein wenig zu lustig dargestellt, ehrlich gesagt. Das ist was Dramatisches, was da passiert ist. Das neue ist mir jetzt noch nicht aufgefallen, ich sehe es mit ihnen jetzt das erste Mal. Und für das, was passiert ist, es für mich persönlich ein bisschen zu lustig dargestellt ehrlich gesagt."
    Mit dieser Meinung ist Marie Althoff nicht alleine: "Ich finde es zu lieblich, das zeigt eigentlich nicht die wahre Tragik." "Das ursprüngliche Bild hat natürlich aus meiner Sicht mehr Ausdrucksstärke gehabt. Ich fand es etwas krasser natürlich. Das jetzige Bild mit den Teddybären nebendran ist ein bisschen freundlicher. Nichtsdestotrotz finde ich es immer noch ein gutes Mahnmal, egal wie es jetzt aussieht", sagt Felix Weigand.
    "Man darf nicht vergessen, was in der Welt so passiert"
    Doch ein entscheidender Nachteil der neuen Variante des Gemäldes mit dem toten Flüchtlingsjungen zeigt sich, als eine Wandergruppe vorbeikommt, die das alte Wandbild nicht gesehen hatte. Die Gruppe erkennt nicht auf Anhieb, dass es sich bei dem aufrechten Kind inmitten der Teddybären um den kleinen syrischen Flüchtling am Strand von Bodrum handelt. Ein klarer Fehler der künstlerischen Konzeption: "Ich hätte das nicht in Verbindung gebracht mit dem Kind, das da tot angeschwemmt wurde." – "Es müsste eine Erklärung dabeistehen, was es sein soll. So ist es nichtssagend."
    Doch Volker Riebel und Felix Weigand halten unter dem Strich auch das neue Wandgemälde für gelungen: "Ich finde das Bild, so wie es jetzt ist, sehr schön. Ich habe mich an dem anderen Bild auch nicht gestört. Ich finde es ganz gut, dass man auf das Kind aufmerksam macht, dass da angespült wurde." Felix Weigand: "Ich finde, das ist so ein Zeichen, einmal wie weltoffen Frankfurt ist, dem ganzen gegenüber. Aber das man es auch nicht vergessen darf, was in der Welt so passiert."
    Olaf Cunitz, scheidender Bürgermeister der Grünen, schlägt vor, das Kunstwerk immer wieder herzurichten, wenn es beschädigt wird. Notfalls bis zum "Sankt Nimmerleins-Tag". Doch die Hafenmole wird normalerweise immer wieder im Jahreswechsel an neue Wandmal-Künstler vergeben. Der tote Flüchtlingsjunge Aylan Kurdi wird also wohl kein dauerhaftes Denkmal in Frankfurt am Main bekommen.