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Wandlungen eines Dichters

Günter Eichs Gedichte und Hörspiele gehören zu den bedeutendsten Werken der Nachkriegsliteratur. Glaube an die Kraft der Sprache zeichnete Eichs Werke aus. Doch dieser Glaube ist zugleich mit Skepsis erfüllt.

Von Ingo Kottkamp | 01.02.2007
    1927 veröffentlichte er die ersten Gedichte, 1972 sein letztes Hörspiel. An welchen Günter Eich aber wird man sich erinnern? An den Autor der "Träume", der mit diesem Hörspiel erbosten Hörern die gemütliche Abendunterhaltung verdarb? An den Dichter der "Kahlschlagpoesie" nach Kriegsende? An den "Erzähler auf dem orientalischen Markt", wie er sich selbst einmal nannte? Oder an seinen Vers "Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!", der auf Transparenten der 68er-Bewegung zu lesen war, als Eich selbst ihn längst zu sententiös und formelhaft fand?

    "Das Wort, das einzige! Immer suche ich's,
    das wie Sesam die Türen der Berge öffnet,
    wie liegst du mir auf der Zunge!
    Du, das ich gekannt habe,
    du, dessen ich teilhaft war,
    du, das im Schallen des Ohres ganz nahe ist, -
    dennoch faß ich dich
    niemals, niemals, niemals!"

    Eines verbindet die verschiedenen Eichs: der Glaube an die Kraft der Sprache, der zugleich mit Skepsis erfüllt ist. Am 1. Februar 1907 in Lebus an der Oder geboren, begann Günter Eich seinen Weg mit Naturgedichten. Die Entscheidung des Sinologiestudenten, ganz vom Schreiben zu leben, fiel in eine denkbar ungünstige Zeit: Ein Jahr danach kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Er verstummte als Lyriker und schrieb Hörspiele für den Rundfunk, darunter Literaturbearbeitungen, Geschichten für Kinder und eine Kalendersendung, in der Landschaften porträtiert wurden. Inwieweit diese Brotarbeiten dem System dienten, darüber ist nach Eichs Tod ein Streit in den Feuilletons geführt worden. Eich selbst hatte aber nie behauptet, Widerstandskämpfer gewesen zu sein.

    Nach Kriegsende erregte er mit herber und lakonischer Lyrik Aufsehen in der sich gerade formierenden Gruppe 47. Danach begann eine zweite, ganz andere Hörspielkarriere.

    "Das hier ist unsere Welt, in der wir leben. Sie besteht aus vier Wänden in Dunkelheit und rollt irgend wo hin. Ich bin sicher, dass draußen nichts anderes ist als die gleichen dunklen Räume."

    Ein Ausschnitt aus den "Träumen" von 1951. Für viele sind Eichs Rundfunkwerke der 50er Jahre noch immer der Inbegriff des Hörspiels. Es waren poetische, geheimnisvolle und zugleich enorm spannende Geschichten: "Die andere und ich", "Allah hat hundert Namen", "Die Brandung vor Setúbal". Günter Eich erhielt literarische Ehrungen, doch als er den Büchnerpreis entgegennahm, zeigte sich in der Dankesrede ein zorniger Eich, den viele nicht erwartet hatten.

    "Wenn unsere Arbeit nicht als Kritik verstanden werden kann, als Gegnerschaft und Widerstand, als unbequeme Frage und als Herausforderung der Macht, dann schreiben wir umsonst, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien. Die Chance, in das Nichts der gelenkten Sprache ein Wort zu setzen, wäre vertan."

    Dieser Generalangriff war brisant genug, dass die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" mit einer Tradition brach und die Rede erstmals nicht im Wortlaut abdruckte. Danach, in den 60er Jahren, wurden Eichs Werke spröder, dichter und auch unzugänglicher. In den Gedichten verschwand der Reim und mit ihm die weiche, lyrische Stimmung. Und die Hörspiele wurden zunehmend zu Meditationen über die Sprache. Am Ende stand eine Hybridform aus Prosa und Lyrik, aus grimmigem Sprachspiel und Unsinnspoesie, die er "Maulwürfe" nannte.

    "Die Etymologie hat nachgewiesen, dass Kalauer nicht aus Kalau stammen. Sie stammen aus Luckau. Ich weiß es, ich bin im Grenzgebiet beider Kreise aufgewachsen, Luckau hat eine Strafanstalt, Kalau hat gar nichts. Wie gesagt, Kalauer sind keine Steigerungen von Kalau, aber mir sind sie recht, eine Möglichkeit, die Welt zu begreifen, vielleicht die einzige, anspruchslos und lila."

    Vor seinem Tod 1972 fand Eich selbst viele seiner früheren Dichtungen zu sentimental und pathetisch. Doch gerade seine Wandlungen zeichnen ihn als Dichter aus. Auf eine Formel lassen sie sich auch im festredenträchtigen Jahr des 100. Geburtstags nicht bringen: Eich erschließt sich nicht, wenn man ihn rekapituliert, nur, wenn man ihn liest.