Metropolenklang

Ein akustischer Spaziergang durch Berlin

Das Paul-Löbe-Haus (links) und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (rechts) im Berliner Regierungsviertel durchzogen von der Spree.
Zufälliger akustischer Effekt: Vor dem Paul-Löbe-Haus im Regierungsviertel gluckst die Spree. © picture alliance / Daniel Kalker
Von Sophie Elmenthaler · 06.04.2016
Der Klang wird in Architektur und Stadtplanung meistens dem Zufall überlassen. Das ärgert den Klangforscher Thomas Kusitzky. Er fordert, die Akustik von Anfang an in der Stadtplanung und Architektur mit einzubeziehen - und sozusagen einen Werkzeugkasten dafür zu entwickeln.
Man stelle sich vor, man kommt aus einem Dorf in der Uckermark oder im Schwarzwald hier an: Berlin Hauptbahnhof. Augen zu, Ohren auf – wo bin ich hier?
"Dieser Raum funktioniert eigentlich als Verstärker für alle Klänge, die hier stattfinden. Deswegen klingt es hier alles relativ fast schon stresserzeugend, würd ich sagen, chaotisch, (Zug fährt mit quietschenden Bremsen ein) man kann die Ansagen schlecht verstehen, also Orientierung kann man hier nicht unbedingt finden über den Klang."
Thomas Kusitzky ist Klangforscher. Uckermark oder Schwarzwald oder Erzgebirge oder Sauerland sind ja auch nicht mehr so still, wie sie mal waren – und doch ist schon bei der Ankunft die Akustik einer Metropole ein Überfall. Berlin Hauptbahnhof – Augen zu, Ohren auf. Hauptbahnhof, gedämpfte Geräusche, Untergeschoss.
"Interessant find' ich eben nur, dass eben bei so einem repräsentativen Bau, sehr teuren Bau, der Klang offen hörbar sozusagen eine sehr untergeordnete Rolle spielt."
Wir verlassen den Hauptbahnhof in Richtung Regierungsviertel. Klang, sagt Thomas Kusitzky, wird in Architektur und Stadtplanung, abgesehen vom Lärmschutz, immer noch zumeist dem Zufall überlassen. Wie die Stadt klingt: Das ist in der Stadtplanung kein Thema. Und ein reizvoller akustischer Effekt kommt eher zufällig zustande – wie vorm Paul Löbe Haus an der Spree:
"Jetzt sind wir hier an einer Stelle, an der es eine Metallkonstruktion gibt, die die Boote daran hindern soll, gegen die Brückenpfeiler zu fahren. Und durch diese Konstruktion hört man, zumindest sobald Schiffe vorbei fahren, das Wasser."
Mitten im Band des Bundes, einem zentralen Platz der Republik, gluckst die Spree – was sie selten tut, weil sich dieser norddeutsche Tieflandfluss so langsam durch die flache Stadt bewegt.

Zeitalter des Sehens

Wir leben im Zeitalter des Sehens und vernachlässigen das Hören, beklagte schon der legendäre Joachim Ernst Behrendt. Die Stadt wird geplant für die Augen. Im Gegensatz zum Klang ist die Sicht, das Aussehen von Straßenzeilen und Gebäuden, kein Zufall.
"Wenn man im visuellen Bereich der Architektur das betrachtet, da gibt's natürlich Stile und Vorbilder, die man dann gut finden kann oder schlecht; und auf die man dann eingehen kann, und so entwickelt sich natürlich eine Kultur. Und die gibt es eben bezüglich des klanglich-städtischen noch nicht, die müsste erst entwickelt werden."
Augen zu, Ohren auf: Wie nehmen wir die Stadt wahr, wenn wir sie uns nicht ansehen, sondern anhören? Wir nähern uns einem der belebtesten und beliebtesten Plätze im Zentrum Berlins, dem Hackeschen Markt - es ist einer der ersten Sonnentage des Jahres. Die Cafés sind voller Menschen – die Stadt ist hier der Klang, den sie erzeugen.
Man hört nicht nur, wie das Wetter ist, sondern auch ...
"Zum Beispiel solche Geräusche, typische Geräusche für Anlieferung, sowas hört man natürlich nur wochentags."

Intime Innenhöfe

Autorin: "So, jetzt gehen wir in die Hackeschen Höfe, hier ist jetzt der Durchgang."
Thomas Kusitzky: "Es gibt ja in Berlin diese Blockrandbebauung, die Vorderhäuser schirmen die Höfe ab von der Straße, und dadurch herrscht in den Höfen eine abgeschottete Klangsituation, und je nach dem wie die Höfe bespielt sind, klingen sie dann eben ganz besonders."
Hier sind vor allem Touristen unterwegs, trotzdem hat der Klang etwas Intimes – auch das nicht geplant, sondern als Nebeneffekt. Auf der Straße selbst hat die Blockrandbebauung einen ganz anderen Effekt:
Autorin: "So, jetzt sind wir am Rosenthaler Platz, eine fette Kreuzung, da macht jemand Musik auf einem Mülleimer."
Der Klang wird von den lückenlosen Häuserzeilen hin- und hergeworfen und verstärkt.
Thomas Kusitzky: "Dann gehen wir doch in eine Seitenstraße."
Am Klang bestehender Stadtstrukturen kann wenig geändert werden, und wenn, würde es teuer. Aber dass bei der Stadtplanung die Akustik so stiefmütterlich behandelt wird, ärgert den Klangforscher Thomas Kusitzky. Er plädiert dafür, die klangliche Wirkung von Anfang an in der Stadtplanung und Architektur zu berücksichtigen:
"Es ist überraschend für die meisten Leute, wenn man den Klang überhaupt erst mal anspricht, dass das eben ein wichtiges Element für das städtische Erleben ist, aber man stößt meistens dann doch auch auf Interesse; dann kommt immer sofort die Forderung, sie wollen einen Werkzeugkasten haben, mit dem man das dann umsetzen kann. Aber das ist genau der Punkt. Diesen Werkzeugkasten muss man erstmal überhaupt entwickeln."
Augen zu, Ohren auf – das könnte eine Devise für die Ausbildung von Stadtplanern sein.
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