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Wanka: Kein Schwarzer-Peter-Spiel beim BAföG

Ordentliche soziale Bedingungen für Studierende zu schaffen, müsse eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern sein, sagt Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Für die BAföG-Reform dürfe es von Seiten der Ländern nicht nur Lippenbekenntnisse geben. Es müsse auch die Bereitschaft da sein, "echt Geld in die Hand zu nehmen".

Johanna Wanka im Gespräch mit Jürgen König | 24.03.2013
    König: Frau Professor Wanka, Ihr Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover hatte 220 Mitarbeiter, verteilt auf 173 Planstellen, wie ich gehört habe. Seit dem 14. Februar führen Sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung, ein Haus mit über 1.000 Mitarbeitern, verteilt auf Dienstsitze in Berlin und Bonn. Das muss eine große Umstellung sein. Sind Sie angekommen in Ihrem Haus?

    Wanka: Es ist eine Umstellung, eine große Umstellung würde ich nicht sagen. Und angekommen: Natürlich kann man nach und nach erst die Mitarbeiter kennenlernen. Den ersten Dienstsitz in Bonn habe ich schon besucht, und ich versuche, möglichst schnell vieles kennenzulernen – von den Strukturen, von den Abläufen, die in diesem Haus, das muss ich sagen, exzellent organisiert sind.

    König: Was kann man als neue Ministerin in einem solchen "Apparat" - in Anführungsstrichen – bewegen, und inwieweit bewegt auch der Apparat einen selbst?

    Wanka: Man kann schon bewegen. Das ist das Schöne bei einer Ministerin, dass man zwar Vorlagen bekommt, Vorschläge, aber dann die Abwägung, die man im Gespräch oder im Dialog macht, das sind immer Entscheidungsspielräume. Welches Programm starten wir jetzt? Machen wir das wirklich mit dem Volumen? Gehen wir jetzt damit in die Presse? Das sind Dinge, die kann eine Ministerin sehr wohl entscheiden, man kann sich natürlich auch die Sache einfach machen und immer alles abzeichnen, was kommt. Aber dann macht es keinen Spaß.

    König: Ich meine, ein Apparat kann ja auch große Macht bedeuten. Wenn man das Gefühl hat, da nicht reinzukommen, wird es schwierig...

    Wanka: Ja, aber so ist das Haus nicht. Also ich erlebe das Haus als sehr offen und auch gesprächsbereit, aber auch mit der Bereitschaft, sich auf einen einzustellen.

    König: Sie haben in der letzten Woche den Vorschlag gemacht, das BAföG zu reformieren, Sie haben gesagt, die jetzigen Bestimmungen gingen – Zitat – teilweise an der Lebenswirklichkeit vorbei. Sie haben gesagt, die Studentenschaft werde immer unterschiedlicher, viele Menschen würden zum Beispiel erst nach einer Berufsausbildung studieren, viele würden Teilzeit studieren, also müsse man zum Beispiel die BAföG-Altersgrenzen flexibler gestalten. Die Resonanz war groß, die Studentenverbände zunächst haben gesagt: Wunderbar haben wir schon immer gefordert, wir haben aber noch sehr viel mehr gefordert, also, das geht nicht weit genug, was Sie vorgeschlagen haben. Auch andere haben sich so geäußert; in den Kommentaren wurde allenthalben gefragt: Woher soll das Geld kommen, dieses zu bezahlen? Die Vorsitzende der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern, Frau Ahnen von der SPD, hat Sie aufgefordert, einen Gesetzentwurf mit Kostenberechnung vorzulegen. Dazu haben Sie wiederum am Mittwoch im Bildungsausschuss des Bundestages einen Vorschlag zur BAföG-Reform für Mitte April angekündigt. Ich hoffe, ich habe das alles so richtig zusammengefasst - was schwebt Ihnen da vor?

    Wanka: Zahlen von BAföG ist ja eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Den größeren Anteil – über 60 Prozent – trägt der Bund, aber die Länder müssen mit im Boot sein. Und meine Erfahrungen als Landesministerin ist es, dass es sehr schlecht ist, wenn der Bund mit einem fertigen Vorschlag kommt, vielleicht noch in die Presse geht, und den Ländern etwas aufzwingt oder sie zwingt, das abzulehnen unter dann auch politischer Beschädigung. Und deswegen ist meine Vorgehensweise, dass ich im April, wenn wir das Kamingespräch haben am Vorabend der gemeinsamen Wissenschaftsministerkonferenz, ganz konkrete Vorschläge mache, was man machen kann, auch mit Kostenschätzung. Und dann ist für mich entscheidend, wie die Länder darauf reagieren – wo es eine Bereitschaft gibt oder wo es Ablehnung gibt, und ob es überhaupt Sinn macht, in einen vernünftigen Dialog zu kommen, denn: was bei der letzten BAföG-Reform stattgefunden hat, das möchte ich nicht wiederholen, dass die Länder sich dann doch verweigern und dass der Bund doppelt zahlt. Sondern ich glaube, diese wichtige Aufgabe, BAföG ausgestalten, für die Studierenden ordentliche soziale Bedingungen zu schaffen, das muss eine gemeinsame Aufgabe sein. Und deswegen ist mir daran gelegen, einen Gesetzentwurf konkret dann vorzulegen, wenn es eine hohe Akzeptanz gibt und eine hohe Bereitschaft bei konkreten Vorschlägen. Damit gehe ich jetzt aber nicht im Detail hinaus, sondern das muss man wirklich in Ruhe besprechen, um nicht den anderen in eine Verweigerungs- oder nur Zustimmungsposition zu bringen. Und dann muss man sich in echte Verhandlungen oder in Erarbeitung eines Gesetzentwurfes begeben, das hängt vom Resultat dieser Gespräche ab.

    König: Aber das wird sich dann schon noch ziehen.

    Wanka: Ich denke, eine so grundlegende Reform, die geht nicht von heute auf morgen, denn da sind viele Dinge zu bedenken.

    König: Ist es richtig, dass Sie im nächsten Jahr 620 Millionen Euro kürzen müssen in Ihrem Etat? Der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, hat das gesagt. Ist das richtig?

    Wanka: Der Etat dieses Ministeriums, der hat sich wunderbar entwickelt in den letzten Jahren. Der betrug 2005, also am Ende der rot-grünen Regierung, rund 7,5 Milliarden. Jetzt haben wir fast das Doppelte. Und zu dieser hohen Summe kommt für das nächste Jahr 2014 noch mal ein Zuschlag. Aber natürlich muss man im Etat schauen, welche Programme werden jetzt neu gestartet, wie geht man mit den Details um. Auf jeden Fall hat dieses Ressort, obwohl wir Haushaltskonsolidierung haben, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt. Das heißt also, dass Kollegen einsparen müssen oder bestenfalls überrollt werden, obwohl überall zusätzlich neue Aufgaben auch entstehen, wir also eine Vorzugsbehandlung haben. Und ich denke, darüber können wir sehr froh sein. Wir müssen natürlich mit diesen Milliarden auch sehr verantwortungsbewusst umgehen.

    König: Das heißt, Sie müssen nicht kürzen, verstehe ich das richtig so?

    Wanka: Nein, wir kriegen mehr. Und wir müssen jetzt den konkreten Gesetzentwurf machen, wofür setzen wir welches Geld ein.

    König: Das Problem ist ja nur, dass in dem Moment, wo Sie eine solche Reform ankündigen, einen solchen – wie soll ich sagen – Katalog an Erwartungen in Bewegung setzen, dass dann natürlich die Enttäuschung groß ist, wenn man dann wieder hört – und ich meine, es ist ein Kernthema, die ganze BAföG-Geschichte, da hängen nicht nur Hunderttausende von Studenten dran, da hängen deren Familien dran, für die Hochschulen ist das von Bedeutung, also da geht es um richtig viel. Und dann zu sagen: Na ja, also jetzt überlegen wir mal. Und bis es dann so weit sein könnte, vergehen Monate. Und das ist nicht Ihre Schuld, das weiß ich ja auch. Das ist halt auch der Apparat, der dann so lange braucht. Gleichwohl ist eine BAföG-Reform überfällig. Die Zahlen liegen seit Langem vor, man erwartet vom Bund eine Vorgabe, eine Idee, einen Vorschlag, nicht zuletzt, weil er mit 65 Prozent der größere Zahler ist. Sehen Sie sich da, nicht als Person, aber den Bund in der Pflicht, irgendwie vorzustoßen?

    Wanka: Darum habe ich ja auch die Initiative ergriffen, weil ich denke, das ist schon was ganz Zentrales, in welcher Art und Weise unsere Studierenden studieren können und inwieweit ihre sozialen Bedingungen wirklich an die Realität angepasst sind. Also wir haben jetzt Bachelor- und Masterstrukturen, und das BAföG ist seit vielen Jahren zwar erhöht worden und auch partiell verändert worden, aber nicht grundlegend. Was das Geld anbetrifft, da denke ich schon, dass es eine Frage der Prioritätensetzung ist, und das ist außerordentlich wichtig und da hoffe ich, dass andere das auch so sehen. Ich werde mich jedenfalls dafür engagieren, und wir werden dann natürlich auch nach der Wahl in den Koalitionsverhandlungen das thematisieren, nicht nur BAföG, aber auch andere Dinge. Das sind keine Entscheidungen, die man jetzt kurz vor dem September definitiv treffen kann.

    König: Es ist nur dieses Schwarze-Peter-Spiel, das man so lange Jahre mitverfolgen musste: Der Bund sagt, die Länder sollen sich regen. Die Länder sagen: Na, der Bund muss es geben. Und am Ende passiert gar nichts. Das ist ja diese große Frustration, die es auch gibt und dass, glaube ich, auch jetzt die Erwartungen so vehement geäußert wurden.

    Wanka: Ich denke, dass es nicht ein Schwarze-Peter-Spiel sein kann – Bund oder Länder, sondern der Bund will, ich will. Es ist uns wichtig, es ist ein zentrales Thema, wie die Studierenden, die in den nächsten Jahren ja Gott sei Dank noch in großer Zahl da sein werden – das verändert sich ja nach 2025 oder 2022 schon. Und ich gehe davon aus, dass in den Ländern – in den meisten Ländern haben wir jetzt ja rot-grüne oder grün-rote oder rot-rote Regierungen, da hoffe ich darauf, dass dort nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern auch die Bereitschaft ist, echt Geld in die Hand zu nehmen, weil es ist eine gemeinsame Aufgabe.

    König: Bund-Länder-Verhältnis: Ihre Amtsvorgängerin, Annette Schavan, hat eine Qualitätsoffensive für die Lehrerbildung auf den Weg gebracht. Über zehn Jahre hinweg will der Bund insgesamt 500 Millionen Euro ausgeben, das Geld gibt es nur, so die Absprache, wenn die Länder Wege finden, die Uneinheitlichkeit der Lehrerausbildung zu überwinden, wenn sie die Abschlüsse der Lehrerausbildung gegenseitig anerkennen, sodass Lehrer dann auch problemlos von einem Land ins andere wechseln können. Einen entsprechenden Länderstaatsvertrag hat die Kultusministerkonferenz in Aussicht gestellt. Im April wollen Bund und Länder, da sind wir wieder bei dieser berühmten GWK-Sitzung, darüber verhandeln, idealerweise die Regelung verabschieden. Sie haben bekräftigt in Ihrer Antrittspressekonferenz, der Bund werde alleine die Kosten für diese Qualitätsoffensive übernehmen, wenn die Länder Rechtssicherheit schaffen, also bei dieser Frage der gegenseitigen Anerkennung von Lehramtsabschlüssen. Und dann haben Sie so lächelnd gesagt, als würden Sie Ihre Pappenheimer schon kennen, Sie würden sehr darauf achten, dass das geschieht. Wie sehen Sie denn die Aktivitäten der Länder, passiert da was?

    Wanka: Ja, da ist etwas passiert, nachdem es im letzten Jahr in der Kultusministerkonferenz noch eine große Ablehnung gab ob dieses Anliegens, Mobilität zu befördern bei Lehramtsstudenten oder Absolventen von Lehramtsstudiengängen und gesagt wurde: Haben wir ja alles über KMK-Beschlüsse geregelt, es gibt eigentlich kein Bedarf, die wenigen, wo es Schwierigkeiten gibt - die Realität aber so aussieht, dass wir jetzt in den ganzen Ländern Gesetze haben, wo oft drin steht: Man kann einen Abschluss aus einem anderen Land anerkennen – ohne konkrete Hinweise, Bedingungen, oder ganz unterschiedliche Einstufungen, finanziell, wenn jemand von einem Land in ein anderes wechselt. Und deswegen habe ich mich damals als Landesministerin wirklich intensiv dafür engagiert, dass wir sagen: Nein, wir verweisen nicht auf KMK-Beschlüsse, sondern wir versuchen, das jetzt so zu machen, dass – egal wo jemand Lehramt studiert – er dann weiß: Du kannst in Bayern oder in Thüringen oder in Mecklenburg-Vorpommern auch wirklich mit diesem Abschluss ankommen zu guten Konditionen. Und es ist gelungen, auch durch die ganz klare Ansage von unserer Seite, dass wir das erwarten ...

    König: ... man kann das auch Erpressung nennen ...

    Wanka: ... nein, Erpressung wäre es, wenn es ein unsachliches Unterfangen wäre. Aber das ist ja etwas Vernünftiges.

    König: Aber man hat natürlich schon den Eindruck: Wenn Ihr das und das macht ... Ihr kriegt das Geld dann, wenn ... Das hat natürlich schon solche Züge.

    Wanka: Ja, gut. Die Kultusministerkonferenz hat jetzt im März noch mal beraten. Und der Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, der ist ganz gut, der ist eine gute Basis. Aber ein Vorschlag muss jetzt in eine Bund-Länder-Vereinbarung, also es muss etwas Rechtssicheres sein – nicht eine Zusage "wir machen das", sondern ganz klare Verhältnisse. Es muss nicht ein Staatsvertrag sein, der wäre eine Möglichkeit gewesen, aber eine Bund-Länder-Vereinbarung, wo das wirklich rechtssicher verankert wird. Wenn das so funktioniert, dann kann das Geld fließen und dann können wir ausschreiben. Und dann kann das zur Verstärkung der Qualität der Lehrerbildung in den Ländern eingesetzt werden, denn die Hauptlast der Lehrerbildung der Studierenden tragen natürlich die Länder.

    König: Der Ausbau der Studienmöglichkeiten wird vom Bund im Rahmen des Hochschulpaktes mit jährlich rund fünf Milliarden Euro gefördert. Viele Länder sagen, das reicht ihnen nicht, argumentieren mit doppelten Abiturjahrgängen, mit weggefallener Wehrpflicht, mit dieser halben Million Studienanfänger im Jahr 2012, Tendenz gleichbleibend hoch. Frau Wanka, Sie waren sechs Jahre Hochschulrektorin, waren zwölf Jahre Bildungsministerin in Ost- und Westdeutschland. Sie kennen die Sorgen der Hochschulen, die Sorgen der Länder. Diese Forderung nach mehr Geld aus den Ländern: Sie haben wiederum bei Ihrer Antrittspressekonferenz gesagt, man werde – Zitat – stärker als bisher darauf achten, dass die Länder ihren Co-Finanzierungsanteil von 50 Prozent auch aufbrächten. Und Sie haben dann hinzugefügt: Das haben manche Länder bisher nicht mit der gebotenen Transparenz getan. Was heißt das – und auch gleich gefragt: Welche Länder sind denn das?

    Wanka: Zum Ersten: Wir haben gemeinsam den Hochschulpakt verhandelt und ich muss noch mal sagen, das ist eine großartige Leistung von Bund und Ländern, dass in Voraussicht wachsender Studierendenzahlen nicht versucht wird, das mit gleich bleibendem Geld zu finanzieren, sondern wirklich mehr Geld, neues Geld ins System hineinzugehen. Und die Zahlen, was der Bund zahlen wollte, also die Hälfte, orientierte sich natürlich an den Prognosen, wie viele Studierende kommen. Jetzt ist es zum Glück so, dass die Prognosen übertroffen werden, dass also die Studierendenquote, die mal 36 Prozent war 2005, jetzt über 50 Prozent ist. Das heißt, es sind wesentlich mehr Studierende gekommen, sodass das Geld, das der Bund eingeplant hatte für diese Phase des Vertrages, das ist jetzt fast zu Ende. Also da ist nicht mehr so viel vorhanden. Und deswegen war immer die Frage, wie geht man damit um? Ich kann Ihnen zusagen, dass wir – das haben die Haushaltsverhandlungen jetzt ergeben – den Deckel anheben werden, also mehr, als wir vertraglich zugesichert haben, ausgeben, sodass alles, was an Studierenden da ist, auf der Basis der letzten Prognose auch finanziert werden kann vonseiten des Bundes. Und da geht es um viele Hundert Millionen, die mehr benötigt werden, weil mehr Studierende kommen. Aber ich denke, das ist sehr wichtig, dass die, die wir in den nächsten Jahren haben, dass die auch wirklich gute, ordentliche neue, zum Teil ausgebaute Studienplätze vor sich haben. Und in den Verhandlungen war klar: hälftig-hälftig-Finanzierung. Und diese Transparenz ... es ist ja auch sehr schwer, dort in solche Länderhaushalte hinein zu schauen. Da wird gekürzt, da wird was draufgelegt. Und ich denke, es ist legitim, wenn der Bund zahlt, dass er erwartet, dass die entsprechende andere Hälfte erbracht wird. Und deswegen sind wir jetzt in Gesprächen, die wir abschließen möchten in der GWK im April, dass in Zukunft die Länder sich anders, sicherer verpflichten, welche Summen sie auch einsetzen. Und die Gespräche sind, denke ich, auf einem ganz guten Weg.

    König: Deutschlandfunk, das Interview der Woche, heute mit Johanna Wanka, CDU, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Frau Wanka, kommen wir etwas grundsätzlicher auf die gemeinsame Bildungsfinanzierung von Bund und Ländern. Das Kooperationsverbot ist ein Dauerthema. 2006 beschlossen verbietet es dem Bund, den Ländern für Bildungsausgaben Geld zu geben. Annette Schavan, Ihre Amtsvorgängerin, wollte das in Bezug auf die Hochschulen ändern, wollte, dass der Bund per Grundgesetzänderung Artikel 91b nicht mehr nur Vorhaben, sprich Projekte, an Hochschulen fördern darf, sondern auch Einrichtungen der Hochschulen, nicht aber die Schulen. Das war der entscheidende Punkt. Genau dafür aber macht sich die Opposition stark, verweigerte im Bundesrat ihre Zustimmung zur vorgeschlagenen Grundgesetzänderung. So weit der Stand der Dinge. Eine Veränderung dieser Lage bis zur Bundestagswahl ist unwahrscheinlich. Dass Sie für mehr Einfluss des Bundes auf die Hochschulen sind, ist bekannt. Halten Sie dafür eine Verfassungsreform, ich nehme mal an in der nächsten Legislaturperiode, für das richtige Mittel?

    Wanka: Ja, sehr wohl. Wir haben es uns eigentlich oft gewünscht in der Kultusministerkonferenz, viele Kollegen. Und ich denke, für eine Nation wie Deutschland, für ein Land, was auf Innovationen, auf Entdeckung, auf Entwicklung, auf kluge, gut ausgebildete Menschen setzt, ist es notwendig, dass der Bund nicht völlig ohne Einfluss ist. Also, bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen machen ja Bund und Länder gemeinsam die Strategie – wie wollen wir etwas entwickeln, was wollen wir steigern, welche Großgeräte wollen wir anschaffen ... Und in dem Kernstück, dem Herzstück des Wissenschaftsbereiches, bei den vielen Hundert Hochschulen, soll der Bund gar keinen Einfluss haben, sondern lediglich mal Geld geben können? Das, glaube ich, ist völlig unabhängig vom Geld wichtig, dass man strategisch da gemeinsam handelt. Also braucht der Bund auch einen Einfluss auf die Hochschulen. Und mit der jetzt vorgelegten Grundgesetzänderung ist das möglich.

    König: Es fand vor einigen Wochen eine Konferenz statt: "Wege in einen leistungsfähigen Bildungsföderalismus". Gleich fünf große Stiftungen hatten dazu eingeladen. Bildungspolitiker und Bildungsforscher waren versammelt, unter anderem auch der frühere Berliner Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner, der gegen eine Verfassungsreform sich ausgesprochen hat. Er sagte, solche Verfahren würden Jahre dauern, würden ganz viele Kompromisse mit sich bringen und man solle doch pragmatischere Lösungen ansprechen. Dass zum Beispiel das deutsche Bildungssystem ein Ganztagsschulsystem brauche, das sei gesetzt. Viele sagen das. Dass die Länder das finanziell nicht alleine stemmen können, das ist auch Allgemeingut. Warum also – sagt Herr Zöllner – macht man nicht einen Staatsvertrag oder eine wie auch immer geartete Vereinbarung, so nach dem Motto, der Bund bekommt zum Beispiel im Bereich der Hochschulen seinen Spielraum, dafür bekommen wir Länder einen Vertrag, sagen wir mal über die Finanzierung von Personal der Ganztagsschulen. Was halten Sie von solchen pragmatischeren Lösungen?

    Wanka: Ich glaube, Herr Zöllner ist da nicht ganz richtig verstanden worden, denn Herr Zöllner hat sich auch in Artikeln – und wir haben letztens miteinander gesprochen – für eine Grundgesetzänderung im Wissenschaftsbereich ausgesprochen. Und das dauert auch nicht Jahre. Viel komplizierter ist die Frage, die Sie angesprochen haben: Wie ist es denn im Bildungsbereich, im Schulbereich? Da haben wir die Kulturhoheit der Länder. Das heißt, die sind für die Schulen verantwortlich. Und da bin ich bereit, weiter zu gehen. Ich finde, wenn man dann in Richtung Ganztagsschule kommt, habe ich hohe Akzeptanz dafür. Aber da kann der Bund nicht den Ländern etwas aufzwingen, sondern da ist doch die Grundvoraussetzung, dass die Länder sich einig sind: Was wollen sie abgeben oder welche Bereitschaft haben sie. Und da gibt es überhaupt keine gemeinsame Linie. Und das ist jetzt keine Sache CDU gegen SPD, sondern es ist auch so innerhalb der SPD. Gucken Sie sich mal das Wahlprogramm an. Aber wenn dort ein Vorschlag kommt vonseiten der Länder, der dort eine ...

    König: Aber da warten wir auf einen Beschluss oder eine Beschlussvorlage der Kultusministerkonferenz, und deren Ruf ist sehr schlecht, was dergleichen angeht. Ich glaube, da kann man ...

    Wanka: Was aber ungerecht ist.

    König: Das mag sein, aber der Eindruck ist nun mal entstanden – sagen wir es so. Und da kann man warten bis zum Sankt Nimmerleinstag. Also will sagen: Wie kommt man zu einer Lösung? Ich glaube, das Grundproblem ist doch, dass eigentlich alle der Meinung sind, Bund und Länder sollten in diesen wichtigen Fragen zusammenarbeiten, müssen zusammenarbeiten. Wir sprechen von der Bildungsrepublik Deutschland, wir haben Sätze im Kopf wie "Wir brauchen jeden" und "Keiner darf zurückgelassen werden". Also, es gibt ja diese große kollektive Anstrengung, demografischer Faktor, was da alles genannt wird. Es muss etwas passieren. Und ich glaube, den Leuten hängt es zum Hals heraus, dieses ewige Gerede über Mischfinanzierung und Zuständigkeiten und so weiter. Es gibt eine große Ungeduld, zumal Bildung ja auch ein Thema ist, das wirklich in jede Familie essenziell hineinreicht. Jetzt habe ich so viel geredet, jetzt sind Sie dran. Also, will sagen, wie kommt man dazu, in diesem Punkt irgendwie weiter zu kommen, weiter, als die Kultusministerkonferenz das zulässt? Sie haben jetzt eben, mit Verlaub, wieder gesagt, die Länder müssen einen Vorschlag machen. Das höre ich und sage mir: ja, aber von den Ländern wird kein Vorschlag kommen.

    Wanka: Aber Sie sehen ja, wenn der Bund einen Vorschlag macht im Wissenschaftsbereich, der eigentlich eine hohe Akzeptanz hat, auch dort gibt es die Verweigerung. Und im Bildungsbereich, wo der Bund ja auch gar nicht in die einzelne Schule oder Schulpolitik hinein will, er will nur mehr gemeinsam auch in dem Bereich mit den Ländern tun können. Und was die Kultusministerkonferenz anbetrifft, das finde ich so ungerecht.

    König: Da spricht jetzt ein langjähriges Mitglied derselben.

    Wanka: Ja, das muss ich wirklich deutlich sagen, wenn ich an 2000 denke, an PISA, an diese erschreckenden Ergebnisse, wie schnell sich die Kultusministerkonferenz bewegt hat, wie schnell wir richtige Wege gefunden haben, Bildungsstandards.

    König: Das hat doch Jahre gedauert.

    Wanka: Das hat nicht Jahre gedauert, das haben wir ganz schnell gemacht. Die Umsetzung ist schwieriger.

    König: Schnell ist ein relativer Begriff, Frau Wanka.

    Wanka: Das gebe ich zu, aber das war sehr schnell. Ich habe jetzt nicht die Jahreszahl im Kopf, aber da haben wir relativ schnell reagiert, dass wir das machen wollen. Die Bildungsstandards zu erarbeiten, das dauert natürlich. Aber wir haben ein gemeinsames Institut gegründet, wo die erarbeitet werden. Die liegen für die wichtigsten Fächer vor bis zur Abiturstufe. Und damit waren die Diskussionen, die vorher jahrelang in der Kultusministerkonferenz waren, welches Schulsystem ist das Beste, das bayerische dreigliedrige oder zweigliedrig wie in Sachsen oder anderes, das war vom Tisch, weil die Aussage war: egal wie ein Bundesland seine Schulen organisiert, wichtig ist, dass alle Kinder dasselbe können. Und das ist zum Beispiel ein sehr produktiver Prozess gewesen. Und da hat die Kultusministerkonferenz von sich aus sehr agiert. Wenn es darum geht, dass ein Land per Grundgesetz zugestandene Rechte bereit ist abzugeben, dann muss das Land das signalisieren. Und dieses Signal ist nicht vorhanden. Es gibt mehrere Ministerpräsidenten auf der sozialdemokratischen oder der grünen Seite, die dazu überhaupt nicht bereit sind. Und da kann der Bund nicht einfach etwas erzwingen. Also das ist kein warten auf, sondern der Bund tritt in Vorleistung und sagt im Wissenschaftsbereich, genau das würden wir machen, das ist auch mit Geld verbunden, und wir sind dazu bereit, das liegt auf dem Tisch, die Hochschulen warten alle. Die Hochschulen sind ja an vielen Stellen nicht gut finanziert, und das ist jetzt Ländersache. Der Bund hat sich zwar mehr eingebracht, doppelt so viel wie vor Jahren wird jetzt vom Bund für die Hochschulen ausgegeben. Aber er kann das nicht systematisch langfristig. Und dieses Angebot vom Bund liegt auf dem Tisch.

    König: Aber wäre es dann nicht Sache der Kultusministerkonferenz, wenn die Ministerpräsidenten einzelner Länder sich nicht bewegen, da tätig zu werden und zu sagen: Ihr müsst jetzt mal was machen. Ich kann mich erinnern, weil Sie Bayern und Sachsen erwähnt haben, Sie haben doch zusammen diesen Bildungsstaatsvertrag auf den Weg gebracht für gleichwertige vergleichbare Bildungsstandards. War das nicht auch eine Reaktion darauf, dass die Kultusministerkonferenz ihrerseits im großen Kreis der 16 Mitglieder sich auch darauf eben nicht einigen konnte?

    Wanka: Ja, ganz richtig beobachtet. Das war ein Signal. Und ich meine, Bayern, Sachsen und eben Niedersachsen zu dem Zeitpunkt haben gesagt, wir wären bereit, da braucht uns niemand zu zwingen über einen Staatsvertrag ...

    König: Die haben geworben dafür, dass alle bitte sich beteiligen mögen.

    Wanka: Ja. Und das zeigt ja ganz deutlich, dass dort die Beteiligungsbereitschaft nicht vorhanden ist. Und Sie müssen auch den Bund verstehen. Wir wollen einen strukturell ausgeglichenen Haushalt, wir wollen einen soliden Haushalt. Deswegen muss man genau überlegen, wo sind Prioritäten? Was geben wir aus für Forschung, für BAföG und für anderes? Und in dieser Situation wäre ich persönlich und ist auch der Bund nicht mehr bereit, Geld auszugeben, ohne jeden Einfluss zu haben. Und das kann nur verändert werden durch eine Grundgesetzänderung, dass er auch Kompetenzen bekommt. Aber die Bereitschaft ist da. Die Tür ist jetzt offen. Man muss nur sagen: 91b so wie er jetzt vorliegt, dann haben wir den ersten Schritt und damit auch eine größere Chance, auch vielleicht Ministerpräsidenten, die noch nicht überzeugt sind, zu überzeugen, dass man auch im Bildungsbereich Stücke weiter gehen sollte.

    König: Generell, Frau Wanka, haben Sie aber kein Problem mit Staatsverträgen?

    Wanka: Überhaupt nicht. Staatsverträge sind ein gutes Mittel, um Dinge zwischen den Ländern, aber eben auch mit Bund und Ländern zu regeln. Nur dann, wenn das Grundgesetz dem Bund verbietet, zum Beispiel Ganztagsschulprogramm - jetzt aufzulegen, dann kann man das auch nicht über einen Staatsvertrag aushebeln.

    König: Noch mal und vielleicht abschließend: Können Sie dieses Gefühl, das ich vorhin versucht habe, wiederzugeben, in der Bevölkerung, dieses Unbehagen – Sie haben da schon immer so genickt, also natürlich können Sie es nachvollziehen, und es stellt sich wirklich die Frage, wie geht man damit um, was tut man? Und immer wieder zu vertrösten, selbst mit bestem Wissen und Gewissen, zu sagen, der und der muss das und das tun und dann könnte das und das passieren, es glaubt einem ja keiner mehr.

    Wanka: Also, in der Bildung ist es nicht so, dass föderale Systeme per se schlechter sind als gesamtstaatliche Schulsysteme, im Gegenteil. Oft ist es umgekehrt, denn föderales System bedeutet Wettbewerb. Und wenn man das jetzt in der Bundesrepublik Deutschland abschaffen würde, ist die Frage, welches Schulsystem nehmen wir? Nehmen wir das von Bayern oder das von Sachsen? Die sind sehr unterschiedlich, beide leistungsfähig. Diese Frage kann man umgehen durch Bildungsstandards, durch das, was die Kultusministerkonferenz schon gemacht hat. Was in der Bevölkerung ankommt und was ich voll verstehe, ist der große Ärger und Frust, wenn Familien umziehen, dass das für die Kinder ein Schock ist, ein ganz anderes Schulsystem, Nichtanerkennung, Mobilitätshemmnisse, wenn man Student ist in einem Lehramtsstudiengang. Das sind Dinge, die sind ärgerlich, die sind nachvollziehbar, dass die Ärger verursachen. Und deswegen war zum Beispiel die stringente Forderung, wo Sie so in Anführungszeichen "Erpressung" sagten, bei der Qualifizierungsoffensive Lehrerbildung, dass gesagt wird, dieses Mobilitätshindernis muss weg, wir müssen es möglich machen, dass man dort von einem Bundesland zum anderen wechselt, ganz unkompliziert. Also, diese Fragen sind wirklich nicht gut gelöst. Und deswegen nimmt der Bund dort Einfluss, wo er, wie bei dieser Lehrerbildungsinitiative, es auch kann.

    König: Finden Sie, dass unser Bildungssystem vereinheitlich werden sollte? Also zum Beispiel, wenn ich auf die ganzen Schultypen schaue, Oberschule, Mittelschule, Realschule, Werkrealschule, Gymnasium?

    Wanka: Stellen Sie sich mal vor, wir sagen jetzt, diese Schulform ist das Ideale für die gesamte Bundesrepublik Deutschland und verändern das ganze System. Wenn Sie die Ergebnisse bei vielen Leistungsvergleichen sehen, dann ist Bayern oft exzellent und Sachsen. Die haben zwei sehr unterschiedliche Schulsysteme, aber sie haben eines gemeinsam: über viele Jahre nicht verändert. Also was die Eltern sich wünschen, ist eben nicht jetzt noch mal eine neue Schulform, sondern dass Qualität in den Schulen ist.

    König: Sie erleben genau das, nämlich immer wieder neue Reformen über Reformen.

    Wanka: Ja, und dagegen bin ich strikt, weil ich glaube, das tut den Schülern nicht gut, das tut den Lehrern nicht gut. Das weckt diese große Unzufriedenheit. Also Stabilität. Und deswegen sage ich noch mal: Bildungsstandards als eine Antwort, um auch Stabilität zu ermöglichen und nicht, wenn die nächste Regierung kommt oder die nächste Bundesregierung ein Wechsel hin oder her.

    König: Sie wirken so, als würde das neue Amt Ihnen richtig Spaß machen. Könnten Sie sich vorstellen, es – wenn es denn möglich wäre – auch nach der Bundestagswahl weiter auszuüben?

    Wanka: Wichtig ist, es jetzt gut zu machen. Aber ich bin seit 90 begeistert darüber, dass ich etwas gestalten kann, dass ich Einfluss habe als Rektorin oder als Ministerin. Also dieses gestalten können, das ist so schön. Das gab es ja nicht vor 89, jedenfalls nicht für Menschen wie mich. Und das mache ich eben auch mit Spaß. Also ich opfere mich nicht für irgendwas, sondern mir macht es Spaß, großen Spaß.

    König: Frau Ministerin, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Wanka: Bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.