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Wann beginnt die Sucht?

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, hat die Sucht nach Computerspielen und dem Internet zum Thema ihrer Jahrestagung in Berlin gemacht. Gerade Jugendliche sind davon stark betroffen. Für manche Nutzer haben Internet-Bekanntschaften und Online-Spielen das reale Leben weitgehend ersetzt.

Von Philip Banse | 03.07.2009
    Ein Warnsignal ist, wenn Kinder "exzessiv" spielen und ihr restliches Leben, Schule, Freunde, Familie vernachlässigen. Und wenn Eltern dann einfach den Stecker ziehen, zeigen spielsüchtige Jugendliche Entzugserscheinungen, sagt der Psychologe Dave Greenfield, vom Zentrum für Internet- und Spielsucht in West Hartford in den USA.

    "Wenn die Jugendliche das Spiel nicht mehr haben, fühlen sie sich unwohl, es zeigen sich Entzugserscheinungen, etwa Nervosität, Unruhe und Verwirrtheit. Diese Symptome kennen wir auch von anderen Süchten. Außerdem brauchen spielsüchtige Jugendliche immer länger vor dem Rechner, um ihr Bedürfnis zu befriedigen."

    Greenfield sagte, in den USA seien je nach Messmethode 3-10 Prozent der Jugendlichen zwischen 8 und 18 süchtig nach Computerspielen. Zu den Zahlen in Deutschland sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing:

    "Es gibt ein Problem, es gibt die Online-Sucht. Viele sagen, die gäbe es nicht, aber wir sehen tatsächlich in Deutschland 3 Prozent der Jungs, 0,3 Prozent der Mädchen sind online-abhängig. Das heißt eine Riesen-Herausforderung."

    "Online-Abhängigkeit" ist nicht gleich "Computerspielsucht", aber die Drogenbeauftragte sagt, die meisten Jugendlichen gingen ins Netz, um zu spielen. Unstrittig ist, dass fast ausschließlich Jungs süchtig werden nach ihrem Game. In 12 Jahren sei noch nicht ein Mädchen wegen Suchtproblemen mit Computerspielen bei ihm in Behandlung gewesen, sagte der Psychologe Greenfield.

    "In unserem Kulturkreis gibt es keine Initiationsriten mehr für den Übergang vom Jugendlichen zum Mann. Diese Jungs sind verloren. Sie empfinden das Spiel als Herausforderung, sie finden in diesem Spiel etwas, was sie in ihrem richtigen Leben nicht finden. Ein Junge antworte neulich auf die Frage, warum er das Spiel so mag: "Weil ich es so gut kann! Ich bin darin so gut!" Dieses Kind war schüchtern, hatte leichte Lernschwierigkeiten, aber nichts, was sein Leben wirklich erschwert hätte, aber genug, um im Spiel aufzublühen und sich stark zu fühlen. Wenn man es nicht schafft, diese Bestätigung, dieses Selbstbewusstsein in seinem realen Leben zu schaffen, kann man ihm nicht sagen: Hör auf zu spielen."

    Daher sei eine Therapie fruchtlos, die nicht die Eltern mit einbezieht. Doch die Spieler sind nur die eine Seite der Sucht, so Greenfield. Die populären Computerspiele wie "World of Warcraft" seien alle nach einem sehr wirksamen Sucht-Prinzip konstruiert.

    "Die Spiele verteilen Belohnungen, aber völlig unvorhersehbar. Genauso unvorhersehbar variieren die Spiele auch die Stärke der Belohnung. Auf diese Weise schaffen die Spiele den stärksten Impuls weiter zu spielen - auch wenn längere Zeit keine Belohnung erfolgt. Zudem verursacht jede Belohnung einen Dopamin-Ausstoss im Gehirn, der sorgt für Wohlbefinden und davon will man immer mehr."

    Nicht alle Computer-Spiele seien schlecht oder gefährlich, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, SPD. Es komme darauf an, die richtige Balance zu finden, zwischen Spielen und anderen Aktivitäten. Wie kann der Staat da helfen?

    "Ganz wichtig ist hier Prävention, das heißt Medienkompetenz zu vermitteln. Kinder müssen medienkompetent sein, das heißt, sie müssen die Balance zwischen der realen und der virtuellen Welt finden. Und auf der anderen Seite müssen Eltern medienkompetent werden, sie müssen hinschauen: Was spielen meine Kinder eigentlich? Wie lange spielen sie? So kann man frühzeitig solche Entwicklungen erkennen. Der dritte Punkt ist: Ich appelliere an die Länder noch mal die Altersfreigaben für bestimmte Spiele zu diskutieren. Als Beispiel nenne ich World of Warcraft, was eine USK ab 12 hat, was ich nicht nachvollziehen kann."

    Wie Prävention konkret aussehen könnte, dazu Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover:

    "Die Politik muss den Eltern mehr Aufklärung bieten. Eine Offensive, dass in Kinderzimmern Bildschirmgeräte nichts zu suchen haben. In der ganzen Grundschulzeit würde ich mir wünschen, dass Eltern bildschirmfreie Kinderzimmer organisieren. Dann wäre viel gewonnen. Ansonsten ist der Staat aufgefordert über die Schulen nachmittags ein Programm zu organisieren, was sich nennen würde "Lust auf Leben wecken", dass die Jungs so spannend im Sport, in der Musik, im Theaterspielen, im sozialen Spaß verankert sind, dass das Computerspielen sie nicht packen kann, weil das andere spannender und interessanter ist."