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"War Hostel" in Bosnien
Übernachten im Kriegsgebiet

1425 Tage lang wurde Sarajevo im Bosnienkrieg belagert. Die Spuren des Krieges sind auch heute noch überall zu sehen - als Einschusslöcher in vielen Häuserfassaden. Wie es sich angefühlt hat, während der Belagerung in diesen Häusern zu leben, das wissen nur die Überlebenden. Und die Besucher des "War Hostel" von Arijan Kurbasić.

Von Christoph Kersting | 18.08.2017
    26.06.2017., Sarajevo - Arijan trägt die Uniform eines UN-Blauhelm-Soldaten: Stahlhelm, kugelsichere Weste, Springerstiefel. In diesem Aufzug empfängt er seine Hostel-Gäste.
    Arijan trägt die Uniform eines UN-Blauhelm-Soldaten: Stahlhelm, kugelsichere Weste, Springerstiefel. In diesem Aufzug empfängt er seine Hostel-Gäste. (imago stock&people)
    "Mein Name ist Zero One. Das war der Codename meines Vaters im Krieg, den er beim Funken benutzt hat. Ich trage den Namen ihm zu Ehren. Meine Familie und ich, wir sind Kriegsüberlebende. Nach dem Krieg gab es keine Jobs hier in Bosnien, darum habe ich angefangen Touristengruppen durch Sarajevo zu führen - und festgestellt, dass da ein großes Interesse am Krieg besteht. Darum habe ich mich entschieden einen speziellen Ort zu schaffen, an dem die Leute etwas lernen können über den Krieg."
    Zero One, 25 Jahre alt, heißt eigentlich Arijan Kurbasić und steht an diesem Morgen in einem düsteren Raum im ersten Stock seines Elternhauses. Aus der Ferne sind Gewehrsalven und Bombeneinschläge zu hören, auf dem Boden liegen Schaumstoffmatratzen herum. An einer der Wände hängt ein großes Transparent: "Pazi Snajper" ist darauf in schwarzer Schrift geschrieben, eine Warnung vor den berüchtigten Heckenschützen.
    "Das ist keine Touristenfalle. Der Krieg ist Teil unseres Lebens"
    Arijan trägt die Uniform eines UN-Blauhelm-Soldaten: Stahlhelm, kugelsichere Weste, Springerstiefel. In diesem Aufzug empfängt er seine Hostel-Gäste, die für die Übernachtung auf dem Boden mit verdunkelten Fenstern zwischen 10 und 15 Euro bezahlen.
    Die Kriegsgeräusche hat Arijan aus dem Internet kopiert, alles andere - die Einschusslöcher, die Matratzen – anhand von Fotos und Erinnerungen seiner Eltern so hergerichtet. Ein Hostel, in dem man den Krieg nachempfinden soll, das mag zunächst einmal bizarr klingen, vielleicht sogar pietätlos wirken.
    "Falls Leute, denken: Das hier ist eine Touristenfalle, eine Art Disneyland, dann liegen sie völlig falsch. Das schreibe ich ja auch auf unserer Webseite. Natürlich gibt es Kritik, Leute, die online ins Gästebuch schreiben: 'Ihr spielt da Krieg in Eurem Hostel'. Aber das ist kein Spiel. Meine Familie hat diesen Krieg real miterlebt. Der Krieg ist Teil unseres Lebens, und ich versuche diese Erfahrung in etwas Positives umzuwandeln."
    Auch Serben und Kroaten waren schon im "War Hostel"
    Über Politik will er ganz bewusst nicht sprechen, sich nicht auf die Seite der Bosniaken schlagen – denn nur so, sagt er, sei heute ein Austausch möglich zwischen den verfeindeten Volksgruppen des Bosnien-Krieges. Arijan will aufrütteln, einen Lernort schaffen, betont er zurückhaltend mit leiser Stimme. Tatsächlich haben auch schon Serben und Kroaten das "War Hostel" besucht.
    "Erst kürzlich waren Leute aus Kroatien, aus Dubrovnik hier, die dort den Krieg überlebt haben. Die haben mir gesagt: Endlich ist da jemand, mit dem wir unsere Erfahrungen teilen können, der mit uns spricht. Denn das geschieht bei uns immer noch viel zu wenig, dass die Leute miteinander reden über das, was passiert ist. Nur so entsteht echter Frieden."
    "Im Krieg gibt es keine Gewinner"
    Den Weg ins War Hostel gefunden hat auch Anna Op Het Broek. Die 26-jährige Niederländerin schreibt gerade ihre Masterarbeit über Kriegstourismus, war schon mehrmals in Sarajevo.
    Museen besuchen, Bücher lesen, Filme ansehen über den Krieg, das sei eine Sache, sagt die Studentin. Das "War Hostel" aber sei in seiner Art einzigartig, weil es eine sehr persönliche Erfahrung der Besucher möglich mache. Ein Eindruck, begrenzt auf zwei oder drei Übernachtungen im Hostel - für Arijan selbst, seine Familie und alle Überlebenden des Krieges jedoch eine Erfahrung, die man nicht mehr los wird, sagt der Bosnier zum Abschied: "Meine Mutter sagt immer: Im Krieg gibt es keine Gewinner. Auch die, die sich als Sieger sehen und damit Geschichte schreiben, haben Alpträume, wenn sie zu Hause in ihren Betten liegen und daran denken, dass sie getötet haben. Nein, da gibt es keine Gewinner."