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Warnstreik an der Charité
Mehr Würde gefordert

Arbeitsüberlastung, bauliche Mängel, Hygieneprobleme - Schwestern und Pfleger der Uniklinik Charité in Berlin sind heute in einem Aktionsstreik auf die Bremse getreten. Dabei ging es nicht um Lohnerhöhungen, sondern um eine Mindestbesetzung auf Station und im OP und einen würdevolleren Umgang mit Patienten.

Von Thomas Weinert | 08.08.2017
    Demonstranten stehen am 08.08.2017 in Berlin auf dem Gelände der Charité mit Transparenten mit der Aufschrift "Streiken für mehr Personal" und "Die Charite hat die rosarote Brille auf - wir sehen schwarz!. Die Gewerkschaft Verdi hat das Pflegepersonal zu dem Ausstand aufgerufen, nachdem die Verhandlungen zur Zukunft des Tarifvertrags ins Stocken geraten waren.
    Warnstreik bei der Berliner Charité am 8.8.2017 in Berlin. (dpa / Paul Zinken)
    Erst ein Brandbrief von 160 Ärzten und Pflegepersonal an den Senat, heute nun Arbeitsniederlegungen: Die Auseinandersetzungen an der Charité, Berlins Traditionsklinikum, spitzen sich zu. An drei OP Standorten in Mitte, Steglitz und im Wedding, mussten heute OPs verschoben werden, die Klinikleitung spricht von "zweistelligen Ausfällen". Allerdings war die Streikbeteiligung wesentlich geringer als von der Gewerkschaft Verdi vorgesehen, weil es im Vorfeld nicht gelungen war, sich mit der Klinikleitung auf einen Notfallplan zu einigen und auf dem Rücken der Patienten, so ein Verdi-Sprecher, wolle man die Sache nicht austragen. Pflegepersonal äußerte sich im Vorfeld nur anonym in der Presse, die Vorwürfe bezüglich mangelnder Pflegeintensität, Arbeitsüberlastung und sogar Hygieneprobleme – Alles nur hinter vorgehaltener Hand. Gestern Abend musste der Ärztliche Direktor der Charité, Ulrich Frei, den Kollegen vom rbb Fernsehen Rede und Antwort stehen und sich zunächst dagegen wehren, es ginge seinem Haus nur um Gewinne:
    "Also erstens sind wir ein Haus der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir sind weit weg von der Profitorientierung, was immer unterstellt wird. Vor allem von der Gewerkschaft."
    Mindestbesetzung auf Station und im OP
    In dem Streik heute geht es somit auch gar nicht um mehr Geld für das Personal, sondern um einen Tarifvertrag, der eine Mindestbesetzung auf Station und im OP sicherstellen soll. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian Kluckert, hat sich berlinweit über die Zustände in den Krankenhäusern informiert und sieht in dem heutigen Streik ein Warnsignal an den Senat:
    "Der Aktionsstreik heute, dass somit die Probleme der Charité auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden und das kann einfach nicht sein. Das darf sich auch nicht wiederholen. Hier ist jetzt Michael Müller aufgefordert, sowohl etwas gegen den Fachkräftemangel, den er ja auch mit zu verantworten hat, zu tun, und außerdem die Zustände, die ja in dem Brandbrief von 160 Mitarbeitern beschrieben wurden, zu beseitigen."
    "Wartehalle" ohne jede Intimsphäre für Patienten
    Die Versorgungswege in dem gerade erst umgebauten Bettenhaus in Mitte seien zu lang, kritisieren die Mitarbeiter und die baulichen Maßnahmen im OP-Bereich – gerade erst feierlich eröffnet – hätten dazu geführt, dass jede Intimsphäre der Patienten verloren gehe. Das Personal spricht von einer "Wartehalle", in der die Vor- und Nachbehandlung für zwölf OPs stattfindet, oft bis spät in die Nacht. Das Pflegepersonal äußert sich nicht öffentlich, aber es ist die Rede von weinenden Patienten. Karin Stötzner, die Patientenbeauftragte des Landes Berlin:
    "In unserem Fall ist Herr Müller, der Bürgermeister, der zuständige für Wissenschaft und damit die Charité. Also man kann ihn jetzt nur dringend auffordern, das, was er selber in die Koalitionsvereinbarung geschrieben hat, nämlich die investiven Mittel für Krankenhäuser zu erhöhen, auch faktisch umsetzt."
    Müller sitzt in seiner Funktion als Wissenschaftssenator im Aufsichtsrat der Klinik. Unmittelbar zuständig ist allerdings Dilek Kolat, die Gesundheitssenatorin von der SPD:
    "Wir haben zum Teil sehr marode Krankenhäuser, OP-Säle, die saniert werden müssen, aber zum Beispiel auch immer noch Stationen, wo vier Betten sind auf einem Zimmer und die Toilette und Bad draußen sind auf dem Flur, also das sind unmögliche Zustände."
    Planungsversagen aufgrund zu geringer Haushaltsmittel
    Es sei nicht unbedingt ein Haushaltsproblem, das zu den heutigen Streiks geführt habe, so Klinikdirektor Frei. So, wie man den OP Bereich in seinem Haus umgestaltet habe, würden nun einmal moderne Krankenhäuser heute gebaut.
    "Das Geld würde ja nichts nützen. Die Baumaßnahme für Mitte, die Baumaßnahme und die Sanierung sind in den Jahren 2008 und 2009 geplant worden und 2016, 2017 in Betrieb genommen. So lange dauern Investitionsvorhaben. Das heißt, eine Veränderungsmaßnahme würde wieder Jahre dauern."
    Inzwischen seien die optischen und akustischen Probleme im neuen Wartebereich der Operationssäle weitestgehend behoben, so Frei, der im Übrigen die Vorwürfe von Hygienemängeln in diesen Arealen auf Schärfste zurückweist. Bei Begehungen durch Hygiene-Experten der Charité und der zuständigen Aufsichtsbehörde seien keinerlei Mängel festgestellt worden. Jörg Pawlowski, der Personalrat der Klinik, sieht allerdings in den baulichen Problemen, die zu den aktuellen Schlagzeilen geführt haben, ein Planungsversagen. Und wieder der Vorwurf: Zu wenig Haushaltsmittel!
    "Schuld ist der Senat, der schlicht und ergreifend nicht das notwendige Geld gegeben hat, welches es für einen adäquaten Bau gebraucht hätte."
    Zuwenig Personal auf dem Markt
    Die Klinikleitung lies unterdessen verlauten, sie habe kein Verständnis für den Streik, das wäre kein gutes Signal für die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien. Auch die Gewerkschaften würden wissen, dass einfach zu wenig Personal auf dem Markt sei und wenn die Charité am Ende des Jahres 300 Mitarbeiter im Pflegebereich mehr beschäftigen würde als zu Beginn der Tarifverhandlungen, dann sei das ein hervorragendes Zeichen an die Mitarbeiter.