Samstag, 20. April 2024

Archiv

Kindertagesbetreuung
Warum es ein Qualitätsgesetz für Kitas braucht

Die Kita-Erzieher haben bei ihrem Streik im Sommer deutlich gemacht, dass ihre Arbeit kenntnisreich, nachhaltig und hochwertig ist - vergleichbar mit der eines Meisters oder Ingenieurs. Wie die Rahmenbedingungen in Zukunft aussehen können, sollen 50 Regionalkonferenzen destillieren. Am Ende soll ein Papier stehen – möglicherweise eine Vorlage für ein Bundesqualitätsgesetz.

Von Barbara Leitner | 17.12.2015
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund (Imago)
    Montagmorgen in der Kindertagesstätte Louise des Malwina e.V. in der Dresdner Neustadt. Mit einem Kind auf dem Schoss sitzt eine Erzieherin auf den Boden. Um sie herum spielt gut ein Dutzend Kinder und weitere werden von ihren Eltern gebracht. Susann Ebert kommt mit Emil, Anne Müller mit Charlotte:
    "Man sieht natürlich das Pensum, was die Erzieher haben, und man merkt das ja: Es ist unheimlich laut. Die Erzieher sind sehr gefordert, weil die Kinder natürlich sich frei bewegen können."
    "Viele Kinder verbringen mehr Zeit hier als zu Hause und die Erzieherinnen sind die nächste Bezugsperson nach den Eltern und Großeltern und haben eine ganz wichtige Aufgabe. Und wenn das jemand mit Herzblut macht, ist das viel wert."
    Wenn Zweijährige entscheiden
    Auch schon die Zweijährigen entscheiden in dem offenen hellen Haus, wo sie spielen wollen. Ein Magnet ist der Kreativraum. Zwei Mädchen mit Schürze experimentieren, welche Farbe entsteht, wenn sie Rot, Rosa, Blau und Orange zusammenmischen. Kinder auf diese Weise zu unterstützen, durch ihr Tun zu eigenen Erkenntnissen zu gelangen – das zeichnet nach Meinung der Fachleute gute pädagogische Arbeit aus.
    In der Kita "Louise" betreut die Heilpädagogin Kathrin Claus den Kreativraum. Sie stellt die Materialien nach den Interessen der Kinder bereit und begleitet die Kleinen beim Malen und Gestalten - wenn sie die Zeit dafür hat. Gerade ist sie mit einer Mutter im Gespräch, deren Kind neu in der Kita ist. Die Mädchen und Jungen an den Tischen sind währenddessen sich selbst überlassen.
    "Das befriedigt mich nicht, weil ich merke, dass sie eigentlich auch gern jemand haben würden, an ihrer Seite, einen Erwachsenen, der die Arbeit sieht. Ich sehe, was Du getan hast, wie viel Arbeit dahinter steckt und wie die Arbeitsgänge waren. Aber ich kann mich nicht zerteilen in viele Frau Claus."
    Qualität wird in der Klinik seziert
    Ortswechsel zum Universitätsklinikum Dresden an Abend. Ausgerechnet im Foyer der Kinder- und Frauenklinik diskutieren Erzieherinnen und Erzieher, Eltern, Verantwortliche von Kita-Trägern und Verbänden sowie Politiker darüber, was gute Qualität in der Kita und der Kindertagespflege sein könnte. Welche Bedingungen brauchen pädagogische Fachkräfte, um tatsächlich die individuellen Lernprozesse eines jeden Kindes gut begleiten und unterstützen zu können? Auf jeden Fall sollte sie für weniger Kinder zuständig sein, als es heute üblich ist, meint Kristin Klaudia Kaufmann.
    "Wir haben im Freistaat Sachsen einen der schlechtesten Betreuungsschlüssel, eine Erzieherin auf sechs Krippenkinder bzw. ein Erzieher auf 12,5 Kitakinder. Das bedeutet ideal ohne Krankheit, ohne Urlaub, ohne Ausfälle."
    Kristin Klaudia Kaufmann ist die Sozialbürgermeisterin der Stadt Dresden, zuständig auch für die Kitas. So wenig ihr die Situation gefällt, ändern kann sie sie kaum.
    Die Kitagesetze, die die Rahmenbedingungen vor Ort bestimmen, werden in den Bundesländern geschrieben und zwar in jedem der 16 eigenständig und unabhängig voneinander. Arnfried Schlosser, der zuständige Referatsleiter aus dem sächsischen Kultusministerium erklärt, wovon sich die Landespolitiker dabei leiten lassen:
    "Es ist nicht selten so gewesen, dass man prüfte, was im Rahmen einer Haushaltsverhandlung zur Verfügung steht für die Aufgabe unter vielen Aufgaben, Kindertagesbetreuung. Das ist eine Frage der politischen Wichtung."
    Sicherheit und Straßenbau oft wichtiger
    Frühkindliche Bildung ist wichtig, nutzt der Zukunft des Landes. Darin sind sich Eltern, Träger, Wirtschaft und Politik einig. Doch wenn es ums Geld geht, scheinen Sicherheit oder der Straßenbau oft wichtiger. Sachsen will 2016 789 Millionen Euro für die Polizei ausgeben, für die Kitas 541 Millionen. Die gerade beschlossene Veränderung des Personal-Schlüssels im Freistaat bedeutet 1,5 Minuten mehr Zeit pro Kind am Tag – wenn es gut läuft. Solche schlechte Bedingungen haben Wirkungen. Bei allem Bemühungen der Erzieherinnen vor Ort: Nur zehn Prozent der Kitas in Deutschland sind qualitativ hochwertig, heißt es in der Nubbek-Studie, einer Nationalen Qualitätsuntersuchung aus dem Jahre 2013.
    Das kann nicht sein, sagt Norbert Hocke, zuständiger Referent von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Gemeinsam mit der Caritas und der AWO setzt sich die GEW dafür ein, ein bundeseinheitliches Qualitätsgesetz für Kitas zu schreiben. Nach den Grünen und den Linken stimmte gerade auch der SPD-Parteitag dieser Idee zu:
    "Nach dem Ausbau, der zwar immer noch weiter geht, haben alle Politiker gesagt, ob Stadt, Land oder Bund, wir wollen die Qualität unterstützen. Ich sehe dies aber noch nicht. Und deshalb müssen wir Druck machen. Deutschland gibt etwa 0,6 bis 0,7 Prozent des BIP für die Kita aus. Vereinbart war bis 2013 auf europäischer Ebene ein Prozent des Bruttoinlandproduktes. Wir sind also davon weit entfernt und deshalb muss der Bund sich jetzt daran beteiligen, damit er die Kommunen entlastet und das kann er, er steht gut da."
    Wie ein kleiner Betrieb
    In der Diskussion wurden mehrere Forderungen laut: Nach Meinung der Fachleute vor Ort muss anerkannt werden, dass eine Kita ein kleiner Betrieb ist, den man nicht quasi nebenbei leiten kann. Wie Lehrer bräuchten auch Erzieherinnen und Erzieher Vor- und Nachbereitungszeit und Fachberatung. Und vor allem müssten zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden, damit mehr Zeit für die jedes einzelne Kind bleibt.
    Wie am Montag in Dresden werden in den kommenden Monaten sich Erzieherinnen in weiteren Gesprächsrunden verständigen, welche Rahmenbedingungen sie für ihre Arbeit mit den Jüngsten dringend für erforderliche halten. Ihr Vorstellungen werden in einen Entwurf für ein Bundesqualitätsgesetz einfließen, für das es spätestens Ende 2016 erste Empfehlungen geben soll. Was hält Dresdens Sozialbürgermeisterin von diesen Bestrebungen?
    "Es wäre für uns ein Vorteil als Stadt Dresden, wenn sich dort für uns eine einheitliche Lösung abzeichnen könnte."