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Warschauer Befindlichkeiten

Wird der mittelfristige EU-Haushalt aufgestockt, wie es die EU-Kommission vorschlägt? Der britische Premier Cameron lehnt das vehement ab und droht mit einem Veto, falls nicht gespart wird. Finanziell spüren würden das vor allem die jungen Mitglieder der EU, allen voran Polen.

Von Sabine Adler | 07.11.2012
    Auf das Schlimmste machen sich die Politiker in Warschau noch nicht gefasst, aber Sorge treibt sie sehr wohl um. Polen ist der größte Nettoempfänger von EU-Mitteln und trotz der immer noch positiven Wachstumszahlen nach wie vor auf das Geld aus Brüssel angewiesen. Um 250 Milliarden Euro wollen die Briten den Finanzrahmen 2012 bis 2020 verengen.

    Angespannt haben Polens Finanzexperten deshalb die Debatte im britischen Unterhaus verfolgt und gesehen, dass Premier Cameron eine Niederlage erlitt, weil er den britischen Abgeordneten zu vage blieb. Cameron droht noch vor den kommenden Verhandlungen mit einem Veto, der polnische EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski fragt die Briten, ob sie ihre Zukunft noch in der EU sehen. Premier Donald Tusk wirft die Flinte trotzdem noch nicht ins Korn:

    "Ich schließe ein Gespräch mit Premier Cameron nicht aus. Sollten wir keinen Kompromiss finden, wird es teurer, denn dann wird ein provisorisches Budget für das Jahr 2014 beschlossen, das von dem Finanzrahmen für 2013 plus zwei Prozent ausgeht. Ein solches Provisorium kann für alle, auch für die Briten, sehr teuer werden. Wir werden nach einem klugen Kompromiss suchen, den ganz Europa akzeptieren kann."

    Die deutschen Unterhändler wollen, dass der Gesamtetat schrumpft, um 100 Milliarden. Und sie möchten Nachlässe für Deutschland. Den Polen schwant, dass sie das Nachsehen haben. Deshalb werden die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen kommende Woche vor allem ein Thema haben: die EU-Finanzen. Tusk sucht zudem europaweite Unterstützung:

    "Am 13., kommenden Dienstag, haben wir ein sogenanntes Treffen der Freunde der Schlüssigkeit, mit 15 Ländern, Unionspräsident Barroso, Unternehmervertretern, Gewerkschaften, einen Tag später, nach den Regierungskonsultationen in Berlin tagt der Informelle Europäische Rat."

    Der Chef der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit, Jaroslaw Kaczynski, stets erbitterter Gegner des amtierenden Ministerpräsidenten Donald Tusk, will diesen jetzt nach eigenem Bekunden unterstützen, diplomatisch. Kaczynski möchte sich mit allen wichtigen EU-Botschaftern in Warschau treffen, um aus seiner Sicht zu erklären, warum eine Kürzung der Mittel für sein Land verkehrt wäre.

    Nun ist Kaczynski nicht nur Diplomaten in lebhafter Erinnerung wegen seines rüden Verhandlungsstils. Im Verbund mit seinem Bruder Präsident Lech Kaczynski hatte er vor dessen Tod bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk viel gefordert, war aber selten kompromissbereit. Der Ton, den er jetzt anschlägt, klingt nicht viel anders:

    "Premier Tusk hat die heilige Pflicht, ein Veto einzulegen, wenn das Budget nicht mit polnischen Interessen übereinstimmt. Das Geld steht uns zu. Schließlich war es Polen, das sich als erstes Land Hitler widersetzt hat. Man muss mit dem Faust den Tisch hauen. Wenn Professor Glinski Premierminister wäre, würde er es sicher tun."

    Professor Glisnki ist Kaczynskis Wunschpremier in dessen Schattenkabinett.

    Ob Kaczynski überhaupt noch Gehör geschenkt wird, ist derzeit zumindest fraglich. Er steht politisch momentan im Abseits, zu absurd waren seine Unterstellungen, die Tusk-Regierung wolle ein angebliches Attentat vertuschen, das auf die Regierungsmaschine verübt wurde, die Smolensk abstürzte. In alter Kaczynski-Manier sofort die Keule zu schwingen und mit einem Veto zu drohen, ist weder Tusks Stil noch erwarten dies andere Parteien außer der PiS von Kaczynski. Lesek Miller von den oppositionellen Sozialdemokraten:

    "Die Praxis in der EU basiert auf dem Finden von Kompromissen, Verhandlungen beginnt man nicht mit einem Veto. Zuerst werden alle andere Verhandlungsmöglichkeiten ausgelotet. Ein Veto ist immer ein zweischneidiges Schwert."

    Auch wenn Polens Wirtschaft immer noch um rund 2,5 Prozent wächst, rechnet man mit einem Ende der über die vergangenen Jahre segensreichen Entwicklung. Die Regierung will mit einem Antikrisenprogramm zumindest das derzeitige Wirtschaftswachstum sichern. Das hat einen Umfang von 300 Milliarden Zloty, rund 75 bis 78 Milliarden Euro und ist damit etwa so groß wie die Summe, auf die Warschau aus Brüssel hofft.

    Damit sollen längst überfällige Investitionen in die Infrastruktur vorgenommen werden: der zur Fußball-EM begonnene aber längst nicht beendete Bau von Autobahnen, die Modernisierung des maroden Schienennetzes. Die dringlichste Aufgabe ist die Erneuerung der veralteten Kraftwerke, die hauptsächlich immer noch Kohle verstromen. Auch für die Gewinnung von Schiefergas will die Regierung Geld in die Hand nehmen, wenngleich die Schätzungen über die Größe der Vorkommen weit auseinandergehen und die Umweltschäden durch die Förderung noch nicht absehbar sind.

    Kommt erheblich weniger Geld aus Brüssel, ist das Antikrisenprogramm gefährdet, bleiben Investitionen aus, entgehen dadurch zum Beispiel im Energiesektor deutschen Firmen wichtige Aufträge.

    Und das, so die Optimisten in Warschau, überlegen sich die Berliner Haushaltpolitiker dann vielleicht doch zweimal.