Dienstag, 16. April 2024

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Was bedeutet Pressefreiheit?

Auf der aktuellen Rangliste zur Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen alljährlich herausgibt, rangiert Italien hinter Staaten wie Benin und Mali. Ausgerechnet Dänemark nimmt den ersten Platz ein - das Herkunftsland der Mohammed-Karikaturen. Der Wirbel, den sie ausgelöst haben, hat in den letzen Tagen und Wochen auch italienische Journalisten beschäftigt. Kirstin Hausen hat Stimmen eingeholt bei Journalisten in Mailand.

15.02.2006
    "Man darf niemandem seinen Glauben verbieten, aber man muss sich über jeden Glauben lustig machen dürfen" sagt Paolo Flores d'arcais, Autor und Philosoph sowie Herausgeber der einflussreichsten politischen Zeitschrift Italiens "MicroMega". In der nächsten Ausgabe wird Flores d'arcais einen dreiseitigen Kommentar veröffentlichen, in dem er die Mohammed-Karikaturen im Namen der Pressefreiheit verteidigt. Damit begibt sich der linke Intellektuelle in die Gesellschaft von konservativen bis rechten Medien, die in Italien Partei ergriffen haben für die umstrittenen Karikaturen. Die seriösen Zeitungen dieses Spektrums wie zum Beispiel der "Corriere della sera" gehen in ihren Leitartikeln allerdings auch der Frage nach, wo die Pressefreiheit endet und die Diffamierung beginnt.

    Diese Frage diskutieren Italiens Journalisten derzeit nicht nur in den Redaktionen, sondern auch in der Mittagspause oder morgens beim gemeinsamen Kaffee. Die Frage trifft den Nerv vieler Presseleute, es geht um Grundsätzliches, um die regeln des Handwerks. Denn die Pressefreiheit ist ein sensibles Thema geworden, seitdem Silvio Berlusconi Italien regiert. Die Liste der Journalisten, die unbequeme Wahrheiten über den Regierungschef ans Licht brachten und daraufhin ihren Job verloren, ist lang.

    " Das wirkliche Problem ist der Druck, den einige herausgeber auf die Journalisten ausüben. Bestimmte Themen sind regelrecht tabu, das ist eine echte Gefahr für die Pressefreiheit. Die italienischen Journalisten sind inzwischen sehr schwach und erpressbar."

    Marina Morpurgo, Chefredakteurin der unabhängigen, regierungskritischen Wochenzeitschrift "Il diario" ist eine der wenigen, die sich keine Sorgen machen muss um ihren Arbeitsplatz. Unbequeme Wahrheiten, die niemand mehr veröffentlichen mag, sind in den vergangenen fünf Jahren zum Markenzeichen der auflagenschwachen, aber qualitativ hochwertigen Zeitschrift geworden. Inzwischen ist das "Diario" eine Art Flaggschiff der italienischen Pressefreiheit. Um so mehr erstaunt der Direktor Enrico Deaglio seine Leser, wenn er auf der ersten Seite der aktuellen Ausgabe die Mohammed-Karikaturen auf schärfste verurteilt.

    " Ich halte diese Karikaturen für grausam, hässlich, beleidigend und rassistisch. Was die Pressefreiheit mit ihnen zu tun haben soll, weiß ich wirklich nicht! Ich hätte sie niemals veröffentlicht, weil sie sich durch den Abdruck in Propaganda verwandeln, in Kriegspropaganda. "

    Die acht festangestellten Redakteurinnen und Redakteure des "Diario" teilen die Meinung des Direktors. Marina Morpurgo, die Chefredateurin unterstreicht:

    " Sicher, die Meinungsfreiheit ist ein heiliges Recht, aber neben dieser Freiheit gilt noch ein anderes Prinzip: das der Verantwortung. Eine Zeitung ist kein Stammtisch. Wer in der Zeitung Witze macht, hat eine Waffe in der Hand, mit der er vorsichtig und intelligent umgehen muss. "

    Die Mohammed-Karikaturen erinnern sie an antisemitische Zeichnungen aus den 30er Jahren, die damals halfen, den Hass gegen italienische Bürger jüdischen Glaubens zu schüren. Um auf die Parallelen aufmerksam zu machen, veröffentlichte "Il diario" mitten im Streit um die Karikaturen einen langen Artikel über eine Lokalzeitung in Mantua, die mit antisemitischer Hetze auf Leserfang geht. Die Debatte um die Pressefreiheit und ihre Grenzen wird auch in Italien sehr erregt geführt. Das liegt sicher auch an der journalistischen Tradition Italiens, die sich vom angelsächsischen Modell des "Hart, aber fair" unterscheidet.

    Die Italiener, so meint Enrico Deaglio, sind selbst in der Satire obrigkeitshörig. Und wer es nicht ist, wird vom Fernsehbildschirm verbannt. So wie die Satiriker Daniele Lutazzi und Sabina Guzzanti, die es gewagt haben, Silvio Berlusconi als totalitären Diktator zu parodieren. Das ist im heutigen Italien fast schon gefährlicher als Mohamed zu karikieren.