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Was die Welt tatsächlich zusammenhält

Physik. – In Aachen ging jetzt die Europäische Tagung für Hochenergiephysik zu Ende. Die Physiker können auf ein relativ geschlossenes Weltbild blicken, das so genannte Standardmodell. Nur einige, allerdings grundlegende Fragen sind offen, sie sollen mit der kommenden Generation von Teilchenbeschleunigern beantwortet werden. Doch die milliardenteuren Geräte stürzen die Wissenschaft in Rechtfertigungsnot.

24.07.2003
    Das Standardmodell der Physik ist recht konsistent und kann die physische Welt vergleichsweise logisch auf wenige Teilchen und Kräfte zurückführen. Danach besteht die Materie aus Quarks verschiedener Art, die durch wenige andere Teilchenkategorien wie etwa Elektronen oder Neutrinos ergänzt und durch insgesamt vier Naturkräfte zusammengehalten werden. Neben der starken und der schwachen Kernkraft sind dies die elektromagnetische und die Gravitionskraft. Eine Schwachstelle freilich hat das Modell: die Frage nämlich, woher die Teilchen ihre Masse erhalten. Die derzeit bevorzugte Theorie geht vom so genannten Higgs-Mechanismus aus, nach dem sich die Teilchen mit Vakuumenergie voll saugen und daher ihre Masse erhalten. Doch dafür braucht das Standardmodell ein zusätzliches Teilchen, eben das Higgs-Teilchen. Es wurde bislang nicht gefunden, und so lange steht das Standardmodell auf schwachen Füßen.

    Die Suche nach dem Higgs-Teilchen übernehmen die stärksten Teilchenbeschleuniger. Das US-amerikanische Tevatron etwa, ein rund sieben Kilometer messender Ringbeschleuniger in der Nähe von Chicago. Er hat 1994 das letzte fehlende Quark gefunden, das Top-Quark. Nach einer Aufrüstung soll Tevatron jetzt auf die Jagd nach dem Higgs-Teilchen gehen. Maury Tigner von der Cornell University im US-Bundesstaat New York: "Ja, es gibt durchaus noch beträchtliche Hoffnung, das Higgsteilchen mit dem Tevatron zu finden. Das wäre dann ein Zeichen für eine wirklich neue Physik und ein Hinweis auf eines der wichtigsten Ereignisse, als sich das Weltall nach dem Urknall ausdehnte und abkühlte." Skeptisch wird die amerikanische Zuversicht beim Erzrivalen CERN kommentiert. Das europäische Teilchenphysikzentrum in Genf baut derzeit die nächstgrößere Teilchenschleuder, den Large Hydron Collider (LHC). Er soll 27 Kilometer messen und siebenmal stärker als Tevatron sein. Doch das Projekt ist finanziell derart aus dem Ruder gelaufen, dass sich das gesamte CERN fast nur noch um den LHC dreht. Drastische Sparmaßnahmen an anderen Projekten sollen jetzt sicherstellen, dass LHC trotz der Etatüberschreitung um 500 Millionen Euro oder ein Viertel der ursprünglich bewilligten Summe, realisiert werden kann. Daniel Treille, Physiker am CERN in Genf, erläutert die Konsequenzen: "Eine drastische Reduzierung aller Forschungsprogramme am CERN auf ein absolutes Minimum – gemeint sind die Programme, die nichts mit dem LHC zu tun haben. In den nächsten Jahren wird das CERN sich fast völlig auf den LHC konzentrieren, wird mehr als 80 Prozent seiner Mittel in den LHC stecken. Sogar die Forschung und Entwicklung von künftigen Beschleunigerkonzepten wird auf ein Minimum zurückgefahren. Das ist hart, aber wir müssen damit leben.”

    Weitere Supermaschinen sollen dann das näher untersuchen, was man mit LHC oder Tevatron finden will. Eines dieser Projekte ist TESLA, ein 30 Kilometer langer linearer Teilchenbeschleuniger, der allerdings keine Protonen auf Touren bringt, sondern Elektronen. Damit lassen sich die Entdeckungen besser beobachten. Das Projekt wird maßgeblich vom Hamburger DESY, dem deutschen Elektronensynchrotron, propagiert. Doch angesichts einer mehrere Milliarden Euro schweren Investitionssumme ist es nur noch als internationale, vermutlich globale Koproduktion realisierbar. Und insofern tritt DESY in Konkurrenz zu Institutionen aus den USA und aus Japan. DESY-Direktor Albrecht Wagner: "Das nächste Etappenziel, was aus meiner Sicht sehr wichtig ist, ist die Entscheidung 2004 über die Technologie. Dann möchte man zusammen, also wirklich weltweit abgestimmt, das Projekt technisch noch mal überarbeiten, sodass man mit einem gemeinsam erarbeiteten Entwurf an die Öffentlichkeit, für diesen Entwurf die Kosten bestimmt. Und parallel zu dieser Entwurfsphase wird man dann die politischen und organisatorischen Arbeiten versuchen zu erledigen. Sodass ich hoffe, dass 2007 spätestens eine weltweit getragene Entscheidung zu diesem Projekt fallen kann.” 2015 könnte der Linearbeschleuniger seinen Betrieb aufnehmen. Bei den Geldgebern, den Regierungen der beteiligten Staaten stoßen die Physiker allerdings auf wenig Enthusiasmus. Und so sind sie schon froh, wenn sie grundsätzlich grünes Licht für die Planungen bekommen. Ob und wann das Projekt realisiert wird, wird so jedoch nicht festgelegt.

    [Quelle: Frank Grotelüschen]