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Was ist gutes Deutsch?

Spätestens seit "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" hat es sich auch außerhalb von Schule, Hochschule und Medien herumgesprochen: Die deutsche Sprache verwahrlost zunehmend. So sehen es Sprachkritiker wie Bastian Sick zum Beispiel. Ludwig Eichinger vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim hält die Verständlichkeit für ein wesentliches Kriterium - vor allem beim Erlernen von Deutsch als Fremdsprache.

Moderation: Ulrike Burgwinkel | 13.03.2008
    Ulrike Burgwinkel: Professor Ludwig Eichinger ist Direktor des Instituts. Guten Tag, Herr Eichinger!

    Ludwig Eichinger: Guten Tag!

    Burgwinkel: Herr Eichinger, wird es denn bei Ihnen auch ein Wehklagen geben?

    Eichinger: Ich glaube, es wird nicht ein Wehklagen geben, aber es wird eine Untersuchung geben, welche dieser Phänomene, über die so gesprochen wird, tatsächlich kritikwürdig sind, schlechter Sprachgebrauch sind, und welche die normale Variation, die normale Erscheinungen an verschiedenen Situationen und in verschiedenen Verwendungen darstellen, wie man die beiden unterscheidet. Und der Dativ ist sicher nicht dem Genitiv sein Tod.

    Burgwinkel: Damit wären wir im Grunde genommen auch schon bei Normen. Deutsch muss ja immer mehr als Fremdsprache auch in Deutschland unterrichtet werden, es gibt vieldiskutierte Tests. Da braucht man schon irgendwelche Normen.

    Eichinger: Da braucht man zweifellos irgendwelche Normen, und die müssen zweifellos auch restringiert sein gegenüber dem normalen Sprachgebrauch eines erwachsenen, schulgebildeten Sprechers. Das ist sicher richtig. Und daher muss man sich aber auch überlegen, welche Normen man vernünftigerweise lehrt. Und das muss nicht immer die konservativste sein.

    Burgwinkel: Das heißt, Sie würden auch Verständlichkeit zum Beispiel als ein ganz wesentliches Kriterium ansehen, wie es zum Beispiel in den Schulen in Deutschland beim Fremdsprachenunterricht im Englischen gemacht wird?

    Eichinger: Ja, also ich würde Verständlichkeit als ein wirklich wesentliches Ziel ansehen. Der Unterricht sollte eine Art atmendes System sein. Man sollte, glaube ich, zum Beispiel Kindern, die man reinführt, zunächst nicht gleich schrecklich viel Angst machen mit den Normen, sondern zunächst mal vielleicht auf Verständlichkeit gehen, aber dann eine Phase einschieben, wo man wieder ordnet. Ich denke, dass das auch sozusagen Abfolgen im Lernprozess sein könnten und sollten.

    Burgwinkel: Haben Sie Kriterien, was richtiges oder der Norm entsprechendes Deutsch denn nun ist?

    Eichinger: Sagen wir mal so: Für erwachsene Schreiber des Deutschen ist tatsächlich die Norm, die man findet, das, was im Wesentlichen die überregionalen Zeitungen schreiben, wenn sie nicht gerade eine Glosse über Sprache schreiben. Also sozusagen in normalen Texten, das kann man als die Norm betrachten, und 90 Prozent davon sind für Leute, die das gelernt haben, eigentlich völlig unstrittig. Es gibt daneben eine ganz andere Norm, dass man zum Beispiel deutlich anders spricht, als man schreibt. Das sollen Fremdsprachenlerner ein bisschen später lernen, da ist das am Anfang nicht so wichtig. Für manche der Erscheinungen, die so kritisiert werden, ist, dass auch die Norm für Geschriebenes und für Gesprochenes differiert. Aber unsere Zeitungen, die überregionalen Zeitungen, geben eigentlich ein gutes Bild der Norm, der wir normalerweise beim Schreiben folgen.

    Burgwinkel: Denken Sie nicht auch, dass elektronische Medien wie E-Mails oder SMS ganz deutlich auch die schriftliche Sprache verändern?

    Eichinger: Sie verändern sicher die Schriftlichkeit, vor allem auch deswegen, weil dadurch Leute zu schreiben begonnen haben, die sonst traditionell nicht mehr geschrieben hätten. So gesehen muss das Ziel sein, nicht die Leute davon abzubringen, SMS zu schreiben - und SMS müssen notgedrungen kurz sein -, sondern diese Fähigkeit in eine größere Gesamtfähigkeit zu schreiben, in eine Schulung in unsere schriftliche Kulturlandschaft insgesamt einzubetten. Das heißt, man sollte die SMS nicht verteufeln, sondern als eine Technik, die ich als Erwachsener übrigens viel schlechter beherrsche als meine Kinder, unter anderen einzubetten.

    Burgwinkel: Das heißt, diese Variante würden Sie durchaus dann irgendwann auch zur Norm erklären können?

    Eichinger: Also es gibt sicher auch, so gesagt, eine Norm für vernünftiges SMS-Schreiben. Weil das muss ja notgedrungen eine verkürzte Norm sein gegenüber dem, was wir üblicherweise machen. Und zum Beispiel bei E-Mails ist es so, wenn Sie sich überlegen, auch früher hat man Liebesbriefe mit komischen Kürzeln und Bildchen und Herzchen versehen, oder auch da sind die Sätze nicht so, das hat jetzt nur eine breitere Basis ergriffen. Und man muss bloß aufpassen - die Gefahr sehe ich aber nicht so sehr -, dass es auf die Gesamtnorm übergreift, und man muss aufpassen, dass die meisten Leute, die schreiben, in der Lage sind, zwischen verschiedenen solchen Unternormen zu wechseln.

    Burgwinkel: Das heißt, der Wandel ist sowieso nicht abzuwenden, und irgendwann integrieren sich solche Veränderungen auch in die Schriftsprache rein. Ich denke nur an das Wörtchen "weil".

    Eichinger: Aber das Wörtchen "weil" ist eigentlich in die Schriftsprache nicht reingewandert, bisher, sondern eigentlich nur, wenn wir Gesprochenes wiedergeben, also "weil" mit gleichfolgendem Verb, also "ich bleibe hier, weil es ist draußen zu kalt". Das ist eigentlich nach wie vor eine typisch sprechsprachliche Taktik, weil wir aus irgendeinem Grund das Wort "denn" nicht sprechen. Also an der Stelle schreiben wir normalerweise noch immer "denn", aber "denn" kommt im gesprochenen Deutsch komischerweise nicht vor. Niemand weiß warum, aber so ist es. Und um auf Ihre Frage noch zu antworten, es ist ja auch so: Vieles von dem, was exzessives SMS-Schreiben ist oder so, das wird auch wieder verschwinden zum Teil, aber Teile davon werden in unsere Schriftsprachlichkeit eingehen.

    Burgwinkel: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Eichinger: Bitte schön.

    Burgwinkel: "Die deutsche Grammatik im Wandel", das ist Thema der Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache derzeit in Mannheim. Ich sprach mit Professor Ludwig Eichinger, dem Direktor des Instituts.