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Was ist Universität?

Zwölf Studierende der Münchener Universität haben sich in einem Seminar mit der Frage auseinandergesetzt, welche Ziele Bildung eigentlich hat und wie die Bolognareform diesbezüglich umgesetzt wurde. Entstanden ist daraus eine ganze Buchreihe.

Von Birgit Fenzel | 23.08.2010
    "Unbedingte Universitäten" - nicht zufällig haben die zwölf Studierenden ihre Buchreihe frei nach einem Text von Jaques Derrida benannt. Was der französische Philosoph schon 1998 darin idealerweise forderte, würde Regina Karl, eine der Herausgeberinnen der "Unbedingten Universitäten", sofort unterschreiben:

    "Was die unbedingte Universität beansprucht, ja fordert und prinzipiell genießen sollte, ist über die sogenannte akademische Freiheit hinaus eine unbedingte Freiheit der Frage und Äußerung, ja mehr noch das Recht öffentlich auszusprechen, was immer es im Interesse eines auf Wahrheit gerichteten Forschens, Wissens und Fragens zu sagen gilt."

    Immerhin - das Recht zu fragen, haben sich die Mitglieder der Studentengruppe bei den Protesten im vergangenen Winter herausgenommen. Während die anderen den Hörsaal besetzten und den Streik ausriefen, zogen sie sich lieber ins Seminar zurück. Auch eine Form des Protestes, sagt Regina, die gerade ihren Master in Komparatistik macht:

    "Die Bücher auf der einen Seite und Demonstrationen und Universitätsbesetzungen auf der anderen Seite sind sich Ergänzung. Ein Buch zu schreiben und weiterhin über die Frage der Universität nachzudenken, bedingt politisches Handeln genauso wie umgekehrt politisches Handeln bedingt, über die Universität nachzudenken und reflektieren zu können."

    Schließlich hatten die Proteste gegen die Bologna-Reform eine Reihe von Grundsatzfragen aufgeworfen, sagt Reginas Kommilitone Adrian Renner:

    "Also was ist Bildung, welchen Wert hat Bildung, wie lässt sich Bildung bemessen, welche Logik schlägt die Bolognareform vor wie Bildung gedacht werden kann, was lässt sich daran kritisieren?"

    Zu Beginn knöpfte sich das Protestseminar die Bolognareform gründlich vor. Es folgten die bildungstheoretischen Klassiker aus 200 Jahren Geistesgeschichte, von A wie Adorno bis - in diesem Fall - S wie Schopenhauer waren so ziemlich alle großen Denker auf der Literaturliste, die sich mit den Kernfragen der Münchner Studenten befasst hatten. Akademische Freiheit im Sinne der Klassiker versus Modularisierung der Ausbildung á la Bologna – das gab reichlich Diskussionsstoff in der Gruppe.

    Das Ganze wäre im Seminarraum verblieben, hätte nicht der Diaphanes Verlag zufällig Wind von der Arbeit des Protestseminars bekommen. Vorschlag der Schweizer Verleger: Die Studenten sollten zwei Bände herausgeben: einen Materialband überwiegend mit den Klassikern sowie einen zweiten Band mit aktuellen Positionen zur Lage und Zukunft der Universität. Alles ohne Honorar, was aber keiner der Herausgeber wirklich schlimm findet. Ganz im Gegenteil, meint Regina Karl:

    "Wenn ich dafür Honorar bekommen würde, dann würde ich mir selbst widersprechen. In allem, was ich da innerhalb dieser Gruppe gemacht habe."

    Schließlich könne man nicht auf der einen Seite die Ökonomisierung der Universitäten kritisieren und selbst für Bildungsarbeit Geld kassieren. Denn als solche verstehen die Herausgeber ihr Buchprojekt.

    Jetzt, acht Monate später, liegen die beiden Bände vor – und eine Menge Arbeit hinter ihnen. Unzählige nächtliche Marathonsitzungen, um Autoren auszusuchen, Texte abzutippen oder Verlagsrechte zu klären. Das sei manchmal schon anstrengend gewesen, sagt Mitherausgeber Johannes Kagerer über die ungewohnte Seminararbeit. Aber auch eine spannende Erfahrung. Vor allen Dingen habe ihn die große Resonanz auf die E-Mails an die Professoren überrascht, die sie sich als Autoren für den zweiten Band gewünscht hatten. Prominente Forscher, darunter Philosophen wie Julian Nida-Rümelin oder Plínio Prado, Soziologen wie Ulrich Beck oder Literaturwissenschaftler wie Werner Hamacher hätten sich nicht lange bitten lassen und Texte geliefert. Trotz ihres sehr unterschiedlichen Profils könne man in den Texten dieser Autoren durchaus einen sehr ähnlichen Tenor feststellen, sagt Johannes. So wie der Frankfurter Literaturprofessor Werner Hamacher, den Johannes dazu gern zitiert:

    "Unter den Bedingungen, der seit einem Jahrzehnt erzwungenen Reformen kommt ein Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung nicht mehr ernsthaft in Betracht. Es gibt fortan nur noch und zwar drastisch verminderte Ausbildung. Es kommt deshalb auch keine Alternative zum Marktwert der Ausbildung in Betracht. Es gibt fortan nur noch eine einzige Funktion der Hochschule: Die fraglose und alternativlose Ausrichtung auf die Arbeits- und Verwaltungsgesellschaft."

    Mit diesen düsteren Aussichten wollen sich die Münchner Jungherausgeber nicht abfinden. Ihr Protest geht weiter: Im Seminar, zu dem sie sich nach wie vor jeden Mittwochabend treffen. Und mit ihrer Reihe "unbedingte Universitäten", für die sie schon weitere Bände planen.