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Was machen mit Spanien?

Seit fünf Jahren plagt Spanien eine tiefe wirtschaftliche Krise mit einhergehender Massenarbeitslosigkeit. Die Wut der Bürger richtet sich gegen die Politik, und das wohl mit Recht: Der Unternehmer César Molinas führt in seinem Buch schonungslos auf, wie die regierende Elite versagt.

Von Hans-Günter Kellner | 01.07.2013
    "Sie repräsentieren uns nicht","

    … rufen Tausende Demonstranten in der Madrider Innenstadt. Der Schlachtruf ist populär. Ob es gegen die Zwangsräumungen geht, gegen Privatisierungen von Krankenhäusern oder gegen hohe Studiengebühren: Die Protestierenden sehen die Politiker in den Parlamenten nicht mehr als legitime Volksvertreter an. José Pablo Ferrándiz ist stellvertretender Leiter des Meinungsforschungsinstituts Metroskopia.

    ""Die Mehrheit der Bürger vertraut keinem der Parteichefs der vier großen Parteien mehr. Mehr als 80 Prozent bewerten die gegenwärtige politische Situation als schlecht oder sehr schlecht. Das ist ein historischer Rekord! Wir fragen in den Umfragen auch immer wieder: Wer hat Schuld, die Politiker oder das demokratische System? Da zeigt sich, dass die Menschen immer mehr das politische System an sich verantwortlich machen."

    Längst ist in Spanien von "Entfremdung" die Rede, wenn über das Verhältnis der Bürger zu ihren Politikern gesprochen wird. Der Unternehmer César Molinas hat darüber ein Buch veröffentlicht. "Was machen mit Spanien" ist eines der meist diskutierten Sachbücher. Molinas greift in seiner Analyse den Begriff der "extraktiven Eliten" auf:

    "Die beiden Historiker Daron Acemoglu und James Robinson nennen extraktive Eliten eine soziale Klasse, die nur auf Kosten der Einkommen anderer lebt. Die spanischen Parteien gehören dazu: Sie haben die Institutionen kolonialisiert und neue Institutionen geschaffen und vergeben dort die Posten. Transparency International hat untersucht, wie viele Behörden von den Parteien abhängig sind, ohne öffentlicher Kontrolle zu unterliegen. Die Organisation kam auf 21.437."

    Welche Folgen diese "extraktive Elite" für die Gesellschaft haben kann, zeigt sich derzeit im aufsehenerregendsten aller Korruptionsskandale. Luis Bárcenas, der schon mit 29 Jahren Geschäftsführer und später Schatzmeister der Volkspartei wurde, hatte auf Konten in der Schweiz zeitweise ein Vermögen von 48 Millionen Euro deponiert. Handschriftlich geführte Kontoblätter des Politikers dokumentieren mutmaßliche Sonderzahlungen an Spitzenpolitiker der Volkspartei. Inzwischen sitzt Bárcenas in Untersuchungshaft.

    "Aus meinem Buch ist ein Manifest hervorgegangen. Darin schlagen wir eine dringend notwendige Reform unseres Parteiengesetzes vor. Wir wollen uns das deutsche Gesetz zum Vorbild nehmen. Es sorgt dafür, dass die Parteien innerhalb ihrer Struktur demokratisch und transparent bleiben und ermöglicht inhaltliche Debatten. In den spanischen Parteien gibt es keine interne Demokratie, es wird nicht debattiert und sie sind nicht transparent. Die Situation dieses Landes ist so gravierend, dass wir die Parteien dringend reformieren müssen, damit sie das Land führen können."

    "Ein Parlament muss die Leute auch zur Rechenschaft ziehen"
    Die Parteien müssten sich auch aus der Justiz zurückziehen, fordert Molinas. Doch eigentlich begründet er seine Forderung nach einer umfassenden Reform der spanischen Demokratie nicht in erster Linie mit der Korruption. Viel mehr sorgt ihn, dass die Politiker die tiefe Wirtschaftskrise nicht rechtzeitig erkannt und nicht die richtigen Antworten darauf gefunden hätten - für den Unternehmer eine Folge der gegenwärtigen Struktur der spanischen Demokratie:

    "Die Parteien debattieren im Parlament nicht mehr. Sie verabschieden dort nur noch Gesetze. Das Parlament ist auch kein Kontrollgremium mehr. Die Bankenkrise ist das beste Beispiel. Da hat das Parlament nichts dazu gesagt und eigentlich keine echten Entscheidungen getroffen. Politik ist mehr, als nur Gesetze zu verabschieden. Ein Parlament muss die Leute auch zur Rechenschaft ziehen. Das ist hier nicht geschehen."

    Der Unternehmer steht mit solchen Forderungen nicht alleine. Er hat eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Der Tenor: Wenn sich das System als nicht reformfähig erweise, könnten populistische Strömungen die repräsentative Demokratie auch destabilisieren. Der Soziologe Ignacio Urquizu hat darauf eine Antwort: Mitbestimmung und repräsentative Demokratie sollten stärker miteinander verbunden werden, meint Urquizu und blickt dabei ins Ausland.

    "Unsere Demokratie hat ihre Defizite. Sie ist ein sehr institutionalisiertes System, das den Bürgern kaum Möglichkeiten zur Teilhabe anbietet. In Kanada oder einigen Staaten in den USA können Bürger parlamentarische Ausschüsse bilden und sich am Gesetzgebungsprozess beteiligen. Das sind keine unrealistischen Vorstellungen. Die Leute wollen mehr Demokratie und mehr Mitbestimmung. Die Leute sind besser informiert, wir können unsere Demokratie verbessern. Sicher werden wir künftig Reformen erleben, die den Menschen mehr Mitsprache in den Parlamenten ermöglichen."