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"Was passiert ist, ist peinlich, aber wir müssen einfach weiterarbeiten"

WikiLeaks stelle eine Gefahr für die Zusammenarbeit zwischen Ländern dar, meint der Pressesprecher der US-Botschaft in Berlin, Mitchell Moss. Die Beziehungen zwischen US-Botschafter Murphy und Außenminister Westerwelle blieben dennoch so "gut, wie sie waren".

Mitchell Moss im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.01.2011
    Christoph Heinemann: Wenn man aus den Meldungen der Nachrichtenagenturen diejenigen herausfischt, in denen aus der Internetplattform Wikileaks zitiert wird, dann erfährt man nicht unbedingt die Wahrheit, aber die Wahrheit so, wie US-amerikanische Botschaften sie schildern. Zum Beispiel diese: Nach jüngsten Enthüllungen ist Frankreich das Land, das die Industriebetriebe seiner europäischen Partner am stärksten ausspioniert. In Deutschland richte die französische Industriespionage sogar noch mehr Schaden an als die chinesische oder die russische. Das schrieb die norwegische Zeitung "Aftenposten" in dieser Woche unter Berufung auf eine diplomatische Depesche der US-Botschaft in Berlin. Gast in unserem Funkhaus war gestern Mitchell Moss, der Sprecher der US-Botschaft in Berlin, der seit den Enthüllungen noch mehr zu tun hat als zuvor. Ich habe ihn gefragt, was ihm durch den Kopf geht, wenn er den Namen Wikileaks hört.

    Mitchell Moss: Der Name Wikileaks für amerikanische Diplomaten ist kein schöner Name momentan, aber das ist auch für andere Diplomaten weltweit, weil Wikileaks steht für die Idee, dass eine Informationsanarchie herrschen sollte, und dass keine Regierung eine Privatsphäre haben sollte, worin sie arbeiten können.

    Christoph Heinemann: Sie sagen Anarchie, Wikileaks sagt Freiheit, ein uramerikanischer Wert.

    Moss: Mein Land schätzt Meinungsfreiheit sehr hoch, und wenn die Regierung Meinungsfreiheit von Bürgern verringern möchte, ist es nicht einfach zu machen. Aber Wikileaks, was ich sehe, ist keine Freiheit, das ist eher eine Gefahr für die gute Zusammenarbeit zwischen Ländern, und diese Zusammenarbeit eigentlich brauchen wir, um die Welt sicherer zu machen.

    Christoph Heinemann: Inwiefern Gefahr?

    Moss: Weil die Tatsache, dass ... was in diese vermutete Depeschen rausgekommen ist, eigentlich das Vertrauen zwischen Kontakten, zwischen Partnern, zwischen Länder beschädigen kann und beschädigt hat.

    Christoph Heinemann: Aber das ist doch ein urjournalistisches Prinzip, dass wenn man Informationen bekommt, man sie auch veröffentlicht.

    Moss: Aber Journalisten haben auch ein Ethos, und sie haben auch eine große Verantwortung, und sie müssen abwägen, ob die Information, die sie haben, wichtig ist, und ob das Beschädigungspotenzial dieser Information einfach so groß ist, dass es sich nicht lohnt, alles zu veröffentlichen.

    Christoph Heinemann: Nun sagt Wikileaks, wir haben nicht alles veröffentlicht.

    Moss: Ich glaube nicht, dass Wikileaks eigentlich mehr am Steuer bleibt. Es gibt auch die norwegische Zeitung "Aftenposten", die jetzt schreibt, dass sie alle 250.000 Berichte haben, und dass "Aftenposten" wird diese Berichten ins Internet stellen. Also Wikileaks hat nicht alles auf einmal veröffentlicht, aber was Wikileaks macht, ist wirklich gefährlich für, wie gesagt, die Zusammenarbeit zwischen Staaten.

    Christoph Heinemann: Botschafter Murphy hat getan, was viele Diplomaten tun, wenn sie verschlüsselt berichten: Er hat kein Blatt vor den Mund genommen und ein teilweise wenig schmeichelhaftes Bild von deutschen Spitzendiplomaten gezeichnet. Nun sind diese Berichte veröffentlicht, das ist natürlich extrem peinlich für die Botschaft. Wäre es jetzt nicht das Beste, Washington schickte einfach einen neuen Botschafter, man machte einen Neuanfang?

    Moss: Also ich bin der Meinung, dass wir keinen besseren Botschafter als Herrn Murphy haben könnten, und das hat auch Frau Merkel und Herrn Seibert auch gesagt. Bevor die Wikileaks-Veröffentlichungen gemacht worden sind, ist der Botschafter Murphy zu seine Kontakten gegangen und hat sich dafür entschuldigt, nicht für den Inhalt, nicht für die gute Leistung seiner Kollegen in der Botschaft und in den Konsulaten in Deutschland, aber für die Tatsache, dass wir als US-Regierung nicht verantwortungsvoll genug mit unsere eigene Dateien umgegangen sind.

    Christoph Heinemann: Nur wenn Herr Murphy in Zukunft mit Herrn Westerwelle spricht, dann sitzt Wikileaks natürlich immer mit am Tisch.

    Moss: Das würde ich überhaupt nicht sagen. Herr Murphy spricht regelmäßig mit Herrn Westerwelle. Ich würde ihre Gespräche nicht öffentlich besprechen, aber die Beziehungen bleiben gut, wie sie waren. Ich würde sagen, das, was passiert ist, ist peinlich, aber wir müssen einfach weiterarbeiten, weil was wir zusammen tun, wir, USA und Deutschland, ist wichtiger als irgendwelche Peinlichkeiten, die in diesen Berichten stehen.

    Christohp Heinemann: Wie will sich die US-Politik künftig gegen solche Veröffentlichungen schützen? Man muss dazu sagen, Wikileaks hat die Dokumente nicht gestohlen, sondern nur veröffentlicht.

    Moss: Das ist noch nicht klar, ob Wikileaks darin verwickelt worden ist in die Art, wodurch sie diese Dokumente bekommen haben. Das ist noch, wird noch unser Justizministerium bestimmen. Was wir in Washington gemacht haben, ist: Es wird nicht mehr möglich, dass jemand irgendwo in der Welt sitzt und solche Informationen einfach herunterladen kann. Das kam aus der Reaktion nach dem 11. September. Wir wollen unsere Informationshierarchie ein bisschen nivellieren, und das ermöglichen, dass unsere Kollegen in anderen Behörden sehen können, was wir schreiben, und dass wir sehen können, was sie schreiben. Das ist eine ... es wurde bestimmt nach dem 11. September, dass wir, wenn wir rechtzeitig die Informationen breit genug geteilt hätten, da hätten wir vielleicht diese Attentate vereiteln können.