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Was sich die SPD vom Klinkenputzen erhofft

Rund zwei Monate vor der Bundestagswahl steht die SPD in Umfragen schlecht da. Im Kampf um jede Stimme ziehen Parteimitglieder und Sympathisanten von Tür zu Tür, um persönlich um Zustimmung zu werben. Ein mühsames Unterfangen.

Von Jens Rosbach | 18.07.2013
    "Hallo, schön´ guten Tag, entschuldigen Sie die Störung. Wir sind von der SPD Neukölln, das ist Fritz Felgentreu - unser Bundestagskandidat." – "Okay." - "Ich bin Juliane Binder und wir würden Ihnen gern drei ganz kurze Fragen stellen." – "Ich habe kein Interesse." – "Oh, schade, okay."

    Kein Interesse. Der korpulente Mann in kurzen Hosen und Socken schlägt den Genossen die Tür vor der Nase wieder zu. Montagnachmittag in Berlin-Neukölln. Fritz Felgentreu - 44 Jahre, Glatze, Bart und Brille – läuft in seinem Stimmbezirk von Tür zu Tür. Der Sozialdemokrat hat es bei der letzten Bundestagswahl nicht ins Parlament geschafft, nun soll es klappen.

    Zusammen mit einer großen, schlanken Juso-Aktivistin - der 27-jährigen Juliane Binder – ist er auf einer mühseligen Odyssee: Viele Wähler sind im Urlaub. Andere wollen nicht gestört werden. Wiederum andere sind krank und öffnen ihre Tür nicht. Eine Frau, die durchaus gesprächsbereit ist, darf nicht mal wählen gehen. Mette Gabler ist ihr Name; die 36-Jährige ist Dänin.

    "I don’t even have full rights for voting, because I’m not a German citizen.”"

    ""Ja, hallo! Mein Name ist Felgentreu."

    Nach mehreren Misserfolgen: endlich, ein potenzieller Wähler. Ein Deutscher mit Baby auf dem Arm: Dirk Zilinsky, 35 Jahre alt, Betriebswirt und in Elternteilzeit.

    Felgentreu: "Also …"
    Zilinsky: "Ich habe den Namen schon wieder vergessen!"
    Felgentreu: "Felgentreu ist mein Name, ja, Felgentreu. Und ich bin für diesen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Sind Sie…?"

    Die Haustüraktion ist akribisch durchorganisiert: Das Willy-Brandt-Haus hat die "politischen Klinkenputzer", die in zwei- bis dreiköpfigen Teams unterwegs sind, vorab geschult. Dabei spielen die Frauen eine besondere Rolle: Sie sollen bei Gegensprechanlagen um Einlass bitten; eine weibliche Stimme wirke "einladender" als eine männliche. Der Wählerkontakt darf insgesamt nur drei Minuten dauern.

    Als sogenannte "Give-aways" werden Flyer, Kugelschreiber und Süßigkeiten verschenkt. "Da wir vor allem durch Zuhören und Fragenstellen überzeugen wollen", resümiert ein internes Aktionspapier, "ist es nicht notwendig, dass alle Freiwilligen in allen Themenbereichen diskussionssicher sind". Dafür wird genau protokolliert. Juso-Mitstreiterin Juliane Binder notiert - auf einem roten Klemmbrett: Tür geöffnet: ja/nein. Frage eins – Mindestlohn? - ja/nein/vielleicht.

    Felgentreu: "Zweite Frage als Neuköllner: Was halten Sie für das wichtigste Problem hier in Neukölln?"
    Mieter: "Ja, auf jeden Fall, was ja schon passiert hier, ist die Sache der Gentrifizierung, also sprich steigende Mieten, genau Mietenthema."
    Felgentreu: "Letzte Frage: Wollen Sie am 22.9. wählen gehen?"
    Mieter: "Das weiß ich noch nicht!"
    Binder: "Okay, super, das war’s schon, vielen Dank!"

    180 Sekunden. Nicht debattieren - nur Anregen, Mobilisieren. Was hält Wähler Zilinsky vom Besuch des Bundestags-Kandidaten?

    "Dass er hier so rumläuft? Jo, ist wohl nicht das Schlechteste, was man machen kann. Besser als nur Plakatieren."

    Sozialdemokrat Fritz Felgentreu will nicht irgendwelche Wahlmüden aufwecken - sondern nur jene, die ihm auch Stimmen einbringen.

    "Also wir gucken, wo sind sozusagen die SPD-Hochburgen. Und da gehen wir los, um die Leute eben dazu zu bringen, dass sie dann auch zur Wahl gehen."

    Seine Statistik an diesem Nachmittag, nach über 30 Klingelversuchen: 20 Türen bleiben zu. Vier Mieter öffnen, wollen aber nicht reden. Übrig bleiben sechs Gesprächspartner. Vier von ihnen dürfen und wollen zur Wahl gehen. Wem sie ihre Stimme geben, bleibt ihr Geheimnis. Ist das nicht ein mageres Ergebnis nach einer Stunde Treppensteigen?

    Felgentreu: "Also wir haben in mehrere Briefkästen verteilt, wir haben auch erreicht, dass in den Häusern auch gesprochen wird, dass wir da gewesen sind."
    Journalist: "Und bringt das jetzt letztendlich was?"
    Felgentreu: "Davon bin ich fest überzeugt. Also das haben wir im letzten Wahlkampf schon gesehen. Wenn man das hinterher sich angeguckt hat und die Ergebnisse in den Stimmbezirken, in denen wir es gemacht haben, mit den umliegenden verglichen haben, konnte man sehen, dass da mehr Zustimmung für die SPD war."
    Journalist: "Um wie viel Prozent?"
    Felgentreu: "Anderthalb bis zwei Prozent."
    Journalist: "Tatsächlich?"
    Felgentreu: "Ja, das macht schon einen Unterschied."

    Im Büro der SPD Berlin-Neukölln treffen sich die Haustür-Kämpfer des Bezirkes. Marc-Niklas Förster leitet sie an. Der 24-Jährige studiert Non-Profit-Management und hat im Willy-Brandt-Haus die flächendeckende Wählermobilisierung mit konzipiert. Dazu gehört auch ein Rekrutierungs-Portal im Internet.

    "Naja, wir haben auf unserer Plattform schon 13.700 Registrierte, Freiwillige deutschlandweit, die eben gesagt haben, sie möchten sich für die SPD engagieren und dann muss man schauen, wie viele am Ende davon sagen, dass sie auch Tür zu Tür kommen."

    SPD will fünf Millionen Haushalte besuchen
    Binder: "Dürfen wir noch ein paar Gummibärchen dalassen?"
    Mieterin: "Super, danke!"
    Binder: "Vielleicht darf ich Ihnen auch noch zur Information noch ein bisschen zum Mindestlohn, weil Sie ja gefragt haben, ob das realisierbar ist. Und dann haben wir hier noch eine Kleinigkeit, warum es sich auch wirklich lohnt, darüber nachzudenken, die derzeitige Regierung vielleicht nicht im Amt zu lassen."

    Auch SPD-Mitglied Ramin Rachel, 41 Jahre alt und Energie-Vertriebsmanager, trommelt nach Feierabend für einen Machtwechsel. Der Partei-Werber bilanziert, dass der Einsatz zwar ganz schön anstrengend - dafür aber voller Überraschungen sei.

    "Witzigerweise waren wir bei Leuten, die hatten schon mal Besuch von uns, wir hatten uns da gedoppelt. War ganz lustig. Einige haben uns sogar noch die Materialien, die sie vor zwei Wochen bekommen haben, hingehalten und gesagt: Wir gehen sowieso wählen - wenn Ihr schon zweimal klingelt, dann gehen wir Euch sowieso wählen. Es ist auch niemand anderes von anderen Parteien da gewesen. Ich glaube, das kommt ganz gut an, dass wir wirklich von Angesicht zu Angesicht sozusagen als SPD mal vor der Tür stehen."

    Fünf Millionen Haushalte sollen bis zum 22. September aufgesucht werden. Bei einigen Wählern will auch Spitzenkandidat Peer Steinbrück höchstpersönlich vor der Tür stehen.