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"Was sind unsere nationalen Sicherheitsinteressen?"

Die Bundeswehr muss künftig Personal einsparen. Bliebe gleichzeitig die personalintensive Wehrpflicht, binde dies Ausbilder, die in Einsätzen fehlen, sagt General a.D. Kujat. Er plädiert unter diesen Umständen dafür, die Wehrpflicht abzuschaffen: "So leid mir das tut."

11.06.2010
    Jasper Barenberg: Nächste Woche soll sie beschlossen werden und noch vor der Sommerpause soll sie in Kraft treten, die Verkürzung des Wehrdienstes von neun auf dann sechs Monate. Mühsam hatten sich Union und FDP auf diesen Schritt verständigt, vor allem, weil er Folgen auch für den Zivildienst hat. Schon bald aber könnte dieser Kompromiss schon wieder überholt sein, denn Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg denkt inzwischen öffentlich darüber nach, die Wehrpflicht ganz abzuschaffen, als zwingende Folge der nötigen Sparmaßnahmen. Das hat der CSU-Politiker in einer Debatte heute zum Thema im Bundestag abermals unterstrichen und bekräftigt.

    Am Telefon begrüße ich jetzt General a.D. Harald Kujat, den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr. Einen schönen guten Tag, Herr Kujat.

    Harald Kujat: Guten Tag, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Kujat, Verkürzung der Wehrpflicht auf ein halbes Jahr, deutliche Verkleinerung der Streitkräfte, Strukturreform, all das unter dem Zwang zum Sparen. Wird die Bundeswehr gerade zum Spielball der Regierung?

    Kujat: Jedenfalls ist das, was die Bundesregierung da im Augenblick veranstaltet, sehr schwer überschaubar. Auch wenn man voll unterstützt, dass gespart werden muss – das akzeptiert ja jeder -, ist natürlich dieses Hin und Her überhaupt nicht zu verstehen, auch für die Betroffenen im Übrigen nicht. Die, die in der Bundeswehr sind, und die, die zur Bundeswehr wollen, oder zur Bundeswehr müssen, verstehen das alles nicht mehr, was da läuft.

    Barenberg: Ist das schlechte Regierungsführung, wie heute der Vorwurf der Opposition lautet?

    Kujat: Das muss man wohl so sehen. Wenn ich daran denke, dass wir vor wenigen Wochen erst die Steuern reduziert haben für Hotels, etwa in der Größenordnung von einer Milliarde im Jahr, und anschließend sagen, wir müssen bei der Bundeswehr im Jahr eine Milliarde einsparen, dann fehlt mir das Verständnis dafür, dass man immer so kleinteilig vorgeht und nicht, ich sage jetzt mal im Sinne von Goethe, das Ganze vor seinen Teilen sieht. Man weiß doch, wohin man will. Man weiß doch auch seit Längerem, wie die Situation ist. Man muss doch dann gegeneinander abwägen und ich kann nicht die sicherheits- und außenpolitische Handlungsfähigkeit eines Landes wie Deutschland, dem größten europäischen Land, aufs Spiel setzen, nur weil ich einigen Hoteliers zu mehr Touristen verhelfen will – angeblich. Ob das so sein wird, das wissen wir ja alles noch nicht. Das ist alles sehr unkoordiniert, sehr wenig strukturiert und sehr wenig zielführend.

    Barenberg: Was, würden Sie denn sagen, wäre die Alternative zu diesem hektischen Hin und Her, was die Sparbemühungen angeht, wo ja die Bundeswehr offensichtlich einen Teil auch beitragen muss?

    Kujat: Natürlich! Ich sagte ja bereits, wir verstehen ja alle, dass die Bundeswehr auch einen Beitrag dazu leisten muss. Aber man muss sich immer vor Augen halten, dass die Streitkräfte ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik sind. Die Streitkräfte müssen so gestaltet sein, nach Umfang, nach Ausbildung und Ausrüstung, dass sie die Aufgaben, die ihr von der Politik gesetzt werden, auch erfüllen können. Das heißt, ich muss Aufgaben, Fähigkeiten und Mittel, die ich dafür brauche, miteinander in Einklang bringen. Das scheint mir völlig aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.
    Nun gibt es eine Strukturkommission, die, so weit ich das sehe, sehr gute Arbeit macht. Man muss also in Ruhe abwarten, was diese Strukturkommission vorschlägt. Der Bericht soll ja im September vorliegen. Dann würde ich dafür plädieren, dass wir eine breite Debatte in unserer Bevölkerung haben zu den Aufgaben der Bundeswehr, zu den Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, wo sind die Herausforderungen, können wir sie bewältigen, oder können wir sie nicht bewältigen, was sind unsere nationalen Sicherheitsinteressen und was muss die Bundeswehr dafür tun. Das halte ich für ganz entscheidend und ich denke auch, wir sind es unserer Bevölkerung schuldig zu erklären, warum der Parteivorsitzende Westerwelle für die Reduzierung der Steuern bei Hoteliers plädiert und der Außenminister Westerwelle nicht dafür eintritt, dass wir außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähig bleiben.

    Barenberg: Herr Kujat, kann die Bundeswehr ihre Aufgaben, die derzeit auf der Agenda stehen, noch erfüllen, wenn die Streitkräfte in ihrer Zahl verkleinert werden, wenn es weniger Soldaten künftig gibt?

    Kujat: Das hängt davon ab, ob wir bei diesen Aufgaben bleiben. Wenn die Aufgaben unverändert bleiben, so wie sie heute von der Bundesregierung vorgegeben sind, so wie sie auch im letzten Weißbuch beschrieben sind, so wie die verteidigungspolitischen Richtlinien das sagen, dann haben wir bereits jetzt erhebliche Defizite, strukturelle Defizite. Ich würde sogar sagen, wir haben einen Reformstau in der Bundeswehr. Es ist in den letzten sieben Jahren praktisch nichts geschehen. Wir müssen die Bundeswehr besser vorbereiten, besser ausrüsten für die Aufgaben, die sie bereits heute zu lösen hat.
    Wenn wir die Aufgaben beibehalten, sie reduzieren, die Bundeswehr reduzieren, dann wird es sehr, sehr schwierig, dass die Bundeswehr tatsächlich das leisten kann, was wir von ihr erwarten.

    Barenberg: Denn so argumentiert ja der Verteidigungsminister. Er sagt, der Zwang zum Sparen führt dazu, dass wir die Streitkräfte reduzieren müssen, was wiederum dazu führt, dass am Ende möglicherweise die Wehrpflicht gekippt werden muss.

    Kujat: Ich denke, er hat insofern recht, wenn er sagt, wenn ich die Bundeswehr um 40.000 Mann reduziere – das ist ja offensichtlich die Sollvorgabe -, dann kann ich mit den verbliebenen Soldaten nicht weiterhin Wehrpflichtige ausbilden. Das bindet ja Soldaten, etwa in der Größenordnung von 8000 Mann. Das heißt, die Soldaten, die dann wirklich für Aufgaben, Einsätze zur Verfügung stehen, werden durch die Wehrpflicht weiter reduziert. Insofern hat er völlig recht.
    Ich bin ein großer Befürworter der Wehrpflicht, aber das macht nun überhaupt keinen Sinn, mit einer deutlich verringerten Bundeswehr dann Wehrpflichtige auszubilden und damit die Zahl der Soldaten, die für andere Aufgaben zur Verfügung stehen, zu reduzieren. Das macht keinen Sinn.

    Barenberg: Ein Ende der Wehrpflicht, ein Aussetzen der Wehrpflicht, was ja ein faktisches Ende der Wehrpflicht wäre, wäre das auch das Ende der Bürgerarmee in Deutschland?

    Kujat: Wir haben eine sehr lange Tradition mit der Wehrpflichtarmee und ich habe ja nun viele Jahre in dieser Wehrpflichtarmee gedient und ich kann Ihnen sagen, das ist ein großes Gut, das wir uns hier über viele Jahre geschaffen haben. Und die Wehrpflicht beschafft uns ja auch die intelligenten Soldaten. Wir können auswählen aus dem Pool der Wehrpflichtigen, die sich weiter verpflichten wollen, und wir haben bisher auch etwa 50 Prozent unseres Nachwuchses an Zeit- und Berufssoldaten aus den Wehrpflichtigen-Aufkommen bekommen. Das ist unvergleichlich gegenüber anderen Staaten.
    Das andere ist natürlich, dass die Wehrpflichtigen ja auch eine Art demokratischer Kontrolle innerhalb der Streitkräfte sind. Auch das hat sich hervorragend bewährt. Wir haben den Staatsbürger in Uniform geschaffen, den Staatsbürger in Uniform, und ich denke, das ist etwas, worum uns viele, viele Staaten beneiden, auch was die Qualität unserer Soldaten betrifft, die weit höher ist als in vielen vergleichbaren Staaten.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Kujat, gibt es aus Ihrer Sicht auch Vorteile einer Berufsarmee?

    Kujat: Natürlich hat alles seine zwei Seiten. Die Vorteile, die ich zunächst mal sehe unter den gegebenen Bedingungen: Grundsätzlich, muss ich sagen, gibt es keine Vorteile prinzipiell in einer Berufsarmee gegenüber der Freiwilligenarmee. Wenn man aber reduzieren muss, so wie wir das jetzt ja augenscheinlich müssen – ich will das nicht bewerten -, dann muss man abwägen zwischen dem, was wir an Einsätzen zu leisten haben, an Aufgaben zu erfüllen haben, und dem, was wir tun, um nur Soldaten auszubilden beziehungsweise unseren Nachwuchs daraus zu schöpfen, und da muss ich eben sagen, unter diesen Umständen würde ich dafür plädieren, dann tatsächlich die Wehrpflicht abzuschaffen, so leid mir das tut, aber es kann nicht zulasten der Aufgabenerfüllung gehen.

    Barenberg: Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr heute Mittag in den "Informationen am Mittag". Danke schön, General a.D. Harald Kujat.

    Kujat: Ich danke Ihnen.