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Was soll das Theater?
Eine Diskussion zur Rolle der Bühnen in der Gesellschaft

Die Rolle des Theaters in Zeiten von Fluchtbewegungen, Terrorismus und populistischen Strömungen stand im Mittelpunkt einer leider gar nicht so kontroversen Diskussion in der Berliner Akademie der Künste. Ihr fehlte vor allem eines - der Blick von außen.

Von Cornelius Wüllenkemper | 25.01.2016
    Zu Beginn der Veranstaltung in Berlin lieferte der Schauspieler und Direktor der Sektion Darstellende Kunst der Akademie, Ulrich Matthes, eine ernüchternde Analyse des Gegenwartstheaters: Immer mehr Menschen gingen einfach nicht hin. Ist der sogenannte "Artivismus", der künstlerisch inszenierte politische Aktivismus die Bühnenform, die dem öffentlich subventionierten Theater eine neue Bedeutung und Legitimation verleihen könnte? Der renommierte lettische Regisseur Alvis Hermanis hatte unlängst seine Inszenierung am Hamburger Thalia Theater abgesagt, um so gegen das Engagement des Hauses für Flüchtlinge zu protestieren. Oder hat das Staatstheater doch einen Auftrag? Jedenfalls hat es einen Auftraggeber, nämlich die öffentliche Hand, betonte gestern Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz.
    Der Anspruch, im Theater die Identität einer Gesellschaft zu verhandeln, sei in einer Stadt mit 60 Prozent Jugendlichen mit Migrationshintergrund allerdings schlicht unerreichbar. "Aber ich glaube, wir dürfen den Anspruch nicht aufgeben. Und wenn wir den Anspruch nicht aufgeben, dann steht man vor einer gewaltigen Aufgabe, weil natürlich der Hort des deutschen Bildungsbürgertums, eine Stadtgesellschaft wie die unsere gar nicht mehr adressieren kann. Wir sind nomadische Gesellschaften geworden. Was bedeutet das? Und was bedeutet dann gerade ein solcher Ort, gerade auch ein städtisches Theater. Was heißt denn ein Ort von Identitätsbildung? Aber das wäre auch Teil des Optimismus zu sagen: Ja, das ist ein Riesenapparat und er muss seine Kräfte verdammt noch mal dafür auch einsetzen."
    Burkhard Kosminski, Intendant am Nationaltheater Mannheim, berichtete über die Einbindung von Flüchtlingsgruppen in die Inszenierungen seines Hauses und seine Verpflichtung, im Programm das Leben der Stadt zu spiegeln. Als Entlohnung bietet Kosminski den Migranten eine individuelle Betreuung für Integration und Bildungsweg an – die Mittel für den damit verbundenen personellen Mehraufwand stünden bereit. Der Intendant des Schauspielhauses Dresden, Wilfried Schulz, betonte dagegen, das Theater habe keinen Auftrag, sondern vielmehr ein Selbstverständnis.
    Theater als Gegenwelt?
    "Ich habe ein Ensemble, ich habe Mitarbeiter, die ein großes Anliegen haben, sich in dieser Stadt zu äußern. Manchmal führt das zu Ungeschicklichkeiten auch auf der Bühne. Aber das ist gar nicht verhandelbar im Moment. Unsere Arbeit besteht im Wesentlichen daraus, nicht die Pegida-Leute umzudrehen. Sondern das, was wir tun, ist eine selbstverständliche, liberale, empathische Haltung, öffentlich zu machen und zu sagen: Das ist die normale Haltung in dieser Welt. Und das ist die politische Funktion im Moment unseres Theaters."
    Theater als Gegenwelt einer zusehends unübersichtlichen Realität, als Hort dessen, was gut und richtig ist? In der zweiten Runde der Berliner Diskussion über "Authentizität versus Schauspielkunst" fand der Rektor der Berliner Ernst Busch Schauspielschule, Wolfgang Engler, dagegen deutliche Worte und brach eine Lanze für die unabhängige Schauspielkunst. Die Studenten, die sich immer häufiger weigerten, bestimmte Texte zu sprechen, weil sie politische Empfindlichkeiten berührten, seien an der Schauspielschule schlicht am falschen Platz.
    Authentizität wird mit Unvermögen verwechselt
    "Das heißt, je weniger eine Institution wie das Theater die Kraft hat, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen und sich als das Andere zur Wirklichkeit hin zu definieren, in desto höherem Grade setzt es sich den selben Wahrnehmungen wie das wirkliche Leben aus. Dann wird das Theater unter dem Gesichtspunkt wahrgenommen, ist das politisch in Ordnung – wie eine politische Äußerung. Ist das frauenfeindlich, ist das sexistisch, ist das so so so und so richtig? Und ich kann nur sagen: Das kotzt mich an."
    Authentizität werde heute vor allem mit dem Unvermögen verwechselt, sich zu verwandeln, eine abstrakte Position einzunehmen, betonte Engler und vertrat damit den einzigen streitbaren Gegenpol an einem ansonsten ziemlich spannungsarmen Diskussionsabend. Dabei hätte man sich deutliche Standpunkte gewünscht zu den Fragen nach der Medialisierung politischer Kunst, nach der Bevormundung der Kunst durch die Politik oder der Vereinfachung politischer Zusammenhänge auf der Bühne. Was der Diskussion fehlte, war der Blick von außen, der den etwas selbstgefälligen Konsens auf dem Podium kulturwissenschaftlich auf die Probe hätte stellen können.