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Was verursacht Erdbeben?

Geologie. - Erdbeben entstehen, wenn die Gesteine unter dem Druck im Erdinneren reißen. Aber - wann passiert das? Wie hoch die Spannungen sind, das kann man bislang nicht direkt messen, sondern nur indirekt berechnen. Im Ionischen Meer entsteht ein neues Tiefseelaboratorium, mit dem man jetzt entsprechende Experimente machen kann. Italienische Nuklearphysiker und britische Geophysiker bekommen die Möglichkeit, die Infrastruktur von des Neutrinodetektors NEMO für ihre Zwecke zu benutzen, für CREEP. Das Projekt geht jetzt in eine dreimonatige Pilotphase.

18.07.2003
    Von Dagmar Röhrlich

    Wer Beben verstehen will, wer begreifen will, warum sich die in der Erdkruste aufgestaute Energie unvermittelt und schlagartig entlädt, muss zunächst die Steine verstehen. Genauer gesagt: Was muss passieren, damit Steine zerbrechen. Um Antworten zu finden spannen die Forscher bislang Gesteinswürfel in Pressen. Minutiös wird aufgezeichnet, wie der Würfel auf den schnell wachsenden Druck reagiert, schließlich zerbricht. Mit solchen Daten will man Erdbeben physikalisch erfassen. Sergio Vinciguerra vom Nationalinstitut für Nuklearphysik in Catania:

    Das größte Problem bei dieser Art von Versuchen ist es, die Messergebnisse zu skalieren, die im Labor innerhalb nur weniger Stunden und mit Würfeln von nur wenigen Zentimetern Kantenlänge gemacht worden sind.

    Je mehr sich von der kritischen Schwelle entfernt, an der ein Gestein zerbricht, umso länger brauchen die Experimente. Bei 90 Prozent des Grenzwertes dauert es eine halbe Stunde bis zum Bruch, bei 80 Prozent schon zwei Tage. Vinciguerra:

    Aber wenn man im Labor unter 80 Prozent geht, ist das technisch nicht mehr machbar. Wenn 60 Prozent des Schwellenwertes anlegt, dauert es Monate, ehe die Probe zerbricht, bei 50 Prozent etwa ein Jahr.

    Die technisch erzwungenen Drücke knapp unterhalb der Bruchgrenze sind jedoch für das Geschehen in der Erdkruste unrealistisch hoch. Deshalb lässt sich das, was im Labor passiert, nicht so einfach auf das wirkliche Geschehen übertragen. Offene Fragen gibt es viele: Wie sammeln Steine Stress an, ehe sich brechen? Welche Rolle spielt dabei das in den Gesteinsporen allgegenwärtige Wasser, wie wirkt es auf die Bruchschwelle? Denn Wasser zersetzt Minerale, bereitet den Bruch vor. Das Tiefseelaboratorium CREEP soll nun das Geschehen verstehen helfen. Vinciguerra:

    Das Ziel des Projekts ist ein Instrument, in dem man das Verhalten der Gesteinsproben bei Deformationen über sehr viel längere Zeiträume untersuchen kann als konventionell. Wir wollen Daten über die Deformationen und den einwirkenden Stress über Monate und Jahre hinweg sammeln, also über Zeiträume, die den realen vergleichbar sind, denn wir wissen, dass Erdbeben aus Kräften resultieren, die über lange Zeit wirken.

    Im tiefen Meer vor Catania fehlen die Gezeiten; Salzgehalt und Temperatur sind konstant, sehr stabile Bedingungen also. Die Forscher verankern mit Betonankern und Tiefseebojen in 2100 Metern Wassertiefe Hochdruckmesszellen, in denen die mit den Sensoren versehenen Proben eingeschlossen sind. Sie sollen zehn Meter über dem Grund schweben. Die Wassersäule simuliert den Druck in der Erdkruste. Der Wasserdruck wirkt über einen Kolben monate- und jahrelang gleichmäßig auf die Proben. Vinciguerra:

    Die Prototypen versorgen sich mit einer Batterie und zeichnen einwirkenden Stress und Deformationen auf. Im nächsten Stadium werden sie mit Hilfe des Tiefseedetektors NEMO an eine kontinuierliche Energiequelle angeschlossen und liefern alle Daten dann online über das Detektor-Netz von NEMO ins Forschungszentrum nach Catania. Wir sehen dann direkt und rund um die Uhr, was gerade passiert.

    CREEP wird in seiner endgültigen Ausbauphase an NEMO gekoppelt sein, ein Tiefseedetektor für hochenergetische kosmische Neutrinos. Wenn NEMO wahrscheinlich im Südwesten Siziliens bei Capo Passero gebaut wird, zieht auch CREEP dorthin. Dann sollen die Proben monate- und jahrelang in der Tiefsee bleiben. Die Forscher können jedoch auch einzelne Messzellen aufschwimmen lassen, um feinste Veränderungen zu untersuchen. Vinciguerra:

    Wir bekommen damit auf der Basis von Monaten und Jahren einmalige Deformationsdaten. Solche Daten existieren noch nirgends auf der Welt.